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"Zahnmedizin hat in der gesetzlichen Krankenversicherung nichts zu suchen"

Durak: Sie waren Mitglied der Rürup-Kommission, sind jetzt am Institut für Finanzwissenschaft in Freiburg tätig. Was macht so ein Finanzexperte, der sich mit dem Gesundheitswesen beschäftigt? Was halten Sie davon, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu überprüfen und möglicherweise auf das medizinisch notwendige zu beschränken?

Moderation: Elke Durak |
    Raffelhüschen: Nun, davon halte ich zunächst mal viel, denn wir können gar nicht anders. Wir haben seit 40 Jahren den Beitragszahler der Zukunft nicht in die Welt gesetzt, deshalb können wir mit dem heutigen Leistungskatalog und dessen Ausdehnung schlichtweg nicht rechnen, es ist unfinanzierbar und insofern ist klar, dass das, was Eichel sagt, völlig richtig ist.

    Durak: Was muss raus aus dem Katalog?

    Raffelhüschen: Da fängt die spannende Frage an: Was muss raus und wie administriere ich das? Da gibt es eigentlich nur zwei Wege. Der erste ist im Grunde: Ich administriere das über eine Expertenkommission, über den Staat, über staatliche Leistungsstellen oder ähnliches, also man macht das von oben herab oder durch Marktwirtschaft, indem man schlichtweg 82 Millionen durch eine eigene Entscheidung wählen lassen, was nun in den Katalog gehört und was nicht.

    Durak: Wer soll das entscheiden?

    Raffelhüschen: Wir stehen eigentlich am Scheidweg und müssen den einen oder anderen Weg gehen. Der eine ist der englische, wo wir im Grunde genommen ein staatliches Gesundheitssystem haben und es entscheiden irgendwelche Computer mit Punktesystemen darüber, was nun gemacht wird und was nicht. Der andere Weg ist zu sagen, dass ich jedem eine Eigenverantwortung überlassen muss. Ich werde also in Kostenerstattungen statt in Sachleistungen gehen und werde dann die Kostenerstattung natürlich nie zu 100 Prozent machen, sondern einen Teil der Gesundheitskosten muss jeder Mensch selber zahlen.

    Durak: Und welchen Teil sollen wir rausnehmen?

    Raffelhüschen: Es gibt nur einen Bereich, wo ich vom Staat her sagen kann, er muss raus und das ist die zahnmedizinische Leistung. Der gesamte Bereich hat in der gesetzlichen Krankenversicherung nichts zu suchen und kein anderes Land der Welt hat das im Leistungskatalog. Das ist auch leicht administrierbar, denn die zahnmedizinische Leistung ist sowieso eine Art Subsystem. Wir haben eben Zahnärzte und die sind wohldefiniert weg von allem anderen. Das, was Herr Eichel diskutiert ist im Moment: Wie kriege ich Bagatellemedizin aus dem verbleibenden Leistungskorb raus? Wie kriege ich zum Beispiel die restlichen Massagen raus oder die restlichen Zuschüsse für nicht notwendige Kuren oder fünfmaliges Röntgen und so weiter. Und da habe ich nur eine Möglichkeit: Ich muss, dadurch, dass ich den Menschen die Rechnung stelle, sie zu Kontrolleuren und Steuerern des Systems machen, denn in dem Moment, wo ich als Mensch Teile der Leistung selbst bezahlen muss, muss ich signalisieren, ob ich bereit bin, den Preis zu zahlen oder nicht. Und derjenige, der den Preis dann nicht zahlen will, für den ist es dann Bagatellmedizin und nicht im Leistungskatalog.

    Durak: Nun sprechen wir über die gesetzliche Krankenkasse. Würde durch diese Grundversorgung, die da möglicherweise nur übrigbleibt, dies erst recht eine Krankenkasse für Arme, weil sich Bessergestellte ohnehin privat versichern können?

    Raffelhüschen: Eines muss man gnadenlos konstatieren: Der Reiche kann sich mehr kaufen und auch in der Gesundheit; auch in England oder anderen Ländern der Welt. Das Unken, dass wir um Gottes Willen keine Zweiklassenmedizin haben dürfen ist irgendwie ein Unken in die falsche Richtung. Wir brauchen nicht zwei Klassen, sondern zwanzig Klassen. Wir müssen nur sichern, dass die unterste Klasse ein Minimalversorgungsniveau erhält, das uns als Gemeinschaft ausreichend erscheint. Alles andere ist Eigenverantwortung und wenn das die Eigenverantwortung ist, von der unser Finanzminister spricht, dann werde ich ihn da unterstützen.

    Durak: Was halten Sie von der Risikosportart Couching? Keine Bewegung, ungesundes Essen, Rauchen, Sofasitzen bis zum Schlafengehen - müsste man sich da nicht auch extra versichern müssen?

    Raffelhüschen: Sehen Sie, das ist genau die Diskussion, die anfängt, wenn man als Experte abgrenzen will, was reingehört und was nicht. Dann ist dieses Couching wirklich auf der Palette. Wenn ich aber sage, dass ich dessen ungeachtet den Teil, sagen wir mal 50 Prozent, in den entsprechenden Kosten sowieso zu tragen habe, dann werde ich unter Umstände überlegen, ob ich das nun wirklich nachfrage als Patient, als Kunde, oder nicht.

    Durak: Wenn der Patient Kunde wird und selbst entscheiden soll, muss er aber Beratung haben. Sie wissen da vielleicht Bescheid, andere auch, viele Leute wissen aber nicht, was für sie wichtig oder richtig wäre. Wer soll diese Menschen beraten?

    Raffelhüschen: Das ist immer das Problem, wenn ich ein Gut nachfrage, über dessen Qualität ich nicht handeln und entscheiden kann. Ich weiß nicht, ob der Arzt was Gutes oder Schlechtes macht. Wenn das allerdings das Kriterium wäre, um den Markt dort nicht zur Anwendung zu bringen, dann dürfte ich schlichtweg keine Fernseher anbieten. Das ist auch ein Produkt, das kein Mensch versteht und trotzdem haben wir in dem Druck der Nachfrage eine Qualität geschaffen in diesem Bereich, als das, was wir sehen können.

    Durak: Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Menschen sind keine Fernseher. Sollte man da nicht anders herangehen?

    Raffelhüschen: Menschen fragen Güter nach und Gesundheit ist ein Gut, wie jedes andere. Ich werde nicht all mein Einkommen in Gesundheitsleistungen ausgeben, sondern werde darüber eine entsprechende Gewichtung vornehmen und diese kann ich als Individuum, Staat oder vernünftige Mischform vornehmen und wir müssen es als letztere machen. Im Moment ist für große Teile der Menschheit alles Staat und alles scheint nichts zu kosten. Für die Gesellschaft als ganzes gilt aber: Es gibt nichts umsonst.

    Durak: Sie empfehlen also: Ade, Solidarität in diesem Bereich, willkommen Ich-AG auch im Gesundheitswesen?

    Raffelhüschen: Wir werden dort sicherlich auch genau dieselbe Entwicklung bekommen wie bei der Rente. Das ist auch das, was der Finanzminister angesprochen hat. Dort, wo wir ersetzende private Altersvorsorge schon gesagt haben, werden wir demnächst ersetzende private Gesundheitsvorsorge bekommen. Denn der Staat kann es nicht richten. Wir haben die Menschen nicht in die Welt gesetzt.