
Die erste Überraschung gleich zu Beginn: Die Fabrik der Zukunft sieht gar nicht so aus wie eine Fabrik. Keine Schornsteine, kein Rauch und (zumindest von außen) auch kein Lärm. Eher erinnert das Gebäude von außen an eine Schule: dieser weiße lang gestreckte zweigeschossige Bau im Bauhausstil mit den großen Fensterfronten. Nur ein paar Gehminuten vom nächsten S-Bahnhof entfernt.
Gelegen mitten in einem Neubaugebiet, drum herum moderne Energiesparhäuser, gegenüber eine Gärtnerei, viel Grün. Den Standort fast mitten im Ort habe man ganz bewusst gewählt, sagt Jochen Schlick, Kopf des 4.0-Projekts bei Wittenstein, bei einem Rundgang durch das Werk:
"Unsere Philosophie ist, dass wir mit unseren Arbeitsplätzen zu den Menschen kommen, nun nicht umgekehrt."
Innen dann in der Fabrik 4.0: viel Licht. Viel Glas. Die Produktion beginnt gleich ein paar Meter hinter dem Eingang. Von den Büros der Verwaltung nur getrennt durch eine Front dicker Isolierglasscheiben. Im wahrsten Sinne des Wortes also gläsern und transparent.
Zahnräder stellen sie hier her. Witzigerweise also ein Produkt, das eigentlich schon uralt ist. Doch hier bei Wittenstein in Fellbach bei Stuttgart sind es eben ultramoderne Zahnräder, High-End-Produkte, wie sie etwa in der Formel1 oder in der Flugzeugindustrie Verwendung finden. Wittenstein ist hier ein Vorreiter, ein Hidden Champion, wie auch in Sachen Fabrik 4.0. Nicht ganz freiwillig allerdings, wie Projektleiter Jochen Schlick einräumt:
"Wir merken, dass wir durch die Globalisierung, durch den globalen Wettbewerb, mehr und mehr unter Druck geraten: Die Vorlaufzeiten für ein Produkt werden kürzer. Die Variantenvielfalt wird deutlich höher.
Die Auftragsgrößen gehen herunter. Und der Kunde erwartet jetzt, also er stellt eine Anfrage, und erwartet eigentlich in der nächsten Minute ein Angebot von uns."
Die Auftragsgrößen gehen herunter. Und der Kunde erwartet jetzt, also er stellt eine Anfrage, und erwartet eigentlich in der nächsten Minute ein Angebot von uns."
Produktion auf Knopfdruck
Die Herausforderung also: Die hoch speziellen Zahnräder bei Wittenstein werden oft nur in Kleinserien gefertigt. Mal sind es 40, 50, mal nur 20 und in manchen Fällen sogar nur ein einziges Stück.
Früher war das sehr aufwendig: Die Maschinen mussten erst langwierig per Hand auf die nächste Kleinserie eingestellt und umgebaut werden. Das kostete viel Geld und Zeit. Heute geht das in der modernen Manufaktur 4.0 quasi auf Knopfdruck. Und oft wissen die Maschinen dank der eigenen Übertragungstechnik mittels betriebsinternem Internet sogar schon von selbst Bescheid und stellen sich von ganz alleine drauf ein, ohne dass der Mensch noch groß Hand anlegen muss. Den sieht man eh nur ab und zu, meist wie er mit einem iPad der Hand den jeweiligen Maschinenstatus gegencheckt. Projektleiter Schlick:
"Da merkt man einfach, dass die alten, teils noch papierbezogenen Prozesse an ihre Grenzen stoßen. Und wir mehr Flexibilität brauchen. Wir mehr beantwortendes Verhalten zeigen müssen. Und das lässt sich mit diesen Technologien, rund um das Internet der Dinge wesentlich leichter bewerkstelligen."
260 Millionen Euro Umsatz hat Wittenstein im vergangenen Jahr an Umsatz erwirtschaftet. Mit mittlerweile rund 120 Mitarbeitern. 40 mehr als noch vor einem Jahr! Das Unternehmen wächst weiter dynamisch, nicht nur am Standort Fellbach (bei Stuttgart), sondern auch am Hauptsitz in Igersheim (40 Kilometer südwestlich von Würzburg).
Und während der Werkrundgang noch andauert, finden vorne, gleich links neben dem Eingangsbereich im Verwaltungstrakt schon wieder neue Vorstellungsgespräche statt. Der 23-jährige Niko Ziegler hat gerade erst, im Februar, bei Wittenstein angefangen. Als Werksstudent im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen macht er in der Fabrik 4.0 sein Praktikum. Seinen Job bei Daimler in Mannheim hat er extra gekündigt, um nun beim sehr viel kleineren Zahnradhersteller arbeiten zu können:
"Weil es ein sehr interessantes, innovatives Unternehmen ist. Das modern arbeitet. Da ist es offen. Es ist familiengeführt. Da ist man nicht bloß eine Personalnummer, wie in einem Großkonzern, sondern wird auch als Mensch wahrgenommen."
Menschsein in der Fabrik 4.0
Menschsein bei Wittenstein – das funktioniert anscheinend. Auch in der Industrie der Zukunft – der Fabrik 4.0. Denn der Mensch stehe auch dort im Mittelpunkt, sagt Projektleiter Jochen Schlick. Zwar umgeben von Maschinen, die nun nicht nur mit ihm, sondern dazu auch noch untereinander kommunizieren und etwa selbst Bescheid sagen, wenn sie neues Material brauchen oder mal gewartet werden müssen.
Doch der Mensch werde dadurch von vielen bislang Nerv tötenden Routinetätigkeiten entlastet:
Doch der Mensch werde dadurch von vielen bislang Nerv tötenden Routinetätigkeiten entlastet:
"Das bedeutet für den Menschen, dass er sich letztlich mehr auf seine Kernkompetenzen konzentrieren darf. Das heißt: nicht herum rennen, Teile suchen. Nicht herumirren und in Dokumentationen suchen. Nicht ratlos vor einer Maschine stehen müssen, die nicht funktioniert. Sondern den Kern seiner Profession kreativ auszuüben!"
Wachsende Anforderungen
Keine Angst solle man also haben, vor dieser neuen Industrie 4.0, sagt Projektleiter Jochen Schlink noch. Klar, muss er ja. Bei Kaffee und Schnittchen nach der Werksbesichtigung räumt er dann aber doch ein, dass die Anforderungen an die neuen Mitarbeiter in dieser Fabrik der Zukunft weiter wachsen werden. Dass sie schon heute viel mehr mitbringen müssten als Althergebrachte, an Neugierde, an technischem Verständnis und an Bereitschaft, über Grenzen hinweg zudenken und hinweg zu handeln.
Denn hinter der schönen modernen Fassade geht es auch bei der Fabrik 4.0 darum möglichst profitabel zu sein und Geld zu verdienen. Mit dem Einsatz intelligenterer Technik und Maschinen womöglich sogar noch ein bisschen mehr als zuvor.