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Zahnstein-Forschung
Was die Zähne einer Nonne aus dem Mittelalter verraten

Forschern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena ist es erstmals gelungen, aus dem Zahnstein von im Mittelalter Verstorbenen Rückschlüsse über deren Leben zu ziehen. Ausgerechnet über eine Nonne aus Mitteldeutschland kam dabei Erstaunliches zutage.

Von Christine Westerhaus | 10.01.2019
    Ein gut erhaltenes Skelett
    Zahnstein funktioniert wie eine Zeitkapsel - in ihm werden unter anderem Schadstoffe eingelagert, mit denen wir im Laufe unseres Lebens Kontakt haben (picture-alliance/ dpa/dpaweb)
    Der Zahnstein ist so etwas wie eine kleine Zeitkapsel, die jeder Mensch in seinem Mund trägt. Darin sammeln sich nicht nur Bakterien, sondern auch Rückstände von Schadstoffen und Substanzen, mit denen ein Mensch in seinem Leben Kontakt hatte.
    Schon seit ein paar Jahren versucht Christina Warinner vom Max-Planck Institut für Menschheitsgeschichte in Jena dem Zahnstein von Menschen aus dem Mittelalter Geheimnisse zu entlocken. Jetzt ist ihr gemeinsam mit ihren Kollegen gelungen, die spannende Lebensgeschichte einer Nonne zu rekonstruieren.
    "Die Story dahinter ist wirklich interessant, denn es war ein absoluter Zufallsfund: Wir wollten ursprünglich herausfinden, wie stark die Zähne der Menschen im Mittelalter von Parodontose befallen waren. Ein Individuum fiel uns dabei besonders auf, und als meine Kollegin Anita Radini unter dem Mikroskop nachschaute, entdeckte sie Hunderte hell-leuchtender blauer Partikel im Zahnstein dieser Person.
    Wir hatten so etwas noch nie gesehen und haben uns wirklich gewundert, denn blaue Minerale waren im Mittelalter sehr selten."
    Ein verblüffender Fund
    Die Frau, deren Zahnstein so blau hervorstach, hat zwischen 1.000 und 1.200 nach Christi gelebt und lag auf dem Friedhof des Klosters Dalheim bei Paderborn in Nordrhein-Westfalen begraben. Als sie starb, war sie zwischen 45 und 60 Jahre alt. Genauere Analysen ergaben, dass es sich bei den blauen Partikeln im Zahnstein um das Mineral Lasurit handelt, das in Lapislazuli enthalten ist. Zu Lebzeiten der Nonne war dieses Mineral so kostbar wie Gold und die einzige Quelle war eine Mine in Afghanistan. Umso verblüffter waren die Forscher, dass sie in einem kleinen Kloster in Mitteldeutschland jemanden entdeckt hatten, der einen intensiven Kontakt mit diesem Gestein gehabt haben musste.

    "Niemand hätte vermutet, dass hier irgendjemand Zugang zu Lapislazuli hatte. Wir begannen deshalb zu spekulieren, ob diese Nonne eventuell eine Künstlerin war. Denn wie sonst lässt sich erklären, dass jemand Rückstände eines so wertvollen Minerals im Zahnstein trägt, wenn er oder sie nicht beruflich damit gearbeitet hat?"
    Theorien über die Ursachen der blauen Einlagerungen
    Christina Warinner und ihre Kollegen vermuten, dass die Nonne wertvolle Bücher wie beispielsweise Bibeln illustrierte und ihren Pinsel regelmäßig angeleckt hat, um das blaue Pigment möglichst präzise auftragen zu können. Zwar wäre es auch denkbar, dass die Frau Lapislazuli nur bearbeitet oder als Medizin eingenommen hat. Doch dieses Szenario halten die Forscher für eher unwahrscheinlich: Das Mineral sei zu kostbar gewesen und die Nonne war die einzige, in deren Zahnstein die Forscher Rückstände von Lapislazuli entdeckten.
    "Ich halte es wirklich für das wahrscheinlichste Szenario, dass die Frau eine Künstlerin war. Und was ich so interessant finde: Wir wissen, dass Frauen im Mittelalter eine wichtige Rolle bei der Produktion von Büchern spielten, besonders in Deutschland. Doch sie sind kaum sichtbar, weil sie als Zeichen der Demut ihre Werke meist nicht signiert haben. Deshalb ist es unglaublich, dass wir hier tatsächlich eine dieser Künstlerinnen gefunden haben, zumindest glauben wir das."
    Mehr über die Vergangenheit lernen
    Christina Warinner und ihre Kollegen hoffen, nun weitere Künstlerinnen aus dem Mittelalter anhand von Rückständen im Zahnstein identifizieren zu können. Oder mehr über ihre Tätigkeiten zu erfahren. Denn nicht nur Rückstände von Pigmenten lagern sich im Zahnstein ab.
    "Ein paar Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Ruß eingebettet wird. Was darauf hindeutet, dass sich jemand häufig in der Nähe einer Feuerstelle aufgehalten hat. Andere Forscher haben Spuren von Baumwolle im Zahnstein gefunden, was bedeutet, dass dieser Mensch vielleicht in der Textilherstellung gearbeitet hat. Momentan suchen wir deshalb intensiv nach solchen Hinweisen, die uns etwas über die Lebensweise der Menschen im Mittelalter verraten."