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Zankapfel Berg-Karabach

Nach internationalem Recht gehört das armenisch besiedelte Berg-Karabach zu Aserbaidschan, doch armenische Truppen halten die Provinz seit einem Krieg vor fast 20 Jahren besetzt. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu Gefechten.

Von Klaus Heymach | 04.09.2010
    "Der Ort, an dem ich geboren wurde, ist von den Armeniern besetzt. Dort liegt mein Vater begraben. Meine Mutter und ich wurden vertrieben. Als sie starb, musste ich ihr versprechen, ihre Asche eines Tages zum Grab meines Vaters zu bringen. Nach Berg-Karabach. Wenn ich dieses Versprechen nicht halte, wird mich ihr Geist bis zum Ende meiner Tage verfolgen."

    Ali Hasanov ist es ein ganz persönliches Anliegen, sich für ein Ende des Konflikts um Berg-Karabach einzusetzen. Der 62-Jährige ist als stellvertretender Regierungschef von Aserbaidschan für die Vertriebenen zuständig. Knapp 600.000 Aserbaidschaner leben nach neuesten Zahlen der UNO als Flüchtlinge im eigenen Land – das ist bei einer Bevölkerung von neun Millionen einer der höchsten Anteile weltweit. Sie warten noch immer auf die Rückkehr in ihre Dörfer und Städte, aus denen sie während des Kriegs mit Armenien fliehen mussten. Das ist fast 20 Jahre her.

    "Armenien blockiert die Verhandlungen seit 18 Jahren. Wir wollen keinen Krieg anfangen, um die besetzten Gebiete wieder zurückzuerobern. Wir haben bereits 20.000 Menschen im Krieg verloren, wir wollen keine neuen Kämpfe. Wir glauben an die Diplomatie. Doch die Geduld der Vertriebenen ist nicht endlos. Sie wird irgendwann an ihre Grenzen stoßen."

    Aran, nicht weit von der Grenze zu Bergkarabach. Hier, in diesem Flüchtlingslager, scheint die Geduld bereits erschöpft. Auf einem riesigen Feld stehen flache, mit Wellblech gedeckte Hütten, der Boden ist nackt, bedeckt nur mit vertrockneten Gräsern. In den Betonbaracken leben mehr als 400 Familien. Frauen in der bunten Tracht der Bäuerinnen klagen über den Boden, der zu trocken ist, um etwas anzupflanzen; über die Behausungen, die zu klein geworden sind – und sie klagen über die Armenier, die ihnen ihre Höfe in Berg-Karabach genommen haben. Aida Mammadova ist 46, sie ist aufgebracht:

    "Ich will kein neues Haus, keine neue Arbeit. Ich will nur zurück in meine Heimat. Was sollen wir hier machen? Wir haben keine Arbeit, es gibt nichts zu tun. Wenn man es uns erlaubt, dann gehen wir selbst und greifen zur Waffe. Für den Frieden werden wir niemals unsere Heimat verraten."

    Beide Seiten, Armenier wie Aserbaidschaner, betrachten Berg-Karabach als ihre Heimat. Tatsächlich waren dort jahrhundertelang beide Volksgruppen zuhause. Zu Sowjetzeiten, als die Mehrheit bereits armenisch war, wurde das Gebiet Aserbaidschan zugeschlagen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärten die Armenier in Berg-Karabach ihre Unabhängigkeit – obwohl Berg-Karabach als Enklave mitten in Aserbaidschan liegt. Es kam zu einem blutigen Krieg zwischen Armenien und Berg-Karabach auf der einen Seite des Schützengrabens – und Aserbaidschan auf der anderen. Der Krieg wurde erst 1994 mit einem Waffenstillstand beendet, der den Konflikt nicht löste. Die Enklave Berg-Karabach und sieben umliegende Provinzen sind heute von armenischen Truppen besetzt, was Aserbaidschan nicht akzeptieren kann. An der Grenze kommt es daher immer wieder zu tödlichen Schießereien, zuletzt in dieser Woche mit fünf Toten.

    Wirtschaftlich geht es Aserbaidschan so gut wie nie zuvor. Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer spülen Geld in die Kassen, das kommt auch den Flüchtlingen zugute. 100.000 von ihnen hat die Regierung in neu errichteten Dörfern untergebracht, Retortensiedlungen mit eigenen Schulen und Gemeindezentren. Doch die Unterkünfte sind weiterhin nur Provisorien, die Vertriebenen wollen nach wie vor zurück in ihre Dörfer und Städte.

    Unterdessen steckt Aserbaidschans Regierung viel Geld ins Militär. Die Streitkräfte sollen in die Lage versetzt werden, die verlorenen Gebiete im Ernstfall zurückzuerobern. Das Verteidigungsbudget ist groß, größer als der gesamte Staatshaushalt des Nachbarn und Erzrivalen Armenien. Der nimmt die Aufrüstung Aserbaidschans als deutliche Bedrohung wahr. Doch Armenien steht nicht allein.

    Es bekommt Rückendeckung vom traditionellen Bündnispartner Russland. Bei einem Staatsbesuch in Eriwan vergangenen Monat hat Kreml-Chef Dimitri Medwedew das Abkommen über die militärische Zusammenarbeit mit Armenien weiter verlängert. Das wiederum ruft Argwohn in Aserbaidschan hervor. Für Vize-Außenminister Araz Azimov steht indes fest: Auch Russland handelt nicht uneigennützig:

    "Russland betrachtet Armenien als Satelliten. Es hat fünf- oder zehntausend Soldaten dort stationiert und kontrolliert die armenische Wirtschaft. Russland verfolgt also eigene Interessen in Armenien. Aber auch wir sind wichtig für Russland. Wir haben Russland erklärt, dass es in seinem Interesse wäre, ein stabiles und berechenbares Land an seiner Südflanke zu haben. Mir scheint Russland hat das verstanden, erkennt die wachsende Bedeutung von Aserbaidschan und ist zunehmend bereit zur Zusammenarbeit. Das hat sich deutlich verbessert."

    Azimov ist Verhandlungsführer in Sachen Bergkarabach. Seine Linie ist klar: Am Prinzip der unverletzlichen Staatsgrenzen ist nicht zu rütteln, Armenien muss seine Soldaten abziehen. Der armenischen Bevölkerungsmehrheit von Berg-Karabach bietet Baku weitgehende Autonomierechte – aber eben keinen eigenen Staat. Weil Berg-Karabach und Armenien sich darauf nicht einlassen und auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker beharren, hat Baku jetzt erstmals eine mögliche gewaltsame Rückeroberung in seiner Militärdoktrin verankert.