Zeiten von Vertreibung und Exil, sondern einer ganzen kleinen, eigentümlichen und gewinnenden Welt, dem Mikrokosmos eines liebevollen, liebenswerten Lebens.
Der Name Marisa Madieri löst hier zu Lande kein Wiedererkennen aus. Dankenswerter Weise hat der deutsche Verlag dieses schmale Bändchen, das im italienischen Original unter dem Titel "Verde Aqua" bereits 1987 erschienenen ist, ausdrücklich mit dem Hinweis angekündigt, Marisa Madieri sei mit dem Triestiner Schriftsteller und Germanisten Claudio Magris verheiratet gewesen.
Sie, 1996 im Alter von nicht einmal sechzig Jahren gestorben, hat sein Leben und Arbeiten über Jahrzehnte begleitet. Sie ist die Frau gewesen, deren Gedächtnis er 1997 seinen Prosaband Microcosmi gewidmet hat, ein große Buch der Erinnerung, des Wanderns, der Suche, der Trauer und des Traums, das unter dem deutschen Titel "Die Welt en gros und en détail" seine Leser an die Fortdauer von Mitteleuropa erinnert und an die Unauslöschlichkeit der Liebe.
Wenn man mit Claudio Magris über Marisa Madieri spricht, sagt er, er habe manchmal das Gefühl gehabt, sie hätten ihre Bücher "mit vier Händen geschrieben".
Ich habe besonders in "Die Welt en gros und en détail", aber nicht nur in diesem Buch, und auch abgesehen von der Tatsache, dass wir das Leben wirklich mitgeteilt haben und natürlich auch das Schreiben - ganz anders, sie wäre nie im Stande gewesen, meine Bücher zu schreiben, und ich wäre nicht fähig, ihre Bücher zu schreiben: aber ich habe natürlich die Welt gesehen auch zum großen Teil mit ihren Augen und dann zusammen bearbeitet, und in dem Sinne wurde auch diese Geschichte durch ihre Person und durch unser gemeinsames Leben in mein Leben und meine Fantasie integriert.
Es ist nicht leicht zu sagen, was in Wassergrün im Fokus der erzählerischen Aufmerksamkeit steht. Die "Kindheit in Istrien", die der Untertitel verspricht, ist für die 1938 geborene Marisa sehr früh zu Ende; als 1947 die knapp drei Jahrzehnte zuvor von D'Annunzio und seinen Legionären abenteuerlich für Italien eroberte istrische Vielvölkerstadt Fiume, das heutige Rijeka, dem neuen Staat Jugoslawien zugeschlagen wird, verliert die national gesinnte Familie Madieri/Quarantotto mit ihren allerdings multiethnischen, italienisch-kroatisch-ungarisch-deutschen Wurzeln ihre Heimat in dem Augenblick, als die Eltern, Onkel, Tanten und Großmütter für Italien optieren. Und mit der Ausreise aus Fimue, mit der Ankunft in Triest, teilt man sich in das hunderttausendfache europäische Schicksal jener Jahre, das der Vertriebenen und der Exilierten.
Als Wohnung für hunderte von Familien dient in Triest der große, bis heute stehende Bau des "Silos", in habsburgischen Zeiten ein Kornspeicher und in den späten vierziger Jahren bis weit in die Fünfziger hinein in erbärmliche "Boxen" ohne Tageslicht und eigenen Wasseranschluss aufgeteilt, eine riesige Notunterkunft, ohne Kühlung im Sommer und ohne Heizung im Winter, von der jungen Marisa als "Vorhölle" ohne Intimität erlebt. Einzige Rückzugsmöglichkeit ist schon für die Heranwachsende die Literatur. Magris:
Die Literatur war sehr wichtig, weil die Literatur fast identisch für sie war mit diesem Prozess der Bewältigung der Vergangenheit, der Integrierung, der Rettung der Vergangenheit und auch - indem die Literatur zugleich authentisch und falsch ist (etwas sehr Dramatisches, besonders in dem Buch, aber auch ein Spiel) - die Möglichkeit, die Freiheit, nicht mehr dem Gewicht, der Gewalt der Unmittelbarkeit zu unterliegen. Die Literatur hat sicher ihr - mir auch - geholfen, am Ende nicht so sehr und manisch an die eigene Identität zu denken, zu wissen, dass man verschiedene Identitäten hat, und nicht nur die nationale - man hat natürlich eine kulturelle, eine politische, eine religiöse (wenn man sie hat) und so weiter, und so weiter. In dem Sinne: ein Prozess der Befreiung. Der Treue und Befreiung.
Mit den Erinnerungsbruchstücken dieses Heranwachsens, das unter dem Dreigestirn der Armut, der Scham und der inneren Einsamkeit steht, wechseln immer wieder durchaus heitere oder groteske Szenen aus dem Leben der weitverzweigten, auf Provisorien verteilten und doch irgendwie zusammenhaftenden Familie. Aus dieser bunten Menge "mittlerer" Charaktere, geschildert mit Anteilnahme und dem spürbarem Bemühen um nachgetragene Gerechtigkeit, sticht einzig und ganz und gar negativ die Großmutter Quarantotto mit ihrer "anmaßenden" Herrschsucht hervor. Und (völlig entgegengesetzt) eine weitere Figur, ihre aufopferungsvolle Tochter Jole, die liebende Mutter der Erzählerin. Denn das ist dieses Kindheitsbuch auch: das Bildnis einer Frau, die um ihr Leben betrogen wurde und alles getan hat, um ihren beiden Töchtern dieses Geschick zu ersparen.
Dies alles würde jedoch Wassergrün kaum hervorheben aus der Vielzahl jener in den achtziger Jahren noch seltenen Bücher, die mittlerweile ein veritables Genre darstellen, das der Geschichtsschreibung als Familienerinnerung. Und auch, wenn Madieris Buch, als es erschien, in Italien vor allem deshalb beachtet worden sein mag, weil hier - wenig opportun, aber beeindruckend angemessen - an das Tabu der Vertreibung gerührt wurde, sind es doch andere Qualitäten, die es seinem Leser im Wortsinn ans Herz wachsen lassen. Es ist die transzendente, geradezu kosmische und im besten Sinne religiöse Liebesfähigkeit seiner Erzählerin, gepaart mit unauffälliger und dabei bewegender Diskretion in der Darstellung.
Deren scheinbare kunstlose Kunst lebt und webt aus der Fähigkeit, von den kleinen Dingen zu erzählen und so die Umrisse der großen erscheinen zu lassen, das nilgrüne Kleid zu beschreiben, das die Mutter der Tochter schenkt, damit sie zu einem Fest gehen kann, und was auf dem Fest
vielleicht geschah, nur in einem Satz mitklingen zu lassen: "Wassergrün heißt diese Farbe auch, die für mich noch heute die Farbe der Liebe ist." Magris:
Einmal hat sie gesagt in einem Interview, ich brauche so viele Ereignisse, um so wenige Seiten zu schreiben. Das Buch ist eben in den Pausen, in diesem Stakkato, und so hat man sehr stark und deutlich das Gefühl von einer langen Geschichte, von einer komplizierten Geschichte. Das Buch ist also voll von schönen und tragischen Familienzuständen und -ereignissen, und immer diese epische Kraft, auf das Wesentliche die Realität zu reduzieren.
Neben dem Reich der Glasfrüchte im nie geöffneten Salon in einer Straße in Fiume, welche die Erwachsene nie wieder finden würde, neben einer Kindheit, kristallisiert und eingeschlossen in einem unerreichbaren Atlantis am Meeresgrund der Zeit, kommt der Reichtum des gegenwärtigen Lebens zur Sprache, mit Mann und Kindern, Freunden und jenen Menschen, denen ihr soziales Engagement gilt, eines Lebens zwischen der tags so stillen Wohnung in Triest, den sich verschönernden Gassen der Stadt und den Reisegegenden, die wir aus "Die Welt en gros und en détail" von Claudio Magris kennen: dem Antholzer Tal, dem slowenischen Schneeberg und den "Inseln der Götter" im Kvarner Golf.
Dargeboten in Form tagebuchartiger, unregelmäßiger Notizen aus einer Zeitspanne von genau drei Jahren, zwischen November 1981 und 1984, thematisiert das Buch die Umstände seiner Entstehung, die Anlässe, bei denen die Erinnerung einsetzt, ebenso wie das Erinnerte selbst. Es ist der Geruch nach Frühling und feuchten Algen, die das Einst und das Jetzt verbinden, die Form feiner Wolken, die an die bläuliche Äderung des längst verlorenen Marmortischs der Großmutter Madieri gemahnen, und nicht immer stellt sich die Gegenwärtigkeit des Vergangenen freiwillig und schmerzlos ein: "Es gibt Tage", schreibt Marisa Madieri, "an denen ich gern zurückblicke, und andere, an denen die Vergangenheit trüb und verschwommen wird. (...) Plötzlich aber enthüllt der verborgene Faden der Zeit, der unser Leben webt, seine hartnäckige Kontinuität. Ein Riss mitten durchs Herz, eine heftige Erregung, und alles ist wieder gegenwärtig."
Ich glaube, das hat auch damit zu tun, das sie das Gefühl hatte, dass der eigentliche Protagonist des Buches die Zeit war und die Bewegung der Zeit. Denn es handelte sich nicht um eine Nostalgie, um Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit. Es geht um die Bewegung, um die Integrierung der Vergangenheit in die Gegenwart, wobei die Vergangenheit sich auch verändert in dieser Integrierung und auch die Gegenwart verändert. Und das heißt, eigentlich entsteht so, wieder durch kleine Hinweise, Skizzen oder durch manchmal sibyllinische Hinweise der unterseeische Roman nicht mehr des Kindes, sondern der reifen Frau, die sich einen dunklen,
schmerzlichen und verdrängten Teil ihres Erlebnisses wieder aneignet.
Für die Erzählerin von Wassergrün sind es wohl die überstandenen Einsamkeiten und Ängste, die die Angst der Gegenwart zu bannen vermögen, die Erfahrung erhaltener Liebe, die zur Liebe befähigt, und das innere Wissen, in einer unheilen Welt doch "im Eigentlichen" gelebt zu haben, das die unerschütterliche Hoffnung gibt, der eigenen Krankheit und dem, was irgendwann deren Folge sein muss, getröstet und standhaft ins Medusenauge blicken zu können.
Marisa Madieri
Wassergrün. Eine Kindheit in Istrien
Zsolnay Verlag, 160 S., EUR 16,90
Der Name Marisa Madieri löst hier zu Lande kein Wiedererkennen aus. Dankenswerter Weise hat der deutsche Verlag dieses schmale Bändchen, das im italienischen Original unter dem Titel "Verde Aqua" bereits 1987 erschienenen ist, ausdrücklich mit dem Hinweis angekündigt, Marisa Madieri sei mit dem Triestiner Schriftsteller und Germanisten Claudio Magris verheiratet gewesen.
Sie, 1996 im Alter von nicht einmal sechzig Jahren gestorben, hat sein Leben und Arbeiten über Jahrzehnte begleitet. Sie ist die Frau gewesen, deren Gedächtnis er 1997 seinen Prosaband Microcosmi gewidmet hat, ein große Buch der Erinnerung, des Wanderns, der Suche, der Trauer und des Traums, das unter dem deutschen Titel "Die Welt en gros und en détail" seine Leser an die Fortdauer von Mitteleuropa erinnert und an die Unauslöschlichkeit der Liebe.
Wenn man mit Claudio Magris über Marisa Madieri spricht, sagt er, er habe manchmal das Gefühl gehabt, sie hätten ihre Bücher "mit vier Händen geschrieben".
Ich habe besonders in "Die Welt en gros und en détail", aber nicht nur in diesem Buch, und auch abgesehen von der Tatsache, dass wir das Leben wirklich mitgeteilt haben und natürlich auch das Schreiben - ganz anders, sie wäre nie im Stande gewesen, meine Bücher zu schreiben, und ich wäre nicht fähig, ihre Bücher zu schreiben: aber ich habe natürlich die Welt gesehen auch zum großen Teil mit ihren Augen und dann zusammen bearbeitet, und in dem Sinne wurde auch diese Geschichte durch ihre Person und durch unser gemeinsames Leben in mein Leben und meine Fantasie integriert.
Es ist nicht leicht zu sagen, was in Wassergrün im Fokus der erzählerischen Aufmerksamkeit steht. Die "Kindheit in Istrien", die der Untertitel verspricht, ist für die 1938 geborene Marisa sehr früh zu Ende; als 1947 die knapp drei Jahrzehnte zuvor von D'Annunzio und seinen Legionären abenteuerlich für Italien eroberte istrische Vielvölkerstadt Fiume, das heutige Rijeka, dem neuen Staat Jugoslawien zugeschlagen wird, verliert die national gesinnte Familie Madieri/Quarantotto mit ihren allerdings multiethnischen, italienisch-kroatisch-ungarisch-deutschen Wurzeln ihre Heimat in dem Augenblick, als die Eltern, Onkel, Tanten und Großmütter für Italien optieren. Und mit der Ausreise aus Fimue, mit der Ankunft in Triest, teilt man sich in das hunderttausendfache europäische Schicksal jener Jahre, das der Vertriebenen und der Exilierten.
Als Wohnung für hunderte von Familien dient in Triest der große, bis heute stehende Bau des "Silos", in habsburgischen Zeiten ein Kornspeicher und in den späten vierziger Jahren bis weit in die Fünfziger hinein in erbärmliche "Boxen" ohne Tageslicht und eigenen Wasseranschluss aufgeteilt, eine riesige Notunterkunft, ohne Kühlung im Sommer und ohne Heizung im Winter, von der jungen Marisa als "Vorhölle" ohne Intimität erlebt. Einzige Rückzugsmöglichkeit ist schon für die Heranwachsende die Literatur. Magris:
Die Literatur war sehr wichtig, weil die Literatur fast identisch für sie war mit diesem Prozess der Bewältigung der Vergangenheit, der Integrierung, der Rettung der Vergangenheit und auch - indem die Literatur zugleich authentisch und falsch ist (etwas sehr Dramatisches, besonders in dem Buch, aber auch ein Spiel) - die Möglichkeit, die Freiheit, nicht mehr dem Gewicht, der Gewalt der Unmittelbarkeit zu unterliegen. Die Literatur hat sicher ihr - mir auch - geholfen, am Ende nicht so sehr und manisch an die eigene Identität zu denken, zu wissen, dass man verschiedene Identitäten hat, und nicht nur die nationale - man hat natürlich eine kulturelle, eine politische, eine religiöse (wenn man sie hat) und so weiter, und so weiter. In dem Sinne: ein Prozess der Befreiung. Der Treue und Befreiung.
Mit den Erinnerungsbruchstücken dieses Heranwachsens, das unter dem Dreigestirn der Armut, der Scham und der inneren Einsamkeit steht, wechseln immer wieder durchaus heitere oder groteske Szenen aus dem Leben der weitverzweigten, auf Provisorien verteilten und doch irgendwie zusammenhaftenden Familie. Aus dieser bunten Menge "mittlerer" Charaktere, geschildert mit Anteilnahme und dem spürbarem Bemühen um nachgetragene Gerechtigkeit, sticht einzig und ganz und gar negativ die Großmutter Quarantotto mit ihrer "anmaßenden" Herrschsucht hervor. Und (völlig entgegengesetzt) eine weitere Figur, ihre aufopferungsvolle Tochter Jole, die liebende Mutter der Erzählerin. Denn das ist dieses Kindheitsbuch auch: das Bildnis einer Frau, die um ihr Leben betrogen wurde und alles getan hat, um ihren beiden Töchtern dieses Geschick zu ersparen.
Dies alles würde jedoch Wassergrün kaum hervorheben aus der Vielzahl jener in den achtziger Jahren noch seltenen Bücher, die mittlerweile ein veritables Genre darstellen, das der Geschichtsschreibung als Familienerinnerung. Und auch, wenn Madieris Buch, als es erschien, in Italien vor allem deshalb beachtet worden sein mag, weil hier - wenig opportun, aber beeindruckend angemessen - an das Tabu der Vertreibung gerührt wurde, sind es doch andere Qualitäten, die es seinem Leser im Wortsinn ans Herz wachsen lassen. Es ist die transzendente, geradezu kosmische und im besten Sinne religiöse Liebesfähigkeit seiner Erzählerin, gepaart mit unauffälliger und dabei bewegender Diskretion in der Darstellung.
Deren scheinbare kunstlose Kunst lebt und webt aus der Fähigkeit, von den kleinen Dingen zu erzählen und so die Umrisse der großen erscheinen zu lassen, das nilgrüne Kleid zu beschreiben, das die Mutter der Tochter schenkt, damit sie zu einem Fest gehen kann, und was auf dem Fest
vielleicht geschah, nur in einem Satz mitklingen zu lassen: "Wassergrün heißt diese Farbe auch, die für mich noch heute die Farbe der Liebe ist." Magris:
Einmal hat sie gesagt in einem Interview, ich brauche so viele Ereignisse, um so wenige Seiten zu schreiben. Das Buch ist eben in den Pausen, in diesem Stakkato, und so hat man sehr stark und deutlich das Gefühl von einer langen Geschichte, von einer komplizierten Geschichte. Das Buch ist also voll von schönen und tragischen Familienzuständen und -ereignissen, und immer diese epische Kraft, auf das Wesentliche die Realität zu reduzieren.
Neben dem Reich der Glasfrüchte im nie geöffneten Salon in einer Straße in Fiume, welche die Erwachsene nie wieder finden würde, neben einer Kindheit, kristallisiert und eingeschlossen in einem unerreichbaren Atlantis am Meeresgrund der Zeit, kommt der Reichtum des gegenwärtigen Lebens zur Sprache, mit Mann und Kindern, Freunden und jenen Menschen, denen ihr soziales Engagement gilt, eines Lebens zwischen der tags so stillen Wohnung in Triest, den sich verschönernden Gassen der Stadt und den Reisegegenden, die wir aus "Die Welt en gros und en détail" von Claudio Magris kennen: dem Antholzer Tal, dem slowenischen Schneeberg und den "Inseln der Götter" im Kvarner Golf.
Dargeboten in Form tagebuchartiger, unregelmäßiger Notizen aus einer Zeitspanne von genau drei Jahren, zwischen November 1981 und 1984, thematisiert das Buch die Umstände seiner Entstehung, die Anlässe, bei denen die Erinnerung einsetzt, ebenso wie das Erinnerte selbst. Es ist der Geruch nach Frühling und feuchten Algen, die das Einst und das Jetzt verbinden, die Form feiner Wolken, die an die bläuliche Äderung des längst verlorenen Marmortischs der Großmutter Madieri gemahnen, und nicht immer stellt sich die Gegenwärtigkeit des Vergangenen freiwillig und schmerzlos ein: "Es gibt Tage", schreibt Marisa Madieri, "an denen ich gern zurückblicke, und andere, an denen die Vergangenheit trüb und verschwommen wird. (...) Plötzlich aber enthüllt der verborgene Faden der Zeit, der unser Leben webt, seine hartnäckige Kontinuität. Ein Riss mitten durchs Herz, eine heftige Erregung, und alles ist wieder gegenwärtig."
Ich glaube, das hat auch damit zu tun, das sie das Gefühl hatte, dass der eigentliche Protagonist des Buches die Zeit war und die Bewegung der Zeit. Denn es handelte sich nicht um eine Nostalgie, um Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit. Es geht um die Bewegung, um die Integrierung der Vergangenheit in die Gegenwart, wobei die Vergangenheit sich auch verändert in dieser Integrierung und auch die Gegenwart verändert. Und das heißt, eigentlich entsteht so, wieder durch kleine Hinweise, Skizzen oder durch manchmal sibyllinische Hinweise der unterseeische Roman nicht mehr des Kindes, sondern der reifen Frau, die sich einen dunklen,
schmerzlichen und verdrängten Teil ihres Erlebnisses wieder aneignet.
Für die Erzählerin von Wassergrün sind es wohl die überstandenen Einsamkeiten und Ängste, die die Angst der Gegenwart zu bannen vermögen, die Erfahrung erhaltener Liebe, die zur Liebe befähigt, und das innere Wissen, in einer unheilen Welt doch "im Eigentlichen" gelebt zu haben, das die unerschütterliche Hoffnung gibt, der eigenen Krankheit und dem, was irgendwann deren Folge sein muss, getröstet und standhaft ins Medusenauge blicken zu können.
Marisa Madieri
Wassergrün. Eine Kindheit in Istrien
Zsolnay Verlag, 160 S., EUR 16,90