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Zarter Schmelz zu hohem Preis

Gänsestopfleber schmeckt lecker und wird in Frankreich traditionell an Weihnachten und Silvester gegessen. Jedes Jahr werden hier alleine 22.000 Tonnen Geflügelleber verarbeitet. Die Mastmethoden sind bis heute brutal.

Von Christoph Wöß | 23.12.2010
    Für Karine kommt der Gänseleberkurs genau zur rechten Zeit.

    "In Frankreich isst man Gänsestopfleber traditionell an Weihnachten oder Silvester, mit der Familie oder mit Freunden",

    erzählt die L'Oréal-Produktmanagerin aus Paris. Auf dem Tisch vor Karine liegt eine rund 600 Gramm schwere frische Gänseleber, oder wie es auf Französisch heißt, Foie Gras. Und die muss jetzt erst einmal von den Blutbahnen befreit werden, erklärt Kursleiterin Martine Larnaudie.

    "Da, sehen Sie sie? Das ist die Vene, und die holen Sie jetzt mit dem Messer aus der Leber heraus, denn andernfalls gibt es später unschöne Blutflecken"."

    Wenn alle Adern entfernt sind, wird die Leber gewürzt – mit Salz und Pfeffer, Zimt und Muskatnuss und mit Armagnac. Während die Leber durchzieht, haben die Kursteilnehmer Zeit, zu diskutieren. Dass die Geflügellebern nur so groß sind, weil die Gänse und Enten extrem gemästet, ja sogar gestopft werden, findet Laurent, der in Marseille als Briefträger arbeitet, schrecklich.

    ""Diese Fotos, die man immer sieht, mit den Enten, denen man den Kopf nach hinten dreht, um ihnen dann ein enormes Rohr in den Schlund zu stopfen, das ist schon schlimm."

    Und die Kursleiterin räumt ein:

    "Man kann es gut oder schlecht machen. Wenn Sie schlecht mästen, kriegt das Tier einen Schock, die Leber bekommt Blutergüsse. Meine Großmutter hat ihre Gänse und Enten noch mit den Händen gestopft. Sie nahm sie zwischen ihre Oberschenkel und massierte beim Stopfen sanft den Hals der Tiere. Heute wird meist mit Maschinen gemästet. Wenn man es richtig macht, dann tut es dem Tier nicht weh."

    Doch nicht alle machen es richtig, dafür sorgt schon die Massenproduktion. 22.000 Tonnen Geflügelleber verarbeitet Frankreich jedes Jahr. Der Löwenanteil stammt von französischen Enten und Gänsen, doch immerhin 3.000 Tonnen werden aus Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien importiert und in Frankreich nur weiterverarbeitet. Eines von sieben Foie-Gras-Gläsern wird exportiert, vor allem nach Japan. Den Rest essen die Franzosen selbst. Sechsmal im Jahr kommt in einem französischen Durchschnittshaushalt Gänse- oder Entenstopfleber auf den Tisch. Auch Kinder essen sie völlig selbstverständlich.

    Die Kursteilnehmer haben die marinierte rohe Leber inzwischen vorsichtig in kleine Einmachgläser geschichtet und im Wasserbad erhitzt. Das frische Glas muss noch drei Wochen im Kühlschrank ruhen, damit die Spezialität ihren vollen Geschmack entfaltet. Den Teilnehmern serviert Martine deshalb die Gänseleber aus dem Vorgängerkurs, mit einem kleinen Tupfer Feigenchutney obendrauf, auf einem frisch gerösteten Baguette.

    Wenn die Gänseleber auf der Zunge förmlich zerschmilzt und sich auf dem Gaumen mit dem Aroma der Feige vermischt, scheint die Gehirnregion, die für den Tierschutz zuständig ist, vorübergehend betäubt. Für einen langen Augenblick ist man überzeugt: Dieser Geschmack ist eine Sünde wert.