Archiv


Zauber der Ferne - Imaginäre Reisen im 19. Jahrhundert

"Die große, weite Welt hat die Menschen seit jeher fasziniert. Doch erst mit dem Kolonialismus, dem beginnenden Tourismus und der Reiseliteratur rückte die Ferne plötzlich in greifbare Nähe. Reisen blieb allerdings noch lange eine elitäre Angelegenheit. Wer sich keine "echten" Reisen leisten konnte, für den gab es im 19. Jahrhundert als Alternative eine Vielzahl an Reiseillusionen – kostengünstig, ungefährlich und ohne großen Zeitaufwand" - heißt es in der Ankündigung des Wien Museums.

Wolfgang Kos im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Ein Mausklick und man weiß heute genau, wie es in welcher amerikanischen Stadt aussieht. So kann man zum Beispiel in Florida am Strand liegen oder durch die Straßen von Chicago schlendern – Google macht's möglich. Von Datenschützern wird das Internetangebot argwöhnisch beäugt, doch zugleich fasziniert es die Nutzer mit Fernweh. Auch über andere Regionen der Welt kann man sich heute ganz einfach im Internet oder durch Bücher und Filme informieren, eine Entwicklung, die im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Durch den Kolonialismus, den beginnenden Tourismus und die erste Reiseliteratur rückte damals die große, weite Welt in greifbare Nähe und es entstand ein ganzer Geschäftszweig mit imaginären Reisen für Menschen, die sich das Reisen nicht leisten konnten. Darum geht es nun im Wien Museum in einer Ausstellung. Frage an den Museumsdirektor Wolfgang Kos: Herr Kos, was machte man denn damals für Reisen im 19. Jahrhundert?

    Wolfgang Kos: Reisen im Sinn von Vergnügungsreisen war natürlich mit dem Dampfschiff, mit der Bahn, es gab aber auch die Kurreisen und das, und dann gab es Moden wie die Ägyptenmode und Venedig musste irgendwann besucht werden, aber das bezieht sich natürlich für eine sehr schmale Oberschicht, und es waren die Forschungsreisen, die dann Berichte schrieben aus Amerika oder sonst woher. Man könnte aber sagen, es sind alle gereist, denn Bild oder Ferne waren plötzlich präsent, und die Schausteller haben zum Beispiel sehr schnell darauf reagiert in dem Unterhaltungsangebot. Die Panoramen, die Bioramen – das waren alles Maschinenvorrichtungen, die man zusammengebaut hat, wo man irgendwelche Bilder gezeigt hat, zum Teil sogar welche, die sich bewegt haben, mit Lichteffekten, Vulkan bei Tag, Vulkan bei Nacht. Die sind von Stadt zu Stadt gezogen, da sind auch erste Themenparks entstanden, um ein heutiges Wort zu verwenden.

    Schäfer-Noske: Herr Kos, was von diesen Dingen ist denn in Ihrer Ausstellung zu sehen?

    Kos: Wir haben natürlich Bildzeugen aller Art, vor allem haben wir aber auch einige der Apparaturen, zum Beispiel einen dieser Guckkästen, wir haben ein Panorama, den Nachbau eines sogenannten Kaiserpanoramas, wir haben Laterna magica, Bilder, ich meine, man muss sich hier wirklich vorstellen, das waren ja heute abstrus anmutende Inszenierungen. Man konnte mitten in Wien ins Elysium gehen beispielsweise, das war ein Unterhaltungslokal, wo man essen, tanzen, flirten gehen konnte, groß ausgehen, hunderte Leute, und jeder Kontinent hatte einen Saal. Da ist ein Eisenbähnle durchgefahren, es hat echte Wasserfälle gegeben, zum Teil sogar lebende Tiere, Papageien und vieles mehr.

    Schäfer-Noske: Herr Kos, und die Leute, die diese Sachen hergestellt haben, waren die denn überhaupt dort oder waren das Erfahrungen à la Karl May, die hier ihren Niederschlag gefunden haben?

    Kos: Ich glaube, da hat ein Bild das andere gegeben. Dadurch, dass ja die wenigsten Leute genau wussten, wie das ausschaute, war hier so der Phantasie genug Raum gegeben. Und später aber, und die Ausstellung reicht eben bis zu den Anfängen des Kinos ... Einer der ersten Welterfolge war übrigens eine Verfilmung von Jule Vernes Marsreise. Es gab ja nicht nur Reiseziele, die man tatsächlich bereisen hätte können. Aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts wusste man natürlich ziemlich genau, wie Venedig ausschaut und da wurde – ich glaube, das war der größte Nachbau einer Stadt in einer anderen Stadt – Venedig in Wien nachgebaut. Da waren Kanäle mit Palästen, mit Brücken, und da konnte man einkaufen, da gab es Restaurants, und das war so ein Erfolg, dass der Unternehmer es jahrelang betrieben hat. Das Wiener Riesenrad war übrigens eine Folge dieses erfolgreichen Venedig in Wien, denn der Betreiber hat sich gedacht, ich brauche nach vier, fünf Jahren eine neue Attraktion und hat das Riesenrad dazugestellt.

    Schäfer-Noske: Warum ist es damals abgebaut worden? Ist es dann zerstört worden?

    Kos: Es war ja nicht auf Dauer, das war ja Unterhaltungsarchitektur. Es war schon eine Filmstadt, so wie eine Wild-West-Stadt ja auch gebaut wurde. Apropos Wild-West, es gab natürlich auch Tourneen durch ganz Europa, Buffalo Bill ist mit 200, 300 Reitern und Indianern durch Europa gezogen. Es gab aber auch sogenannte Tierschauen und Menschenschauen, Stämme aus Afrika, Gruppen sind auf Europatour gegangen und haben dann vor den Leuten gekocht, gezeigt, wie man in ihrer Heimat lebt und das war natürlich ein Gaffen, das uns heute merkwürdig erscheint, natürlich politisch inkorrekt erscheint. Aber ganz so anders ist es nicht, wenn ich zum Beispiel eine Reise in den Amazonas buche oder nach Indonesien und ich kann dann einen Tag eine spezielle Reise in ein spezielles Schutzgebiet machen, wo ich dann Ureinwohner bei ihren normalen Tätigkeiten beobachten darf.

    Schäfer-Noske: Das war der Direktor des Wien Museums Wolfgang Kos über eine Ausstellung dort zu Reiseillusionen im 19. Jahrhundert.

    Die Ausstellung "Zauber der Ferne - Imaginäre Reisen im 19. Jahrhundert"