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Zauber hinter der Abschottung

Die iranische Stadt Isfahan ist im Westen vor allem bekannt durch das umstrittene Atomprogramm, das Präsident Mahmoud Ahmedinejad vorantreibt. Doch Isfahan - im Zentral-Iran gelegen auf einer Hochebene von knapp 1600 Metern, umzingelt von Bergen - ist vor allem eine der schönsten Städte des Landes.

Von Manuela Römer | 01.07.2007
    Isfahan - nisf jahan: "Isfahan ist die halbe Welt", sagen die Iraner. Kein Wunder, schon der zentrale Platz am Fuß des Zagros-Gebirges ist so groß, dass für Besucher Pferdekutschen bereit stehen, um ihn zu erkunden. Die Männer auf ihren schwarzen Wagen mit roten Speichenrädern buhlen um die wenigen Touristen. Im 17. Jahrhundert war der Meydan-e Imam das Zentrum der damaligen Hauptstadt des Safawiden-Reiches unter Schah Abbas dem Großen. Angeblich ist er der größte Platz der Erde - fünf Fußballfelder lang.

    " Schah Abbas wollte diesen Platz zur neuen Stadtmitte machen, zu einem Zentrum für seine neue Hauptstadt. Er baute hier seinen Palast als Symbol für Politik, seine Moschee als Symbol für Religion, die als theologische Schule gedachte Lotfallah-Moschee als Symbol für Bildung und den Bazar als Symbol für Wirtschaft - vier Aspekte des damaligen Lebens. "

    So hieß der Platz früher "Das Abbild der Welt": Naqsch-e jahan. Für den 28jährigen Literaturwissenschaftler Mahmoud ist hier die blau gefließte königliche Moschee, heute Imam-Moschee, eine architektonische Meisterleistung. Vor dem hohen Eingangsportal, dem Iwan, mit seinen beiden Minaretten fühlt man sich klein. An den Toren bezeugen Einschusslöcher den Einfall der Afghanen von 1722. Im Inneren unter der imposanten Kuppel beeindruckt die Akustik. Wenn man mit den Füßen auf dem Boden stampft, bringt das Echo die Tritte zurück.

    Zur Freitagspredigt versammeln sich die Gläubigen draußen auf dem Platz vor der Imam-Moschee.

    Es geht nicht um Religion, sondern um die Atompolitik. Aus den Lautsprechern dringen Aufrufe gegen die Feinde des Iran. Mäßig enthusiastisch hallt ein "Tod den USA, Tod Israel" über den Platz.

    Auf ausgerollten Teppichen beten die Menschen nun - links die Frauen, rechts die Männer.

    Hinter ihnen flache Wasserbecken. Die Gläubigen nutzen sie für die rituellen Waschungen, bei denen sie sich vor dem Gebet symbolisch Gesicht, Hände und Füße reinigen. Gegenüber der Imam-Moschee auf der anderen Seite des Platzes stehen die Busse, in denen die Menschen aus dem Umland hergebracht wurden. Gleich in der Nähe parken zahlreiche Mopeds ordentlich nebeneinander aufgereiht. Viele davon von der freiwilligen Volksmiliz, den Bessijis. Sie haben auch die handvoll Ausländer fest im Blick, die mit etwas Abstand auf Steinbänken das Freitagsritual verfolgen.

    Am Nachmittag nehmen die Männer die Rasenflächen des Imam-Platzes in Besitz: An der südlichen Stirnseite direkt vor der Imam-Moschee spielen sie begeistert und lautstark Fußball. Die Nähe von Spiel und Religion gab es auch früher schon, sagt der Literaturkritiker Mahmoud, während er zwischen zwei Steinpfeilern steht.

    " Hier, das sind die Tore für das Polo-Spiel zur Zeit von Schah Abbas. Das andere Tor ist weit weg ganz auf der anderen Seite. Abbas saß dort drüben in seinem Ali-Qapu-Palast auf der Terrasse und verfolgte das Spiel."

    Mahmoud steuert auf die kleine Lotfallah-Moschee zu, die sich gegenüber des Palastes befindet. Sie fällt auf, weil ihr die Minarette fehlen. Die Lotfallah-Moschee war eigentlich auch als Medresse, als theologische Schule, geplant. Dort wollte der libanesische Geistliche Lotfallah seine Schüler unterrichten, starb aber auf dem Weg in den Iran. Mahmoud lächelt: Der große, schlacksige Mann im blauen Trenchcoat, weißen Schal und schwarz umrandeter Sartre-Brille kommt nicht zum Beten in die Moschee.

    " Ich liebe diese Moschee. Manchmal komme ich hierher, wenn ich einsam bin und dann meditiere ich. Die Moschee ist so schön, einfach so schön. Einige der großen Mullahs aus den alten Zeiten sagten den Leuten, sie sollten nicht in der Lotfallah-Moschee zu Gott sprechen, weil die Moschee so schön ist, dass sie sich nicht auf ihr Gebet konzentrieren könnten. "

    Im Armenierviertel Jolfa stehen noch viele der alten Lehmhäuser. Auch die Anfang des 17. Jahrhunderts erbaute Vank-Kathedrale, bis heute das religiöse und geistliche Zentrum der christlichen Armenier von Isfahan, ist mit Lehm verputzt. So wirkt sie beim ersten Blick so unscheinbar, dass sie als Kirche kaum zu erkennen ist. Nicht weit davon gibt eine Ausfallstraße Richtung Süden den Blick frei auf den schneebedeckten Soffeh-Berg, der sich aus der Hochebene erhebt.

    " Es ist ein sehr schönes Viertel mit vielen traditionell gebauten Häusern, und es ist sehr ruhig. Weißt Du, in anderen Gegenden in Isfahan sind die Leute sehr konservativ und sie meinen, alle die da leben, müssten so sein wie sie. Aber die Armenier sind nicht so und deshalb hat man hier etwas mehr Freiheit. "

    Mina ist Mikrobiologin und Übersetzerin und hat sich als Muslimin bewusst das Christenviertel als Wohnort ausgesucht. An einer Straßenecke kauft sie Isfahani Gaz, eine Süßigkeitenspezialität, die nach Rosenwasser schmeckt. Gegenüber hängt noch ein Plakat, das Isfahan als islamische Kulturhauptstadt 2006 preist.

    Auf der anderen Seite der Ausfallstraße wird es ruhig. Manche Hauswände sind mit armenischen Schriftzügen besprüht.

    Geht man weiter, stößt man schließlich auf ein offenes Kanalsystem. Die Deutschlehrerin Mariam ist hier auf dem Weg zum Haus ihrer Freundin.

    " Was wir hier sehen, sind Kanäle, die vor 300 Jahren von einem Mystiker in Isfahan geplant wurden. Wenn es stark regnet oder es Überschwemmungen gibt, dann fließt das Wasser durch diese Kanäle und schadet der Stadt nicht mehr. "

    Am Rand der alten Kanäle sitzen alte Männer auf ebenso alten Stühlen vor einem Geschäft. Unter der Hand wird hier Alkohol verkauft - was in der islamischen Republik strafbar ist. Die Atomanlagen in der Nähe der Stadt scheinen weit enfernt.

    Der Fluss Zayandeh Rud teilt Isfahan in Nord und Süd. Am Teehaus, dem Tschai Chane, an der 33-Bogenbrücke rauscht das Wasser nah an den Tischen vorbei.

    Während die Hisbollah, die iranische Partei Gottes, vor dem Teehaus einen Büchertisch aufgebaut hat und für sich Werbung macht, sitzen Pärchen im Schutz der Bögen und turteln - unter Aufsicht. Bei Unverheirateten ist immer jemand dabei. Gegen Abend zieht es sie weiter auf den belebten Boulevard, der am Ende der 33-Bogenbrücke beginnt.

    Die beiden Verkehrsrichtungen sind in der Mitte durch einen Grünstreifen für Flaneure getrennt. Hier kann man auch mal einen Rollerblader entdecken, der sich vielleicht im Sportgeschäft am Anfang des Boulevards hat ausstatten lassen.

    Es ist die Straße der Geschäfte und Lokale. Im Restaurant Shahrazad, das nach der Erzählerin der Geschichten von 1001 Nacht benannt ist, wartet Jawad Kheradmande auf seine Gäste. Denn heute Abend wird die Hochzeit seiner Tochter gefeiert. Jawad Kheradmande betreibt ein Geschäft mit Haushaltsgeräten. Als er noch jung war, lebte er zwei Jahre lang in Deutschland. Nun steht der 65jährige Brautvater ungeduldig an der Tür. Die Gäste lassen auf sich warten.

    " Es werden 200 Leute kommen: 100 Männer und 100 Frauen. Meine Tochter ist in einem anderen Salon, nicht in diesem. In dem anderen Salon sind alles Frauen. Der Platz ist zu klein. Wenn hier mehr Platz wäre, würden die Männer und die Frauen zusammen sitzen. "

    Doch traditionell feiern Braut und Bräutigam ihre Hochzeit ohnehin nach Geschlechtern getrennt. - Wer neu ist in Isfahan, muss unbedingt ein typisches Gericht der Stadt kosten. Jawad Kheradmande empfiehlt besonders Vorspeisen, zum Beispiel das knallgelbe Choresch Mass.

    " Das ist Joghurt, Safran und Fleisch, gutes Fleisch. Die Leute essen es hier. Es gibt es nicht in anderen Städten wie Teheran oder Shiraz. Nur in Isfahan! Es schmeckt sehr gut, prima: Choresch Mass. "

    An der Nordseite des Imam-Platzes, auf dem jeden Freitag im Freien gebetet wird, öffnet sich das Qeisariye-Tor zum Basar. Der Eingangsbereich ist mit historischen Wandmalereien verziert, die die Wächter der islamischen Republik erstaunlicherweise noch nicht überstrichen haben: Ein Mann umfasst lustvoll von hinten die Brüste einer Frau. Es ist vermutlich die einzige öffentliche Darstellung von Erotik in Isfahan.

    Baseball-Mütze auf dem Kopf, kurzer Bart und Silberringe an den Fingern: So steht der Kunsthandwerker Massoude Sheikh Bahaie in seinem kleinen Werkstattladen und arbeitet an einem Metallbild.

    Massoude beschreibt wie er sein Motiv erst aufzeichnet, dann die Linien mit Nadeln perforiert und schließlich diese Vorlage auf ein Kupferblech überträgt: Das typische Geräusch sind die Hammerschläge, mit denen die Nägel das Blech bearbeiten. Als Unterlage wird eine Bitumenplatte benutzt, die zuvor mit dem Bunsenbrenner geschmeidig gemacht wurde.

    Massoude ist eigentlich Bergbau-Ingenieur, doch seit zwei Jahren studiert er an der Universität Kunst und arbeitet im Laden der Familie. Dort bildet er auch Mädchen aus, damit sie wie er Korantexte, Vögel oder Blumen kunstvoll ins Kupfer hämmern können.

    Im touristischen Teil des Bazars verkauft der Händler Amir Nomadenkoffer. Mafrasch heißen die Einzelstücke, die wie bunte Säcke mit Lederriemen vor seinem Laden liegen.

    " Wenn die Nomaden von einem Platz zum nächsten ziehen, verstauen sie all ihre Sachen darin, besonders das Bettzeug. Sie laden die "Koffer" auf Pferde oder Kamele. Der Keschkeh-Stamm bei Shiraz stellt sie her. Das ist der größte Stamm im Iran. "

    Alles sei natürlich: das Leder der Riemen, die Wolle von Hand gesponnen und gefärbt mit Pflanzenfarben.

    " Wir können sagen, es ist mit Liebe gewoben. Ohne festgelegtes Muster, sondern ganz intuitiv. Es ist kein Industrieprodukt - eben mit Liebe gemacht. "

    An einem Schaufenster mit traditionellen Miniaturmalereien in einem anderem Teil des Bazars lehnt ein modernes Peugeot-Rennrad - während sonst in Isfahan nicht allzu viele Fahrradfahrer zu entdecken sind. Es gehört dem Ladenbesitzer Taqi Zadeh. Im Jahr 1334 des iranischen Kalenders, also vor über 50 Jahren wurde er Zweiter bei den iranischen Radmeisterschaften. Noch heute benutzt er sein Rad täglich, wie ein iranischer Kunde erklärt.

    " Etwa vor drei, vier Jahren kam sogar das staatliche Fernsehen hierher und hat darüber berichtet, wie der Händler jeden Tag mit dem Rad von seinem Haus zu seinem Laden und zurück fährt. Denn sie wollten auch andere Leute motivieren, nicht das Auto oder den Bus zur Arbeit zu nehmen, sondern das Fahrrad. "

    An die Frauen war der Aufruf allerdings nicht gerichtet. Fahrradfahren in der Öffentlichkeit gilt bei Frauen als unsittlich. Für sie soll es daher einen eigens dafür abgesperrten Park geben - abgeschirmt von den Männern.

    Der Miniaturmaler wechselt das Thema und zeigt die Farbtuben in seinen Schubladen.

    " Fast alles, was ich male, entspringt meiner Phantasie. Hier greift ein Löwe ein zum Beispiel ein Schaf an. Und hier wird auf dem Imam-Platz Polo gespielt wird. Das sind die Pferde und da der Ali Qapu Palast."

    Für seine Arbeiten benutzt Taqi Zadeh Farben aus den USA - ausgerechnet vom Erzfeind des Iran.

    Lässt man die Geschäfte hinter sich und schlendert ans Südende des Imam-Platzes fast bis zur Moschee, kommt man am Bastani-Restaurant vorbei. An diesem Abend sitzt ein Angestellter am Eingang und übt langsam und ausdauernd das Krawattenbinden. Per Verwaltungsvorschrift sind Krawatten zumindest für Beamte verboten. Es gilt als Anbiederung an die Werte des Westens.

    Alles eine Frage der Sichtweise, sagt der junge Literaturwissenschaftler Mahmoud. Das habe schon Shah Abbas gewusst, als er auf dem Imam-Platz seinen Ali-Qapu-Palast errichten ließ.

    " Wenn man den Palast von verschiedenen Seiten anschaut, dann hat er unterschiedlich viele Etagen. Von der einen Seite drei, von der anderen vier und von der nächsten sieben Stockwerke. Im modernen Iran ist die Bedeutung von Architektur allerdings verloren gegangen. Aber der Architekt wollte uns etwas lehren: Du hast verschiedene Perspektiven im Leben, es kommt nur darauf an aus welcher Richtung Du schaust."