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Zauberhafte Dunkelheit

Zum Auftakt der Spielzeit bringt Regisseur Sebstian Nübling ein Stück über Außenseiter auf die Bühne der Münchner Kammerspiele.

Von Sven Ricklefs |
    In seinen wundervollen Inszenierungen und von denen gibt es inzwischen ungewöhnlich viele, in diesen wundervollen Inszenierungen gelingt Sebastian Nübling etwas, was sonst nur wenigen Theaterregisseuren gelingt: Er schafft für jeden Text, für jedes Stück eine eigene Ästhetik. Indem er sich so auf den jeweiligen Sound des Stückes einlässt, ihm eine ganz eigene und weit über die Geschichte hinausweisende Atmosphäre schafft, gibt er dem Zuschauer die Möglichkeit, viel von den transportierten Subtexten zu erfühlen, ohne dass die Geheimnisse des Werkes plakativ preisgegeben werden. Seit 2006 hat Sebastian Nübling nun schon einige dieser wundervollen Inszenierungen auch an den Münchner Kammerspielen herausgebracht, denen bei aller Verschiedenartigkeit eines gemeinsam war, eine gewisse szenische Leichtfüßigkeit, etwas Schwebendes, das Zauberhaft wirkt. Allerdings im eher dunklen Sinne des Wortes
    Und: Zauberhaft wirkt auch schon das Bühnenbild nun bei Tennessee Williams "Orpheus steigt herab": Da hängt ein leeres Kettenkarussell kopfüber und hoch von der Decke im sonst leeren Raum, hängt dort wie ein gestürzter Kindertraum und ist sich zunächst selbst genug. Oder: gehört da zunächst gar nicht hin, denn eigentlich erzählt dieses eher unbekannte Stück von Tennessee Williams die Geschichte von Lady Torrance der Ladenbetreiberin und damit die Geschichte der Tochter von jenem Italiener, der vor 20 Jahren hier in der kleinkarierten und rassistischen Hölle der amerikanischen Südstaatenprovinz einen entscheidenden Fehler beging, und dafür vom Mob gelyncht wurde:
    "Der Ithaka, der Vater, das war auch so eine Type, bis er verbrannt ist. Eines Tages hat er einen Fehler gemacht, einen schlimmen Fehler, er hat Alkohol verkauft an Nigger, da haben wir ihn ausgeräuchert, weggebrannt, niedergebrannt, Häuser niedergebrannt, Weinstöcke, Obstgarten, alles niedergebrannt, er selber ist verbrannt."
    Dass ausgerechnet ihr ohnehin verhasster Mann, dem sie sich nach dem Verlust des Vaters und nach einer enttäuschten Liebe hingab, den tödlichen Mob anführte, dass wird Lady Torrance erst jetzt klar. In dem Moment, in dem dieser Mann auf dem Sterbebett liegt, von dem er sich allerdings immer wieder mal erhebt, um seine Macht zu demonstrieren und in dem Moment, wo ein Fremder in die Stadt kommt. Dieser Orpheus, der herabsteigt, dieser Junge, der ein Nachtclubsänger war und der Val Xavier heißt, was amerikanisch gesprochen sehr nach Erlöser klingt, er wird ihr aushelfen beim Renovieren des Ladens, oder vielmehr des Fahrgeschäfts und er wird ihr ein Kind machen: Einmal, da klettern sie hinauf in das Dach des Karussells und verschwinden hoch oben im Rumpf, dann fällt ihr Rock. Das ist alles.
    "Wie lernt man sich dann kennen?
    Niemand lernt jemals den einen anderen kennen. Wir sind alle zu Einzelhaft verurteilt. In unserer eigenen Haut. Lebenslänglich."

    Der estnische Schauspieler Risto Kübar spielt und singt diesen Val Xavier, er war schon der Trickster in Sebastian Nüblings Uraufführungsinszenierung von Simon Stephans "Three Kingdoms”, und auch jetzt ist er wieder wie einer nicht von dieser Welt: zart und hart zugleich, bleich und doch präsent, einer der sich mit raubtierhaft-androgyner Eleganz bewegt und doch schüchtern wirkt, wenn ihm merkwürdige Gesten wie zu entgleiten scheinen. Und ihm zur Seite Wiebke Puls als Lady Torrance, auch sie zart und sehnig, groß und unendlich zerbrechlich. Den zerstörerischen Einfluss der Gesellschaft auf das sensible unangepasste Individuum hat Tennessee Williams einmal als sein einziges großes Thema beschrieben, und so fällt auch in "Orpheus steigt herab" die Meute über diese beiden her. In den Münchner Kammerspielen hat Regisseur Sebastian Nübling diese Meute auf wenige Archetypen zusammengeschnurrt: den Macher-Macker, den Sheriff und seine beiden Helfer, den fetten Puncher und den, auf dem Motorrad, und auf die beiden Frauen, grelle Vögel der üblen Nachrede. Aschblond sind sie alle, so als trügen sie ein trashiges Emblem ihrer weißen Hautfarbe zur Schau. Dass dieses Panoptikum kleingeistigen Mittelmaßes, das seit den 50er-Jahren nichts von seiner Aktualität verloren hat, keinem dem hohen freien Flug in die Freiheit gönnen kann, wer möchte das bezweifeln, und so bringt man sie zur Strecke just als sie endlich abgeflogen sind mit ihrem Kettenkarussell. Die beiden Ausreißer. Ein großartiges letztes Bild einer großartigen Inszenierung.