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Zaungast in Großbritannien

Die ägyptische Gemeinde in Groβbritannien umfasst geschätzte 250.000 Mitglieder, viele von ihnen sind hoch qualifiziert Akademiker. Ägypten ist für sie keine Heimat mehr. Aus der Ferne beobachten sie allerdings mit großem Interesse die Revolution am Nil.

Von Ruth Rach |
    Straβenmärkte, Billigläden, arabische Restaurants, afrikanische Take aways. Sherpherds Bush in Westlondon. In einer Seitenstraβe: die Gesellschaft für Ägypter in Groβbritannien, Egyptian UK.

    Ihr Vorsitzender Mostafa Ragab - zieht sich kurz zum Abendgebet zurück. Ein paar Minuten Ruhe in einer hektischen Zeit.

    Er bekommt seit kurzem pausenlos Anrufe, und Hunderte von E-Mails. Die Ägypter in Groβbritannien sind im ganzen Land verstreut und haben relativ wenig Kontakt untereinander, erzählt Mostafa Ragab. Aber die Vorgänge in Ägypten hätten sie enger zusammengebracht. Viele wollten ihm einfach nur ihr Herz ausschütten. Sie seien besorgt, aufgebracht - und stünden in der Mehrheit hinter dem Aufstand des Volkes.

    Mostafa Ragab hat eine erfolgreiche Geschäftskarriere hinter sich. Wie die Mehrheit der in Groβbritannien lebenden Ägypter hat er hier studiert, und lebt schon seit Jahrzehnten in London. Dennoch hat er weiterhin enge Kontakte zu seiner Heimat und denkt:

    "Präsident Hosni Mubarak hätte schon gestern abtreten sollen. Und wahrscheinlich hätte er das auch getan, denn er ist gar nicht mehr in der mentalen Verfassung, um im Amt zu bleiben. Aber die fat cats, der kleine Kreis mächtiger Berater und Geschäftsleute, setzen ihn unter Druck. Sie besitzen ein massives finanzielles Interesse am Status quo. Sie haben die ganze ägyptische Wirtschaft in ihre Pfründe aufgeteilt."
    Die bestehenden politischen Parteien hätten allesamt versagt, meint Mostafa Ragab. Sie seien zu schwach, korrupt und nutzlos, um Reformen voranzutreiben. Und die Armee?

    "Die Armee ist in einer schwierigen Position, denn ihr Chef ist eng mit Präsident Mubarak befreundet. Und doch sieht man auch in der Armee die Notwendigkeit politischer Erneuerungen ein. Sie ist nicht gespalten, ihr Herz schlägt für die Bevölkerung."

    Präsident Mubarak hat nur wenige Freunde in London, und die sitzen alle in der ägyptischen Botschaft, sagt auch Ahmed Assem, ein junger Brite ägyptischer Herkunft, der mit am Tisch sitzt. Dr Assem ist in Schottland geboren, und arbeitet als Wirtschaftsprüfer für den britischen Gesundheitsdienst. Er fährt regelmäβig nach Ägypten.

    Jedes Mal, wenn er seine Verwandten in Ägypten besucht hat, haben sie leidenschaftlich über Politik diskutiert. Dennoch hätten sie sich nie aktiv engagiert, weil sie bedroht wurden und Angst hatten. Und jetzt?

    "Die Geschehnisse haben mich total überrascht. Ich hätte nie und nimmer damit gerechnet. Wie ich mich fühle? Unendlich froh und erleichtert, dass endlich etwas in Bewegung geraten ist, und ja, optimistisch,dass die Sache gut ausgehen wird."

    Auch Mostafa Ragab, Vorsitzender der Gesellschaft für Ägypter in Groβbritannien, ist zuversichtlich. Die ägyptische Bevölkerung habe keine Angst mehr, ihre Meinung offen zu äuβern. Zudem werde die Bewegung von allen Schichten getragen und habe somit eine breite Basis. Und sie habe bereits wichtige Zugeständnisse erreicht. Aber was, wenn ein Diktator abtritt? Manche Beobachter befürchten schon ein gefährliches Vakuum..

    Nein, sagt Mostafa Ragab. Das sei reine Angstmacherei. Ägypten sei nicht mit dem Iran zu vergleichen. Und er kritisiert den Westen.

    Die EU schwankt hin und her und hat es nicht geschafft, klar Position zu beziehen.

    Gleichzeitig aber distanziert sich Mostafa Ragab von Anti-Mubarak-Demonstrationen im Ausland. Erst am Wochenende hatte die islamistische Gruppe Hizb-ut Tahrir auf einer Aktion in London ihre Unterstützung für die ägyptische Bevölkerung bekundet.

    "Nein danke, dies ist ein ägyptische Angelegenheit. Wir wollen nicht, dass unsere Sache quasi von Leuten gekapert wird, die eigene radikal-religiöse oder politische Ziele verfolgen."

    Mostafa Ragab ist froh: Endlich habe die junge Generation in Ägypten eine Zukunft. So sehr er sein Heimatland liebt, hat er doch nicht vor, zurückzukehren.

    Meine Kinder haben sich in Groβbritannien eine Karriere aufgebaut. Wir sind Briten.