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Zehn Jahre DAB+
Wie das Digitalradio fast die Zukunft verpasst hätte

Schon vor Jahren sollte das Digitalradio die alte UKW-Technologie ablösen. Damals scheiterte das Projekt. Mit dem neuen Standard DAB+ soll nun der Durchbruch gelingen - auch, weil in den Netzausbau schon viele Millionen Euro geflossen sind.

Von Stefan Fries | 03.05.2021
Das digitale Radio von morgen ist am Mittwoch (23.04.97) in Jena vorgestellt worden. Projektleiter Olaf Stepputat demonstriert am Computer die Mäglichkeiten der sogenannten DAB-Technik (Digital Audio Broadcasting). In einem europaweit ersten Kabelpilotprojekt sind in der Saalestadt 15 000 Haushalte an den digitalen Hörfunk angeschlossen worden.
1997 wurde das "digitale Radio von morgen" in Jena vorgestellt. "Via Personalcomputer können neben Radioprogrammen in CD-Qualität auch spezielle Datendienste empfangen werden", hieß es damals. (picture-alliance/dpa/zb/Jan-Peter_Kasper)
Es ist ein Geräusch, das bald ins Archiv soll: das Rauschen, wenn man in einem analogen UKW-Radio von einer Frequenz zur nächsten wechselt. Oder wenn man mit dem Auto das Sendegebiet verlässt und sich die nächste suchen muss.
Geht es nach vielen Radiosendern, der Gerätewirtschaft und der Politik, ist irgendwann Schluss mit dem UKW-Radio. Als in den 80er-Jahren das sogenannte duale System eingeführt wurde und neben den öffentlich-rechtlichen Sendern auch private zugelassen wurden, war absehbar, dass die knappen analogen Frequenzen früher oder später nicht mehr reichen würden.

Radiogeräte für 800 DM überzeugten nicht

Die Digitaltechnik versprach ganz neue Möglichkeiten. Also entwickelten Forscher dafür ein System, das heute "Digital Audio Broadcasting" genannt wird, kurz DAB. Es folgte vor allem einem Grundprinzip: Radio sollte eine Form von Rundfunk bleiben, sagt der Medienwissenschaftler Kai Knörr von der Universität Potsdam: "Und das beißt sich aber ein Stück weit mit der realen Entwicklung der realen Technikgeschichte, die eben passiert ist in Form des Ausbaus der Internetdienste."
Ein Mitarbeiter hält ein Digitalradio mit DAB+ auf der Technik-Messe IFA, der weltweit größten Fachmesse für Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik in der Hand.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe "Vom Ladenhüter zum Radiostandard: Der lange Weg des DAB+". Warum konnte sich das Digitalradio noch nicht flächendeckend durchsetzen? Welche Rolle spielt dabei das Internet? Wann kommt das Aus für UKW? Und was kann Deutschland von der Schweiz und Norwegen lernen? Diese und weitere Fragen rund um DAB+ beantworten wir auch in einem @mediasres Spezial am 13. Mai um 15.30h im Deutschlandfunk.
Dass Radio über ein Digitalgerät in die Haushalte kommen würde, war nur ein mögliches Zukunftsszenario. Radio per Internet war die andere Möglichkeit, die sich im Vergleich dazu sehr viel schneller entwickelte. Für das Digitalradio als neues Gerät aber mussten alle Sender umgerüstet werden, die Elektronikindustrie entsprechende Geräte bauen – und die Hörerinnen und Hörer diese kaufen – zu anfangs hohen Preisen von mehr als 800 D-Mark.

Neue Technik mit wenigen Vorteilen

Das Versprechen "mit DAB klingt Radio besser" sollte die Kaufentscheidung erleichtern. Aber allein auf die Audioqualität zu setzen, sei einer der Geburtsfehler des Digitalradios gewesen, sagt Golo Föllmer, Professor für Musik und Medien an der Universität Halle. So habe es etwa auch keine neuen Programme gegeben, die nur per DAB zu hören gewesen seien.
"Dann blieb das DAB ein bisschen besseres UKW, und dafür hat sich kein Mensch ein neues Empfangsgerät anschaffen wollen. Die waren sehr teuer. Allein wegen der geringfügig besseren Audioqualität das umzuschalten auf der Nutzerseite ist einfach ein viel zu geringer Anreiz."
Intendant Raue: "Die Menschen hängen sehr am Radio"
Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue zieht ein emotionales Argument heran, um das mangelnde Interesse der Hörer am Umstieg zu erklären:
"Die Menschen hängen sehr am Radio. Sie hängen auch sehr an dem Radiogerät, das sie zu Hause haben. Man tut sich schwer damit, von etwas Liebgewordenem Abschied zu nehmen. Man hat sich auch sehr mit UKW, sagen wir mal, befreundet. Das hat uns über viele Jahrzehnte auch begleitet. Das macht einen solchen Umstieg in einen neuen Standard auch schwer."
Zumal die deutschen Haushalte gut versorgt sind mit Radiogeräten – im Schnitt stehen in jedem Haushalt drei bis vier davon. Das machte es auch für private Radioanbieter unattraktiv, von UKW auf DAB umzustellen. Man riskierte, bei einem Wechsel einen Großteil seiner Hörerinnen und Hörer zu verlieren – und in der Folge die Werbekunden, ohne die ein kommerzieller Sender nicht betrieben werden kann.

Mangel an politischem Willen

So blieb es für alle Seiten bei einem freiwilligen Umstieg ohne große Anreize. Es habe vor allem am politischen Willen gefehlt, einen Wechsel langfristig vorzubereiten und durchzuführen, glaubt Olaf Korte, der beim Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen an der Entwicklung des Digitalradios maßgeblich beteiligt war:
"Weil eigentlich, denke ich, bis zum heutigen Tag die Politik sich schwertut mit so einer Order per mufti, sage ich jetzt mal, also von oben zu sagen: Jawohl, wir wollen jetzt digitalisieren und UKW wird dann und dann abgeschaltet. Es gibt andere Länder, in denen das erheblich schneller gegangen ist, diese Digitalisierung."

Bayern als Vorreiter

Zumal Rundfunkpolitik Ländersache ist und nicht alle Bundesländer gleichermaßen interessiert waren. Vor allem Bayern ging in Sachen Digitalradio voran, etwa indem es die privaten Radios beim Umstieg unterstützte.
Alles in allem aber war Ende der Nullerjahre offensichtlich: DAB war gescheitert. So erklärte es auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, KEF, die den Sendern für die Entwicklung des digitalen Radios jahrelang Geld aus der Rundfunkgebühr zugesprochen hatte. Zur Begründung schrieb sie genau das: kein exklusives DAB-Angebot, viele andere Verbreitungswege, zu erfolgreiches UKW. Die geplante Abschaltung der Ultrakurzwelle, die mal für das Jahr 2011 geplant war, war da längst verschoben worden. Die angeschafften Radios mussten verschrottet werden.

Neustart mit mehr Programmen

Doch es gab einen Neustart. Auch, weil Radio weiter als eigenständiges System eine Grundversorgung sicherstellen sollte, betont Kai Knörr von der Universität Potsdam: "Diese Infrastruktur Radio soll ja auch krisensicher seien, das war also auch eine der Anforderungen, dass man mit dem Radio in Katastrophenfällen und so weiter die Menschen erreichen kann, was eben bei Handynetzen und mit dem Internet nicht unbedingt gewährleistet ist."
2011 ging der Nachfolger von DAB auf Sendung – unter dem Namen DAB+. Das Plus stand für Zusatzinformationen im Radiodisplay, vor allem aber wurde die Technik weiterentwickelt, die Radiogeräte kosteten nur noch ein Zehntel des früheren Preises, und es gab neue Programme.

DAB+ in Neuwagen jetzt Pflicht

Mittlerweile sind bundesweit rund 270 Programme im Angebot, davon sind 25 in ganz Deutschland zu hören, die übrigen in Bundesländern sowie regional und lokal. Und auch die Zahl der Geräte steigt. Mittlerweile hat fast jeder vierte Haushalt mindestens ein DAB+-Radio. Künftig wird es immer öfter das Autoradio sein, denn seit Dezember dürfen in Deutschland Neuwagen nur noch mit der Möglichkeit zum DAB+-Empfang verkauft werden. Jedes verkaufte Auto bedeutet damit möglicherweise einen UKW-Hörer weniger. Die deutsche Politik setzte damit eine EU-Richtlinie um – womit sie womöglich durchsetzt, was sie seit Jahren versäumt hat: dem Digitalradio DAB+ zum Durchbruch zu verhelfen.
Denn irgendwann werden die Öffentlich-Rechtlichen kein Geld mehr für die parallele Verbreitung von DAB+ und UKW bekommen wie bisher. In die Entwicklung des Digitalradios ist inklusive des Vorläufers DAB ausweislich der KEF-Berichte eine dreistellige Millionensumme geflossen. Diese Technologie war die Basis für die Weiterentwicklung hin zum heutigen DAB+, für das allein die ARD laut dem zuständigen MDR knapp 157 Millionen Euro in Sendernetze und Marketing investiert hat. Das soll sich irgendwann rechnen, denn der Betrieb von DAB+ ist langfristig deutlich günstiger als der von UKW.
Der Beitrag wurde am 3. Mai in einer gekürzten Fassung gesendet, ist hier aber in voller Länge zu hören und zu lesen.