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Zehn Jahre Föderalismusreform
"Ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum"

Die vor zehn Jahren in Kraft gesetzte Förderalismusreform hat in der Gesetzgebung vieles einfacher gemacht. Das damit einhergehende sogenannte Kooperationsverbot, das den Bundesländern die Hoheit in Bildungsfragen sicherte, hatte aber auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Deshalb wird bis heute darüber gestritten.

Von Christiane Habermalz | 01.09.2016
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    Das Audimax auf dem Campus-Gelände der Universität Bayreuth. Über die Finanzierung von Bildung wird weiter gestritten. (picture-alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Eigentlich ging es darum, die Gesetzgebung in Deutschland einfacher zu machen. Bis 2006 musste bei rund 60 Prozent der Gesetze der Bundesrat zustimmen, langwierige Verhandlungen mit den Ländern waren die Folge, regelmäßig konnten Gesetzesvorhaben der Bundesregierung im Bundesrat blockiert werden. Mit der Föderalismusreform sollten die Kompetenzen entwirrt und klarer aufgeteilt werden. Doch im Gegenzug für den Verzicht auf Mitwirkungsrechte verlangten vor allem die unionsgeführten Länder einen Ausgleich: Unter anderem die klare und alleinige Zuständigkeit für Schulen und Hochschulen. Vor allem der hessische Ministerpräsident Roland Koch hatte sich geärgert über das Ganztagsschulprogramm, dass die damalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn aufgelegt hatte – "aufoktruiert" in den Augen der konservativen Bildungspolitiker.
    "Wir wollen im Gegensatz zu den Sozialdemokraten ausdrücklich keine Zwangsganztagsschule. Weil wir sehr wohl wissen, dass zwischen der Stadt und dem ländlichen Raum, mit langen Fahrwegen, mit den Interessen von Schülerinnen und Schülern in ihrer Freizeit in Vereinen und Kirchen Dinge nach ihrer Art zu machen, es ein Recht der Eltern und Kinder geben muss, das zu entscheiden. Der Staat hat kein Recht darauf, die Kinder ganztägig zu beschlagnahmen!"
    Bildungsfragen wurden Ländersache
    Mit Zweidrittelmehrheit der Großen Koalition beschloss der Bundestag am 30. Juni 2006 eine Änderung des Grundgesetzes, eine Woche später gab auch die Länderkammer ihr Okay, die Reform trat am 1. September in Kraft. Die zustimmungspflichtigen Gesetze wurden um knapp die Hälfte reduziert. Mit im Gepäck: Das sogenannte "Kooperationsverbot" in der Bildung. Fortan durfte der Bund Kitas, Schulen und Hochschulen nicht mehr dauerhaft fördern – und damit den Ländern in Bildungsfragen auch nicht mehr dreinreden. Eine Sackgasse, wie sich bald herausstellte. Denn während der Etat der Bundesbildungsministerin stetig stieg, mussten die Länder sparen. Gleichzeitig stiegen die Bildungsausgaben von Jahr zu Jahr. "Die Länder haben die Kompetenz, aber der Bund hat das Geld" – so formulierte es in knappen Worten der Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Wieland. Und während der Bund die außeruniversitäre Forschung an Max-Planck und Leibniz-Instituten auskömmlich förderte, war die Zusammenarbeit von Bund und Ländern zur Unterstützung der Hochschulen nur noch über juristische Verrenkungen wie zeitlich befristete Programme und Pakte möglich. Bald wollten weite Teile der Bildungscommunity das ungeliebte Kind Kooperationsverbot wieder loswerden. Frank-Walter Steinmeier, damals Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, forderte 2012:
    "Meine Damen und Herren, das Kooperationsverbot, das wir im Paket der Föderalismusreform beschlossen haben, war ein Fehler, das Kooperationsverbot ist Blödsinn, es muss weg."
    Kooperationsverbot für Hochschulen gelockert
    Auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka wollte das – allerdings nur für die Hochschulen. Nach langen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, Union und SPD wurde 2014 das Kooperationsverbot im Wissenschaftsbereich schließlich gelockert. Für Wanka einer der wichtigsten hochschulpolitischen Beschlüsse der letzten Jahre. Für SPD und Grüne war damit jedoch nur ein erster Schritt getan, langfristig müsse der Bund den klammen Ländern auch bei der Finanzierung der Schulen beispringen können.
    "Wir beschließen heute die längst überfällige Korrektur eines Fehlers, der meines Erachtens nicht ernsthaft bestritten werden kann. Aber das kann noch nicht alles gewesen sein. Konsequent und gut wäre es, das Kooperationsverbot insgesamt zu streichen", formulierte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil die Position der meisten rot-grün regierten Länder. Doch dagegen hatten sich nicht nur die CDU/CSU im Bundestag und Bundesländer wie Sachsen, Bayern und Hessen gestemmt, sondern auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der hatte schon Jahre vorher klargestellt: "Mir liegt es so fern wie der Mond zu akzeptieren, dass uns der Bund in die Schulpolitik reinregieren kann!"
    In den Augen vieler Bürger ist der Bildungsföderalismus vor allem eins: Ein Ärgernis. In Umfragen sprechen sich regelmäßig die große Mehrheit der Befragten für mehr Einheitlichkeit im Bildungssystem aus. In der letzten Forsa-Umfrage sähen 40 Prozent der Befragten die Verantwortung für Schulen und Bildung gerne bei Bund und Ländern - 21 Prozent am liebsten sogar nur beim Bund.