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Zehn Jahre Mohammed-Karikaturen
Satire mit Schere im Kopf?

Vor fast zehn Jahren erschien die Mohammed-Karikatur des Zeichners Kurt Westergaard in einer dänischen Zeitung. Das war am 30.09.2005. Aufgestachelt durch gewaltbereite Muslime wurden einige Monate später Botschaften angezündet, mehr als 100 Menschen verloren ihr Leben. Attentäter versuchten, den Zeichner zu ermorden. Und zehn Jahre danach? Zum Jahrestag werden die Folgen nach wie vor kontrovers diskutiert.

Von Mechthild Klein | 15.09.2015
    Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard vor seinen Zeichnungen an seiner Wand.
    Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard. (dpa/picture alliance/epa Scanpix Norge)
    "In unserem Beruf gibt es eine Zeit vor 2005 und nach 2005. Man hatte sich nicht vorstellen können, dass es so eine derartige Empörung geben würde, als die dänischen Karikaturisten angegriffen worden sind."
    Sagt Til Mette, Cartoon-Zeichner beim Magazin Stern.
    "Auf einmal gab es unheimlich viele Diskussionen, was die Karikatur ist und es wurde immer mit dem Wort Meinungsfreiheit verbunden. Da war auf einmal die Karikatur das Sinnbild der Meinungsfreiheit."
    Also eine Aufwertung der Satire. Dass sich Karikaturisten in Deutschland seitdem zurückhalten, weil Menschen beklagen, ihre religiösen Gefühle würden verletzt – das kann Til Mette nicht beobachten – und auch keine Schere im Kopf bei der Entwicklung neuer Satire.
    "Religiöse Gefühle – das ist meiner Ansicht nach ein Begriff, der ist erst in den letzten 15 Jahren modern geworden ist. Also, den setzt man ein als ein Instrument, um eine bestimmte Botschaft durchzudrücken. Und das ist in der Regel eine sehr restriktive Botschaft. Also man behauptet, es gibt ein religiöses Gefühl, was man verletzten könnte und dann gibt es ja Täter und Opfer. Und in der Regel sind die die Opfer, die das religiöse Gefühl haben und nicht die anderen. Und damit hat man sozusagen ein Setting, in dem ein Kampfmodus ist. Und das ist neu. Ich halte das für Bullshit."
    Religion nicht von Satire ausnehmen
    "Was ich beobachte bei Muslimen, die ich ernst nehme in ihrer Reaktion, ist nicht, dass sie beleidigt sind, sondern, dass sie verletzt sind. Und dass sie die Absicht spüren, die hinter diesen Kränkungen, Angriffen steckt, und verstimmt sind."
    Sagt Gudrun Krämer, Professorin für Islamwissenschaft an der FU in Berlin. Von welcher Warte aus man sich auf Spurensuche begibt – das Thema lässt auch heute keinen kalt – Satire und Pressefreiheit kontra Religionsschutz.
    "Und mein Eindruck ist, dass sich diese Empfindlichkeit überhaupt nicht abgeschwächt hat, sondern eher dieser Verdacht, man wolle sie ständig angreifen, man erzähle nur Negatives über sie. Und man ziehe nun diesen Propheten, der ihnen nun mal etwas Besonderes ist, in den Schmutz, sich noch verstärkt hat in den letzten Jahren. Dieses Sehr-empfindlich-sein übersetzt sich bei den allermeisten nicht in Aggression, also nicht in eine Haltung, in der sie sagen, jetzt schlagen wir drauf und nieder mit dem Westen oder sonst etwas. Sondern in dieser Dünnhäutigkeit, mit der dann alles und jedes und jeder schiefe Blick und jeder unglückliche Begriff oder Vergleich gleich mit einem Misstrauen und Verdacht aufgenommen werden, hier sollen wir wieder gekränkt, hier sollen wir wieder ausgegrenzt, wieder negativ gezeichnet werden."
    Gudrun Krämer zieht daraus aber nicht die Konsequenz, dass Muslime und ihre Religion von Satire ausgenommen werden sollten.
    "Das kann überhaupt nicht die Folgerung sein. Die Muslime und ihre Werte dürfen selbstverständlich nicht ausgenommen sein. Es ist die Frage, ob man die Kritik, die vollkommen legitim und notwendig ist, festmacht oder übersetzt in eine Karikatur des Propheten Mohammed. Manchmal muss man auch ein bisschen strategisch denken."
    Jahrhundertealte Tradition der Satire in Europa
    Eigentlich gab es nur eine Aufreger-Zeichnung in dem ganzen Karikaturenstreit. Kurt Westergaards Mohammed-Karikatur mit dem Turban als Bombe. Eine Zeichnung, die völlig ohne Worte auskam. Sie setzt den Islam mit Gewalttätigkeit gleich. Auf Kurt Westergaard sind danach mehrere Attentate verübt worden. Manche Zeitungen druckten die Karikaturen nicht nach.
    "Ich verteidige diese Zeichnung, ich finde sie aber selber Scheiße: Ich würd sowas selber nicht machen. Ich bin deshalb Zeichner geworden, weil ich genau gegen diese Generation von Zeichnern antreten wollte. So kam es, dass ich genau diese Art der Zeichnung, also der Turban als Bombe, dass ich das als völlig brutale Agitprop-Zeichnung empfinde, die keinerlei Sensibilität besitzt, die nur so eine Hau-drauf-Ästhetik hat und Hau-drauf-Fantasien beflügelt. Find ich stilistisch auch scheiße... aber ich werde Kurt Westergaard immer verteidigen. Ich werde ihm zugestehen, dass er immer das Recht hat, diese Zeichnungen zu machen, soviel er Lust hat."
    Es gibt in Europa eine jahrhundertealte Tradition der Satire. Der Spott über Obrigkeiten entlud sich nicht nur in Karnevalszügen. Schon 1509 nimmt etwa der Theologe und Humanist Erasmus von Rotterdam die katholische Kirche auf Korn – in seinem Buch "Lob der Torheit".
    "Es hat sehr, sehr viel gekostet, bis wir da sind, dass wir uns auch lustig machen dürfen. Die Kirche war jahrhundertelang nie bereit, Leute zu akzeptieren, die sich in irgendeiner Form lustig gemacht haben. Die sind natürlich über die Klinge gesprungen. Die hat man verbrannt, die hat man in Säcke gesteckt, in Teichen ersäuft. In der Moderne wird die Kritik erlaubt oder dass man auch eine humoristische Aufarbeitung von diesen Sachen hat, weil die Kirche auch schlicht an Macht verloren hat."
    Diese Freiheit einschränken – das will auch die Berliner Islamwissenschaftlerin nicht. Aber sie appelliert dennoch an Satiriker, nicht den Propheten der Muslime zu karikieren:
    "Wenn meine Überlegung ist, ich will Muslime – meinetwegen in Deutschland, Österreich oder Indonesien – kritisieren für etwas bestimmtes, dann kritisiere ich sie dafür. Also wenn ich sagen will, 'ihr seid gewaltnah', angenommen, das wäre mein Anliegen. Dann sage ich: 'Ihr seid gewaltnah'. Oder wenn ich sagen will: 'Ihr habt keine Geschlechtergerechtigkeit' – dann sage ich: 'Ihr hab keine Geschlechtergerechtigkeit'. Am besten noch spezifischer. Aber ich muss das nicht über die Karikatur Mohammeds machen."
    Womit die Themenauswahl dann doch eingeschränkt wäre. Gudrun Krämer will aber nur dieses eine Tabu akzeptieren.
    "Man kann doch irgendwelche Ajatollahs und Fundamentalisten und engstirnige Prediger und Hassprediger oder schlagende Ehemänner oder sonst was karikieren – es gibt doch Stoff genug. Genauso gut wie man in der übrigen deutschen Gesellschaft genug karikieren kann."
    Entschuldigung vom Imam
    Seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen vor ziemlich genau zehn Jahren hat sich etwas geändert. Als im Januar 2015 Islamterroristen das Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie-Hebdo in Paris verübten, das regelmäßig Mohammed karikierte, gab es keinen "Tag des Zorns" in islamischen Ländern. Im Gegenteil, es gab viele Solidaritätsbekundungen von Muslimen.
    "Muss ich mich instrumentalisieren lassen? Kann ich nicht mit anderen cleveren Methoden trotzdem den Finger in die Wunden legen, ohne dass jetzt dort drüben Munition geschmiedet wird, um wieder Terroranschläge zu machen?"
    Fragt der evangelische Theologe Kurt Erlemann von der Universität Wuppertal und schlägt vor, andere Wege zu gehen. Zum Beispiel könnten sich Kabarettisten unterschiedlicher Konfession zusammentun.
    "Spannend fände ich es, mit hier integrierten Satirikern wie Bülent Ceylan oder wie sie heißen, da mal den Dialog zu suchen. Und mal gemeinsam überlegen, ob man da nicht so ein christlich-muslimisches Kabarettlager da mal aufmachen könnte. Diese Leute, die tun viel für die Verständigung der Kulturen und die haben ja am ehesten die Antenne für die Befindlichkeiten und Gefühle der eigenen Leute der Herkunftskultur, aus der sie kommen."
    Auch 10 Jahre nach dem Eklat reflektierten darüber Theologen, Islamwissenschaftler und Satiriker. Auch jener dänische Imam, der einst die Kampagne gegen die Karikaturisten losgetreten hat, genau dieser Ahmet Akkari hat sich in seiner Einstellung um 180 Grad gedreht. Nach den blutigen Unruhen Ende 2005 zog sich Akkari nach Grönland zurück. Vor zwei Jahren hat er sich bei Kurt Westergaard persönlich entschuldigt. Er bereue sein Handeln. Und Westergaard hat die Entschuldigung angenommen.