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Zehn Jahre UN-Behindertenrechtskonvention
Berufliche Teilhabe behinderter Menschen bleibt schwierig

Vor zehn Jahren unterzeichnete Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention, die behinderten Menschen gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zusichert. Doch in der Arbeitswelt ist Inklusion noch immer nicht Normalität - es fehlt an barrierefreien Arbeitsplätzen und an Weiterbildung.

Von Ludger Fittkau | 26.03.2019
Eine Sehbehinderte an ihrem Arbeitsplatz
Der Aufbau barrierefreier Arbeitsplätze kommt nur sehr langsam voran (dpa / Armin Weigel)
Anja Dehoff hat es beruflich geschafft. Die blinde Offenbacherin arbeitet bei einem internationalen Wirtschaftsberatungsunternehmen, bei dem sie sich auch als Behinderte respektiert und gefördert fühlt. Sie ist eher die Ausnahme, deswegen engagiert sich Anja Dehoff ehrenamtlich für andere Behinderte, die einen Arbeitsplatz auf dem regulären Arbeitsmarkt suchen. "Es gibt ja auch Unternehmen, die nicht so weit sind. Und daher - wenn es so nicht geht, müssen wir was anderes probieren."
Barrierefreie Arbeitsplätze sind rar
Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten müssen eigentlich mindestens fünf Prozent Menschen mit Handicap einstellen. Oder sie zahlen eine Ausgleichsabgabe. Jahr 2017 waren das 642 Millionen Euro. Mit diesem Geld unterstützt der Staat wiederum die Unternehmen, die behinderte Menschen einstellen. Dennoch steigt die Zahl barrierefreier Arbeitsplätze nur sehr langsam.
Auch bei manchen öffentlichen Arbeitgebern hapert es mit der Inklusion. Das beschreibt Berit Niedling, die mit ihrer starken Sehbehinderung im ländlichen Raum bei einer Behörde arbeitet: "Ich arbeite in einem Bundesland, in dem ich weit und breit die einzige bin. Und da habe ich das Gefühl, es wird nicht besonders gut berücksichtigt. Alle reden immer davon, aber wie es im Detail zu machen ist, ist wirklich schwierig."
Mangel an barrierefreien Weiterbildungen
Michael Richter ist ein erfolgreicher körperbehinderter Rechtsanwalt in Marburg. Doch durch viele Gespräche mit behinderten Mandanten weiß er, dass diejenigen, die eine Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt bekommen haben, oft nicht die Aufstiegschancen kriegen, die sie sich erhoffen. Auch deswegen, weil sich Integrationsämter oder die Arbeitsagentur bei der Förderung barrierefreier Weiterbildungsmaßnahmen schwer tun, so Michael Richter: "Weil man sagt, das ist nicht notwendig, das ist nicht unsere Aufgabe, wir haben auch nur begrenzte Mittel."
Jürgen Nagel ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Blindenstudienanstalt - kurz Blista - in Marburg, mit Gymnasium und vielfältigen Integrationshilfen. Jürgen Nagel ist bei der Blista für die berufliche Teilhabe zuständig. Er weiß, dass viele Arbeitgeber immer noch Angst haben, behinderte Menschen einzustellen, weil sie fürchten, die Komplikationen seien zu hoch:
"Ich glaube, dass diese Angst da ist: 'Jetzt habe ich mich einmal darauf eingelassen, und wenn es dann doch nicht klappt?' Ja, dann ist es im Grunde wie mit jedem anderen Arbeitnehmer auch. Wenn der eine Behinderung hat und wenn es nicht klappt, dann gibt es auch Mittel und Wege, das aufzulösen. Ob es eine Ausbildung ist oder ob es ein Angestelltenverhältnis ist."
Informationsdefizit bei Unternehmen und Beschäftigten
Faire Informationen für Unternehmensleitungen und Beschäftigte seien deshalb wichtig, um eine gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen, sagt Jürgen Nagel. Seine Einrichtung begleitet Absolventen auch nach dem Schulabschluss in der Lehre weiter, wenn nötig. Dafür gibt es öffentliche Förderungen. Schon bei der Einrichtung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes könne diese Hilfe von außen gegeben werden.
Denn barrierefreie Computer und IT-Programme verbreiten sich zwar stark, so Nagel. Aber: "Trotzdem ist es immer noch manchmal schwierig, Software-Lösungen zu finden, wo dann natürlich Betriebe auch spezielle Programme haben und wo dann das Miteinander eines Rechners, der spezielle Peripherie-Geräte hat, mit der allgemeinen Software, wo mal Störungen auftreten, die auch nicht in jedem Fall behebbar sind."
Deshalb sei Hilfe von außen für den Betrieb manchmal entscheidend, um Inklusion zu ermöglichen, so Jürgen Nagel von der Deutschen Blindenstudienanstalt: "Da kann man sehr viel machen. Die Kollegen und die Auszubildenden gut begleiten, die Berufsschulen unterstützen. Das sind alles wesentliche Merkmale, damit das gut gelingen kann." Um die Teilhabe behinderter Menschen in der Arbeitswelt zu verbessern, ist also vor allem Bereitschaft zur Öffnung und unkonventionelle Teamarbeit gefragt.