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Zehn Jahre ZDFneo
Format-Labor und Quotenbringer

Eine attraktive öffentlich-rechtliche Alternative für ein jüngeres Publikum sollte ZDFneo werden. Zehn Jahre nach seiner Gründung steht der Sender gut da. Der Weggang von Jan Böhmermann zeigt erneut: Dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, bleibt eine Herausforderung.

Von Klaus Deuse | 31.10.2019
"NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böhmermann - Sendung vom 13.06.19": Der Youtuber Rezo und Jan Böhmermann sitzen am Schreibtisch auf der Bühne im Fernsehstudio während der Sendung.
ZDFneo bekanntestes Gesicht Jan Böhmermann in seinem Magazin Royale, hier mit Youtuber Rezo. (ZDF/ Julia Hüttner)
Ein Sender, der mit seinem Programm erklärtermaßen ein junges Publikum erreichen will, muss bei der Eigenwerbung nicht tief stapeln: "ZDFneo. Wir machen fernsehmäßig alles, was Du brauchst, damit Deine Glotze so richtig knallt." Allerdings nur in einem Vorspann für eine neue Talkshow - zudem erkennbar ironisch. ZDFneo versteht sich als Innovationsmotor innerhalb der ZDF-Familie mit dem Auftrag, neue Formate für die Zielgruppe der 25- bis 49-Jährigen zu entwickeln. Die Bilanz, die neo-Senderchefin Nadine Bilke nach zehn Jahren zieht, fällt positiv aus.
"Das sind weit über 100 Formate, die neo in dieser Zeit entwickelt hat. Oft verbunden mit neuen Köpfen auf dem Schirm. Joko und Klaas, Manuel Möglich mit seinen Reportagen. Michael Kessler als Verwandlungskünstler oder jüngst Shahak Shapira und Laura Karasek. Und allen voran natürlich Jan Böhmermann mit seiner mittlerweile beachtlichen Sammlung an Grimme-Preisen."
Damit habe neo durchaus seinen Experimentierauftrag erfüllt. Außerdem können sich die erzielten Quoten sehen lassen. Immerhin erreicht neo täglich im Schnitt rund 1,5 Millionen Zuschauer. Und bei der anvisierten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen Zuschauer kletterte der ZDF-Ableger bei den meist gesehenen Sendern auf Rang elf. Bei der Gesamtzuschauerzahl mit 3,2 Prozent rangiert man noch vor RTL II auf Platz acht.
Ein Erfolg, der Kritik mit sich bringt
Für solide Quoten sorgen insbesondere Krimis wie "Wilsberg", "Ein starkes Team" oder "Inspektor Barnaby", die zuvor bereits im ZDF liefen. Ein Programmangebot also, das an einigen Tagen in der Woche in der Primetime eher konservativ als experimentell daherkommt. Gerade mit Krimis erreiche man auch Zuschauer, die zwar jünger sind als das durchschnittliche ZDF-Publikum mit Mitte 60, aber nicht die Mehrzahl der 30- bis 40-Jährigen, sagt Thomas Lückerath, Chefredakteur des medienmagazins DWDL.
"Das ist gleichzeitig ein Erfolg für die Mainzer, wenn sie als Sendergruppe denken, nur weil sie gemeinsam auf beträchtliche Reichweiten kommen. Gleichzeitig aber natürlich Ansatzpunkt für Kritik. Denn eine große Vielfalt oder Ergänzung des Angebotes bietet man mit Wiederholungen natürlich nicht."
Bekanntestes Gesicht wechselt ins Hauptprogramm
Doch noch immer finden sich Glanzlichter im Programm. Wie das "Neo Magazin Royal" mit Jan Böhmermann, bei dem nach Angaben von Nadine Bilke regelmäßig über 40 Prozent der Zuschauer unter 50 Jahre vor dem Bildschirm sitzen.
Aus "Neo Magazin Royal": "Zu was Erfreulichem, meine Damen und Herren. Die schlauesten und besten Politiker unseres Landes sind in der Bundesregierung. Und: Andreas Scheuer. Und die haben gemeinsam gehandelt. Endlich ist es soweit: Die Bundesregierung hat den Klimawandel aufgehalten. Offiziell!"
Gut, Jan Böhmermann will inzwischen nicht mehr als aufstrebender Jungpolitiker für den SPD-Vorsitz kandidieren, aber für Unterhaltungsstoff dürfte er damit dennoch weiter sorgen. Bis zum Jahresende. Dann wechselt er ins ZDF-Hauptprogramm. Das macht es nach den Worten von DWDL-Chef Lückerath für das Beiboot ZDFneo nicht einfacher, "denn die fiktionalen Experimente, die es punktuell gibt, sollen zwar angezogen werden und dementsprechend häufiger ins Programm kommen, werden aber die Schlagzahl einer wöchentlichen Late Night mit der Wahrnehmung von Jan Böhmermann kaum ersetzen können".
Neu dabei: Sascha Lobo
Es muss folglich weiter experimentiert werden. Immerhin entwickelte neo bislang schon einige Formate, die den Sprung ins ZDF-Hauptprogramm geschafft haben. Zum Beispiel das Verwandlungsspiel "Michael Kessler ist…", in dem sich Kessler auch äußerlich in prominente Persönlichkeiten verwandelt, in deren Rolle schlüpft und sie quasi mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Gut ein Drittel des Programms bestückt neo mit originären Inhalten aus den Bereichen Auftrags- und Co-Produktionen, um jüngere Zuschauer zu erreichen.
Nadine Bilke: "Uns ist also wichtig, dass ihre Themen und ihre Lebenswirklichkeiten bei uns vorkommen. Das geht von der Frage: Wie beziehungsfähig ist eine bestimmte Generation? Wie sehen Beziehungen aus? Vielleicht aber auch bis zur Terrorgefahr."
Unter diesem Aspekt geht der populäre Blogger Sascha Lobo in einem Social-Factual-Format der Frage nach, wie die Gesellschaft mit Radikalisierung umgeht: "Was rechtsextreme Radikalisierung angeht, was islamistische Radikalisierung angeht. Und ich glaube, dass das deswegen so wichtig und so groß geworden ist, weil das Internet ziemlich gut geeignet ist für Radikalisierung. Also habe ich mir angeschaut, wie das im Detail funktioniert."
Ein Fokus auf der Mediathek
Gegen die zunehmende Konkurrenz von Streaming-Diensten um jüngere Zuschauer setzt Programmchefin Bilke auf die Einbindung von neo-Formaten in die ZDF-Mediathek. "Je jünger die Zielgruppe wird, desto wichtiger ist es, zeitunabhängig, ortsunabhängig gucken zu können, wann und wo ich will. Und die neo-Serien laufen in der Mediathek auch unter dem Label 'neoriginal'. Das haben wir eingeführt, um da klarer zu kennzeichnen auch für die Zielgruppe, was ist da für mich dabei." Außerdem ergänzt neo über die Mediathek mit Eigenproduktionen wie "Parfüm" das ZDF-Angebot.
Mit bis zu drei Millionen Abrufen von Serien wie "Countdown Copenhagen" sieht man sich auf dem richtigen Weg. Ob neo allerdings mit der Kuppel-Show "Dinner Date", bei der aus der TV-Vergangenheit die Sendung "Herzblatt" des längst verstorbenen Rudi Carrel herzlich grüßen lässt, jüngere Zuschauer zu gewinnen vermag, das sei dahingestellt.