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Zehn Tonnen Hellas

Die Antike ist auch heute noch ein Sehnsuchts-Ort für Intellektuelle - wenngleich die Bildungsreisen weniger beschwerlich geworden sind als in den 30er Jahren des 19.Jahrhunderts, als der Münchner Landschaftsmaler Carl Rottmann nach Griechenland fuhr. Rottmann sollte, im Auftrag des bayerischen Königs Ludwig I, Motive der klassischen Antike für die Arkaden des Münchner Hofgartens malen, um dort das Münchner Publikum nicht nur zu erbauen, sondern auch zu bilden.

Von Christian Gampert |
    Allein: die Bleistift-Skizzen, die Rottmann nach Hause brachte, zeigten ein durch die Freiheitskriege (gegen die Osmanen) verwüstetes Griechenland, das in auffälligem Kontrast stand zu den klassischen Idealen. Und auch die fertigen, in einer seltsam melancholischen Buntheit leuchtenden 23 Monumental-Bilder, auf schweren Mörtelplatten gemalt, leben aus der Spannung von einsamer, leerer, mit Ruinen bestückter realer griechischer Landschaft und der einstigen Größe von Orten wie Athen, Korinth, Sparta, Olympia, Mykene oder Marathon.

    Die Geschichte von Rottmanns Griechenland-Zyklus wird nun in einer exquisiten Ausstellung der Münchner Neuen Pinakothek rekonstruiert - und das heißt zunächst einmal, sagt der Kurator Herbert W. Rott, in alle Arbeitsphasen zergliedert.

    "Wir zeigen eine Auswahl von Vorarbeiten, die Rottmann zur Vorbereitung der großen Gemälde ausgeführt hat. Hier sieht man sehr schön die Entwicklung, die einzelne Motive nehmen, von der Naturstudie, die vor Ort in Griechenland entstanden ist, über verschiedene Zwischenstufen, die dann zu Hause im Atelier ausgearbeitet werden, bis hin zum großen Gemälde. Die Naturstudien zeigen in der Regel große, weiträumige Aussichten, in denen Rottmann aber schon charakteristische Elemente ins Auge gefasst hat, und aus diesen topographischen Elementen entwickelt er dann in Kompositions-Studien und vor allem in wunderbaren Aquarell-Entwürfen Bildkompositionen, die dann allerdings eigenständige Bilder sind: er bildet die Landschaft, er überhöht zum Beispiel die Gebirgszüge, so dass die Natur mächtiger wirkt als in Wirklichkeit, und er gibt der Landschaft auf diese Weise Bedeutung."

    Bedeutend sollte auch die Präsentation der Gemälde sein - denn Ludwigs Sohn Otto war seit 1832, dem Todesjahr Goethes, erster König Griechenlands. Ludwig und sein Hofarchitekt Klenze hatten aber bald erkannt, dass eine Präsentation im Freien, unter den Arkaden, die Bilder durch Witterung beschädigen würde; so bekamen sie einen eigenen Saal in der dann 1853 eröffneten Neuen Pinakothek.

    Carl Rottmann malte also ab etwa 1840 schon in der Gewissheit, dass seine Bilder nicht als lockere Sequenz unter Arkaden, sondern in einem Raum quasi synchron, aufeinander bezogen gezeigt werden würden. Das heißt, er musste die Landschaften nun höchst unterschiedlich anlegen, um Dynamik zu erzeugen - und in den einzelnen Arbeitsschritten ist sehr schön erkennbar, wie etwa die zunächst neutral gehaltene Naturstudie von Marathon zunehmend dramatisiert und zum Schlachtfeld aufgewertet wird, mit einem herrenlosen Pferd in der Mitte und dräuenden Gewitterwolken.

    Das Wetter ist sowieso Rottmanns heimlicher Komplize, Blitz und Regen, Morgenlicht und Abendsonne. Und der Saal in der Pinakothek des 19.Jahrhunderts verstärkte die Wirkung noch: Man hatte das Oberlicht in der Mitte abgedunkelt und ließ nur die Bilder selbst an den Außenwänden im Licht. Der Zuschauer stand also im Dunkel, während die verlandeten klassischen Orte ihm wie aus Fenstern entgegenleuchteten. Diese romantische Konstruktion ist nun zunächst im Holz-Modell zu sehen, aber mehr noch: man hat in den großen Rottmann-Saal eine auf Säulen ruhende zusätzliche Decke, eine tempelartige Anlage hineingebaut, um eine Anmutung der alten Präsentation zu evozieren.

    Der alte Saal wurde nämlich durch Bomben im zweiten Weltkrieg zerstört, und auch die im Keller lagernden schweren, von Eisenstreben gehaltenen Mörtelplatten, die Rottmann mit speziellen Harz- und Bienenwachsfarben bemalt hatte, wurden durch Feuchtigkeit und Wasser beschädigt. dass man vier Platten, die sich noch im Stadium der Wiederherstellung befinden, nun in der Ausstellung besichtigen kann, gibt einen kleinen Einblick in die heroische Arbeit der Restauratoren und ihren Kampf um Bild-Schichten und Farben.

    Goethe würde diese "zehn Tonnen Hellas" sicherlich furchtbar finden, zu wenig idealisch. Olympia, wie Rottmann es vorfand: da war nichts außer Wäldern und Schafen. Korinth: ein Ort, an dem Kamele weiden. Eine heitere Schwermut liegt über diesen Landschaften, die kurz zuvor im Freiheitskampf der Griechen gegen die Türken geschleift wurden. "Griechenland ist das Bild der Zerstörung: es ist gräulich schön", schrieb Rottmann an seine Ehefrau zu Hause.