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"Zeichen der Erosion"

Nach langer Waffenruhe ist die PKK wieder zum Kampf zurück gekehrt: Zahlreiche Menschen kamen bei den jüngsten Anschlägen in den Ferienorten Cesme und Kusadasi ums Leben. Die Strategie der PKK gibt Rätsel auf: Eigentlich war die Organisation vom Ziel abgerückt, einen eigenen Staat zu erkämpfen. Warum bombt die PKK dann aber wieder, dazu noch im Westen des Landes? Will sie inhaftierte Kämpfer freipressen? Oder will sie auf blutige Weise ihrem schleichenden Machtverlust begegnen? Eine Analyse von Jörg Pfuhl.

    "Für mich ist er der Führer eines Aufstandes - so sehe ich ihn und auch viele meiner Anwaltskollegen."

    Der junge Anwalt Irfan Dündar spricht über Abdullah Öcalan. Jahrelang haben der Anwalt und seine Kollegen jeden Mittwoch auf der Gefängnisinsel Imralý den einsitzenden PKK-Chef nicht nur juristisch beraten, sondern auch die neuen Marschbefehle abgeholt und per Internet an die PKK-Kämpfer übermittelt. Womöglich war unter diesen Marschbefehlen auch der für die Minibusbombe im Badeort Kuþadasý, die 2 ausländische Touristen und 3 Türken zerfetzte:

    "Öcalan spielt in der Konzeption der Attentate die Hauptrolle: Er formt sie. Man kann sich keinen PKK-ler vorstellen, der nicht auf Öcalan hört. Er würde nicht lange überleben, er wäre schnell tot - so, wie sie Hikmet Fidan getötet haben."

    Der PKK-Kenner Mehmet Faraç will nicht ausschließen, dass jener Genickschuss, mit dem am 6. Juli der Kurdenpolitiker Hikmet Fidan in Diyarbakýr ermordet wurde, ein Wendepunkt sein könnte. Denn niemand zweifelt, dass hier die PKK einen ihrer eigenen Leute umgebracht hat. Hikmet Fidan wollte den Weg der Gewalt nicht mehr mitgehen. Und weil er als ehemaliger Vize der Kurdenpartei HADEP über gewissen Einfluss verfügt, musste er weg. 20 Jahre lang hat die PKK die kurdische Bewegung gleichsam natürlich dominiert; heute muss sie dieses Monopol mit Gewalt durchsetzen. Noch immer ist das Monopol nicht gebrochen, aber es gibt erste Versuche, es zu knacken, und zwar von innen, aus der Kurdenbewegung selbst:

    "Unsere Menschen sollen nicht mehr sterben, sondern ein friedliches und gutes Leben führen können. Wir fordern die PKK auf, den bewaffneten Kampf unverzüglich und bedingungslos aufzugeben!"

    Diesen Aufruf unterschrieben zuerst mehr als hunderte türkische, dann mehr als 200 kurdische Intellektuelle. Vor zweieinhalb Jahren hat der türkische Staat den Ausnahmezustand im Südosten aufgehoben. Es hat sich so etwas wie eine kostbare Normalität entwickelt: keine Straßenkontrollen, keine abendliche Ausgangssperre, stattdessen kurdische Lieder, Theaterstücke, Zeitungen und Sprachschulen. Auch wenn die Armut noch groß ist: Die Kurden in der Türkei haben mittlerweile etwas zu verlieren; und deshalb zweifeln immer mehr am Konzept der PKK, die nach langer Waffenruhe zur Gewalt zurückgekehrt ist:

    "Selbst die Kämpfer in den Bergen werden unruhig. Sie fragen sich: was ist eigentlich unser Ziel? Was wollen wir noch erreichen? Es gibt Abspaltungen, und sie werden noch zunehmen. Das sind die Zeichen der Erosion."

    Wenn die PKK nun wieder Geiseln nimmt, Züge entgleisen lässt und per Fernzündung den Terror an die Badestrände trägt, dann sind das Bomben der Verzweiflung, so glaubt der PKK-Spezialist der Zeitung Cumhuriyet; es ist die Angst vor der Bedeutungslosigkeit, die die PKK in diese Hit-and-run-Aktionen treibt:

    "Das sind für sie Aktionen ohne Risiko, effektiv und konsequent. Aber es ist ein Zeichen von Schwäche. Die PKK hat heute Angst vor Verlusten; sie meidet mittlerweile die vom Militär kontrollierten Gebiete; deshalb diese Hit-and-run-Aktionen – ein Zeichen von Schwäche."

    Allerdings ein sehr blutiges. Der Staat muss darauf reagieren, und bisweilen fällt auch die Regierung Erdoðan in alte Reflexe zurück:

    "Eine Kurdenfrage – so etwas existiert für uns nicht."

    Schon reden türkische Generäle und Politiker wieder über einen Einmarsch in den Nordirak, wo die PKK ihre Basislager hat; von dort sickern kleine Attentätertrupps mit C4-Sprengstoff ausgerüstet in die Türkei:

    "Kein Land kann es ignorieren, wenn es von außen systematisch, mit Nachdruck und bewusst geschädigt wird," droht der türkische Außenminister Abdullah Gül. Doch gewinnen kann der türkische Staat den Kampf gegen die PKK wohl kaum mit einer Re-Militarisierung im Südosten, sondern nur, wenn er die schweigende kurdische Mehrheit für sich gewinnt; durch Anerkennung kultureller Rechte, durch wirtschaftlichen Wiederaufbau eines zerstörten Raumes:

    "In der Region gibt es zehn, ja hunderttausende, die gegen die PKK sind, die nichts mit ihr zu tun haben wollen. Wenn der Staat diese Menschen für sich gewinnt, schneidet er der PKK die Blutzufuhr an."