Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Zeichentrickfilm "Wie der Wind sich hebt"
Krieg und Glück in Japan

Hayao Miyazaki ist der große alte Mann des japanischen Anime-Films. Seine Filme heißen "Chihiros Reise ins Zauberland" oder "Das wandelnde Schloss". In seinem letzten Film vor dem angekündigten Ruhestand, "Wie der Wind sich hebt", wagt sich Miyazaki erstmals an einen historischen Stoff und an reale Personen.

Von Rüdiger Suchsland | 12.07.2014
    "May I ask you a question: I know, I can't be a pilot because of my eyesight. But if I am not a pilot, can I still design airplanes?"
    Ein kleiner Junge träumt vom Fliegen. Er ist gerade besessen davon. Wir schreiben das Jahr 1918, im japanischen Kaiserreich geht alles seinen ruhigen Gang. Und ein kleiner Junge wird größer, er wird Flugingenieur. Er reist nach Deutschland, studiert in den Zwanzigerjahren in den Junkers-Werken die neuesten technischen Errungenschaften. Dann reist er zurück in seine Heimat. Er hat ein Mädchen getroffen, das er liebt, und wird selbstverständlich Erfolg haben. Denn er ist der Held der Geschichte, und wir sind in einem Filmmärchen des japanischen Animationsmeisters Hayao Miyazaki. Und da gibt es Bedrohungen und Gefahren, aber immer auch ein Happy End.
    Alles scheint wie immer bei Miyazaki. Die Fliegerei und die Technik haben auf diesen Filmemacher seit jeher besondere Faszination ausgeübt. Miyazaki teilt die Fliegerträume der heroischen Jahre der Fliegerei, in denen tollkühne Männer in fliegenden Pappkisten ihr Leben riskierten, um dem Fortschritt voranzuhelfen.
    Fliegerei und Technik verkörpern Freiheit und Aufbruch, aber auch Hybris und Verhängnis der Menschen. Ihnen hat Miyazaki märchenhaft beseelte Naturidyllen gegenübergestellt. Und die Erfahrung von Katastrophen, von Krieg und Unglück. Diesmal ist es das berühmte Erdbeben von Tokio im Jahr 1923, dass er seine Hauptfigur erleben lässt: Ein eindrucksvolles Panorama aus Schrecken und Katastrophe, dass der Regisseur in grellbunten Farben zeigt.
    Aber wer ist dieser Knabe mit dicken Brillengläsern, der einsehen muss, dass der Traum vom Fliegen ein Traum bleiben wird. Der trotzdem nicht davon lassen kann, und zum Flugingenieur und Erfinder wird. Zum ersten Mal in seiner Karriere wagt sich Miyazaki an einen historischen Stoff und an reale Personen.
    Der Name des Helden ist Jiro Horikoshi, und er hat Geschichte geschrieben als jener Luftfahrtingenieur, der der japanischen Navy ihr Prunkstück beschert: den Mitsubishi A6 M Null, besser bekannt als "Zero"-Bomber, mit dem im Zweiten Weltkrieg die Amerikaner lange besiegt wurden und am Ende die Kamikaze-Flieger kirschblütengleich vom Himmel stürzten. Das Sujet hat vor allem in Japan selbst mit Recht für Kontroversen gesorgt, der Film wurde trotz immenser Erfolge an der Kasse von manchen als Vaterlandverrat, von anderen als Hymne an einen Entwickler todbringender Technologie verdammt.
    Der Träumer trifft den Krieg. Wie verhält sich Miyazakis Film zur historisch-politischen Problematik? Miyazaki leugnet die Tragödie des Ingenieurs nicht, dass seine großen Ideen für schrecklichste Zwecke verwandt wurden. Aber die moralische Gewichtung ist unmissverständlich: Dienst und Pflichterfüllung sind immer wichtiger als private Gefühle.
    Ein anderer für deutsche Zuschauer besonders interessanter Aspekt ist die Liebe des Filmemachers zu Deutschland. Die Hauptfigur besucht Dessau, sie liebt Schubert und hört dessen "Winterreise". Später begegnet er in Japan einem deutschen Emigranten, der offensichtlich Jude ist. Der erzählt vom Nationalsozialismus und dessen Terror, er erzählt aber auch davon, dass die deutsche Kultur das Größte sei. Dann setzt er sich ans Klavier und spielt den Hit aus Erik Charells "Der Kongress tanzt" von 1931: "Das gibt's nur einmal, das kommt nie wieder". Dies ist der langweiligste Film des Animationszauberers Miyazaki. Dass Miyazaki Idyllen liebt, ist für seine Zuschauer nichts Neues. Sehr oft sind diese Idyllen sehr nahe am Kitsch angesiedelt.
    In diesem Fall aber verkitscht Miyazaki auch den faschistisch grundierten japanischen Imperialismus. Und die Ästhetisierung, die sonst immer funktioniert bei diesem Filmemacher, die eine seiner großen Künstlertugenden ist, geht nach hinten los. Dass ein einseitig verstandener Fortschritt und dessen unheilvolle Allianz mit dem Imperialismus, die Träume des 20. Jahrhunderts verkörpert, Träume, von denen wir uns immer noch erholen müssen, das hat Miyazaki in diesem Film zu zeigen vergessen.