Dienstag, 19. März 2024

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Zeichnerduo Greser & Lenz
Die Karikatur ist in Gefahr

Zeitungen drucken sie nicht mehr, das Publikum rebelliert gegen sie: Die Karikatur hat es schwer. Vor der Verleihung des 20. Deutschen Karikaturenpreises sagte das Duo Greser & Lenz im Dlf: "Jeder hat Angst, wenn irgendjemand anderes kritisiert wird. Herrgott, wir müssen doch miteinander streiten!"

Achim Greser und Heribert Lenz im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 15.11.2019
Die Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz stehen vor ihren Bildern
"Den Shitstorm muss man aushalten": Die Karikaturisten Achim Greser (l.) und Heribert Lenz (dpa / Christoph Schmidt)
Adalbert Siniawski: Er wird 20! Am Sonntag wird der Deutsche Karikaturenpreis zum 20 Mal verliehen. Dann gibt des die sogenannten "Geflügelten Bleistifte" für die besten Karikaturen 2019 im deutschsprachigen Raum. Das Motto: "Prima Klima". Die Sieger des Vorjahres sitzen immer mit in der Jury – Achim Greser und Heribert Lenz waren es. Und bei der aktuellen Auswahlrunde der eingereichten Zeichnungen habe ich sie gefragt: Wie schwer oder wie leicht war es für Sie, bei der Punktevergabe mit einer Stimme zu sprechen?
Achim Greser: Äh, das ist kein Problem. Also, das wäre ja noch schöner. Dann wäre ja unsere Kooperation, die jetzt schon seit weit über 20 Jahren währt, dann würde die ja auf sehr tönernen Füßen stehen, wenn wir nicht eine gemeinsame Anschauung von Witz und Grafik und Karikatur hätten.
"Im Humor hat sich etwas eingeschliffen"
Siniawski: Heribert Lenz, haben Sie also die gleiche Humor-Toleranz?
Heribert Lenz: Nun, erstmal sind wir ähnlich sozialisiert, wir kommen beide aus einem fränkischen, kleinbürgerlichen Haushalt. Insofern gab es schon wirklich von Anfang an - wir haben beide zusammen studiert - eine Verwandtschaft, was den Humor angeht. Wir haben das dann zusammengeworfen, nachdem wir bei "Titanic" mal einen Comic zusammen gezeichnet haben und das Engagement bei der "FAZ" kam. Damals haben wir versucht, uns anzunähern. Und es ist nicht nur im Zeichenstil, sondern auch im Humor hat sich etwas eingeschliffen. Wahrscheinlich, dass wir so einen ähnlichen Blick haben auf Themen.
Siniawski: Achim Greser, was gehört denn zu einer schlechten Karikatur dazu?
Greser: Wenn die völlig witzlos ist und in einer Weise gezeichnet ist, dass man gerade im Strahl kotzen könnte.
Lenz: Also, ich denke, die schlechte Karikatur wäre die - also die schlechte Zeitungskarikatur -, wenn nur das, was im Leitartikel schon steht, einfach nochmal ins Bild gefasst wird, also praktisch für Analphabeten das übersetzt wird. Das gibt es immer noch teilweise. Die gute Karikatur ist diejenige, die das Thema noch erweitert - überraschend erweitert, weil sie dann noch erhellend ist. Dann ist sie sehr gut.
Siniawski: Jetzt dürfen Sie bei diesen mal nicht mitmachen, weil Sie ja Sieger waren. Aber wenn sie zum Thema "Prima Klima" etwas zeichnen und einreichen müssten, wie würden Sie da vorgehen? Sie sitzen vorm weißen Blatt Papier oder vorm Computerbildschirm, der vielleicht auch weiß ist. Und wie geht es dann weiter?
Lenz: Wir kommen beide informiert durch die Zeitung - und auch gehört durch den Deutschlandfunk - schon in unser Atelier und gucken, welches Thema überhaupt 24 Stunden überstehen würde. Und dann unterhalten wir uns darüber. Und da wir das jetzt wirklich schon über 23 Jahre machen, sind wir eigentlich ganz routiniert, dass wir ungefähr wissen, welches Thema ist ganz sinnlich, welches können wir angehen, und dann versuchen wir halt irgendeinen Weg zu finden. Wir versuchen, einen überraschenden Weg zu finden und nicht so einen gängigen. Und dann versucht man, das noch ein bisschen weiterzudrehen - nicht zu weit, dass es dann praktisch nur noch der Zeichner versteht, sondern dass es dann auch für den Gucker noch überraschend ist und funktioniert.
Greser: Ob das kommunikativ problematisch ist: Wenn es zu redundant ist, ist es Quatsch, dann hat keiner Spaß dran. Und wenn es zu offen ist, und es findet keiner den Einstieg, ist es auch witzlos. Vor allem das Letztere wird zunehmend zu einem Problem, weil die Gewissheit darüber, dass das Publikum den gleichen Kenntnisstand hat wie man selbst, die erodiert. Man weiß nicht so recht, wie die Leute heutzutage noch darauf sind, was sie gerade mitgekriegt haben, über welche Kanäle sie über was informiert wurden - und was da hängengeblieben ist.
Es gibt immer ein Opfer
Siniawski: Stichwort erodiert, Heribert Lenz, auch die Karikatur erodiert, zum Beispiel die "New York Times" hat sie abgeschafft. Ist das eine bedrohte Zunft?
Lenz: Da werden natürlich Tabus gebrochen, da ist natürlich immer ein Opfer. Das ist bei jedem Witz so, dass jemand ein Opfer ist. Ich weiß auch nicht, was diese Beleidigtheit im Moment, was da eigentlich passieren soll. Jeder hat Angst, wenn irgendjemand anderes kritisiert wird, dass da gleich so ein Shitstorm kommt. Ja gut, den muss man aushalten. Aber man muss doch kritisieren können. Herrgott, wir müssen doch miteinander streiten. Es gibt doch die sogenannte Streitkultur. Wollen wir das alles abschleifen, bis zur Unkenntlichkeit, dass tatsächlich jedes Thema nur bis dahin geht, wo es irgendwie kritisch wird? Oder wie soll es weitergehen? Es ist empörend, dass so eine Zeitung wie die "New York Times" so etwas macht.
Wir haben noch länger mit Achim Greser und Heribert Lenz gesprochen – hören Sie hier die Langfassung des Interviews
Siniawski: Sie werfen sich ja mutig quasi in diesen Kampf sozusagen um die Meinungsfreiheit, hatten auch mit "Üzrüms Alpenglück" und dem Hund Erdoğan in der Hundehütte ja auch so ein Shitstorm erlebt. Ralf König, ganz aktuell, und Franziska Becker hörten Rassismusvorwürfe in diesem Jahr. Das heißt, wir sind auch bedroht von der politischen Korrektheit?
Greser: Ja, absolut! Die Überschriften über diesen verheerenden Meinungsstreit, die auch nicht zielführend sind, ich weiß gar nicht, wann die mal beendet sein sollen. Wenn das Ganze handgreiflich wird und dann am Ende nur noch einer übrig bleibt? Die Überschriften dafür sind all diese "ismen", das ist die Berufung auf eine Klarheit und Reinheit einer Lehre – die ist utopisch. Das wird aber mit aller Macht heutzutage eingefordert von jedem, der sich betroffen fühlt, von so einem "ismus" irgendwie bedrängen zu werden.
Siniawski: Welche Prognose geben Sie der politischen Karikatur in Deutschland?
Lenz: Das große Problem ist, dass immer weniger von der jungen Generation sich ausführlicher informieren will, sondern eher sich im Internet irgendwelche Schlagzeilen anguckt oder in irgendwelchen sogenannten Blasen lebt, und dass dadurch natürlich was verloren geht, weil wir nicht mehr, wie Achim vorhin sagte, eben nicht mehr auf dem gleichen Wissensstand sind. Wenn die Grundvoraussetzung für unsere Witze der Betrachter gar nicht mal weiß - oder nur oberflächlich -, dann kommt es natürlich zu großen Missverständen, dann kann man es natürlich auch sein lassen.
Siniawski: Aber kann man das wirklich an der Jugend festmachen? Es gibt ja einen Satiriker, Jan Böhmermann, der erfolgreich auch eben bei diesen klassischen Feuilleton-Themen und Politikteil-Themen sozusagen mitmischt und seinen Stempel draufdrückt.
Greser: Das ist ein alter Hut, der Vorwurf der Alten gegenüber den Jungen, also die Jungen als nichtsnutzig und dumm und unbrauchbar zu disqualifizieren. Das reicht zurück bis in die Antike.
Siniawski: Sokrates.
Greser: Das ist also ein alter Hut - aber es könnte durchaus sein, dass es diesmal stimmt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.