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Zeit für eine europäische Armee

Der geplante Einsatz im Libanon offenbart einmal mehr die europäische Uneinigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Professor Walter Stützle, ehemals Staatsekretär im Bundesverteidigungsministerium und heute Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, plädiert in der Europakolumne für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee.

    Vieles hat der erneute, unselige Nahost-Krieg schon zu Tage gefördert - auch die politische Ohnmacht der Europäischen Union. Nun, da die Vereinten Nationen um Soldaten für einen Einsatz im Libanon bitten, ja betteln, verhält sich jedes EU-Mitglied nach eigenem Gutdünken. Kofi Annan kann niemanden in Brüssel um Streitkräfte der Europäischen Union bitten, es gibt sie nicht. Nur die Mitgliedstaaten verfügen über ihr jeweiliges Militär. Eine EU-eigene, auch UNO-taugliche Streitkraft aufzubauen, übersteigt noch immer die politische Kraft, ja den Mut auch jener wenigen Europäer, die es noch gibt.

    Die 25 Mitgliedstaaten EU leisten sich den Luxus, mit rund 1,9 Millionen Soldaten weit mehr Streitkräfte zu unterhalten als zum Beispiel die USA mit 600 000 Soldaten weniger. Dem europäischen Steuerbürger werden dafür jährlich etwa 190 Milliarden Dollar aus der Tasche gezogen – dem amerikanischen sogar mehr als 400 Milliarden, die Ausgaben für den Irak-Krieg noch gar nicht gerechnet. Fragt man aber nach dem Ertrag, den die Europäer im Vergleich zu den USA erzielen, so fällt die Antwort mehr als ernüchternd aus: Die EU-Staaten geben rund 40 Prozent dessen aus, was die USA aufwenden, erzielen damit aber nur 15 Prozent der Wirkung der USA. Auch der Industrienationalismus der Europäer wird teuer bezahlt: Er verhindert einen richtigen Wettbewerb auf dem Rüstungsmarkt der EU, was den Bürger jährlich zwischen sechs und zehn Milliarden Euro kostet.
    Diesen Zustand als Verschwendung zu charakterisieren, ist wahrlich keine Übertreibung. Und warum ändert das niemand? Oft genug ist es ja versprochen worden, gehalten wurde es niemals.

    Zwar vollzog die Europäische Union 1999 unter deutscher und dann finnischer Präsidentschaft den Einstieg in eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch dieser Auftakt wurde mit der vor allem von London durchgesetzten Auflage erkauft, keine Europäische Armee aufzubauen. Ganz offenkundig war hier in manchen Regierungskanzleien nicht der heilige Geist, sondern der Irrglaube an die Allmacht nationaler Souveränität am Werk. Javier Solana, der außenpolitische Lehr- und Zaubermeister der EU, beklagt diesen Zustand zurecht. Ändern aber können ihn nur mutige Staats- und Regierungschefs.

    Für die kommende deutsche EU-Präsidentschaft liegt hier ein Feld bereit, das darauf wartet, endlich bestellt zu werden. Eine der EU gehörende Streitkraft auf die Beine zu stellen, von den Staats- und Regierungschefs politisch geführt, vom EU-Parlament kontrolliert, wäre ein lohnendes, auch den Steuerzahler entlastendes Projekt. Mehr als Mut und gute Vorbereitung gehört nicht dazu, das Projekt in Gang zu setzen und zwar mit denen, die in der EU jetzt dazu bereit sind. Soll die Europäische Union international wirklich Einfluss gewinnen und handlungsfähig werden, auch zugunsten eines Friedens im Nahen Osten, dann darf sie nicht bei der gemeinsamen Währung, dem Euro, stehen bleiben. Die Union bedarf auch eigener gemeinsamer Streitkräfte.