"Vereinbarkeit kann man nur denken, wenn man drei Grundprämissen verfolgt. Die eine: Alle Menschen sollen erwerbstätig seien können und sie sollen Eltern sein können. Zweitens: Die sollen Eltern sein können und erwerbstätig. Und drittens: Es darf nicht mit Diskriminierung eines Geschlechts einhergehen."
Der Arbeitsrechtler Professor Ulrich Mückenberger von der Universität Hamburg, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Angesichts einer entgrenzten Arbeitswelt mit Arbeitszeiten beispielsweise, die nicht genau eingehalten werden und gerade für Eltern zu Zeitnotstand führen, kann seiner Meinung nach nicht von einer gelungenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen werden.
"Teilzeit oder Nichterwerbstätigkeit von Frauen mit hohen Transferleistungen als Vereinbarkeitsmodell bringt eine langfristige Verschlechterung der Erwerbsbiografie von Frauen mit sich und die berühmten Diskriminierungen."
Noch immer sind es die Frauen, die die schlecht bezahlten, unsicheren Teilzeitjobs übernehmen, während Männer als Vollzeitverdiener tätig sind. Doch es gibt Gründe, warum Paare dieses Modell leben, warum sie entscheiden, dass Frauen in den Familien weiterhin die Fürsorge- und Hausarbeit übernehmen. Wie nicht anders zu erwarten, sind die vor allem ökonomischer Art, rechnete der Soziologe Professor Hans Bertram von der Humboldt Universität in seinem Vortrag auf der Tagung vor. Einem Vater mit drei Kindern gelingt es, mit 71 Prozent seiner Zeit noch immer 89 Prozent des Familieneinkommens zu verdienen. In der Bilanz eines Paares wäre es dumm, die Arbeitszeit der Frau auszudehnen, müsste sie doch - da Frauenarbeit nach wie vor etwa zu einem Drittel schlechter bezahlt wird- viel mehr Zeit dafür investieren.
"Es gibt sozusagen, wenn man es unter einer reinen Zeitperspektive betrachtet, bestimmte Beharrungskräfte, die einen einladen, das klassische Modell zu leben, weil man Zeitsouveränität gewinnt."
Der Übergang von der Industriegesellschaft zur modernen Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft erzwang innerhalb von nur 100 Jahren in den familialen Lebensformen einen ebenso dramatischen Wandel wie einst beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Mit dem klassischen Modell eines Haupternährers und der zu Hause sorgenden Ehefrau wurde radikal gebrochen. Frauen bestehen heute darauf, erwerbstätig zu sein, auch wenn sie Mütter sind. Dabei ändern sich die Lebensformen in der Gesellschaft weiter. Heute müssen Unternehmen gar nicht unbedingt in die Familien eingreifen, um weiter ihre Maßstäbe zu diktieren.
"Wenn Sie sich das hier anschauen: Die 40- bis 44-jährigen Männer mit höchsten Bildungsabschlüssen - sehen Sie eine fabelhafte Zunahme der Männer, die keine Kinder haben."
Diese Männer prägen die neuen Medien- und Technologieunternehmen. Sie leben vor allen in den Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und kreieren als hoch motivierte "flexible Menschen" neuen Produktionsformen. Ständig einsatzbereit und nicht gebunden durch Familien können sie durch Nacht- und Wochenendarbeit und beweglich rund um die Welt ihre Projekte realisieren. Fürsorge als Daseinsqualität für Kinder oder Ältere wird ihnen nicht abverlangt. Ganz im Gegenteil. Die ökonomische Struktur der Gesellschaft behindert diese Männer, sie zu leben. Fürsorge - als rares Gut - bleibt den Frauen zugewiesen. Deren Lebensrhythmus allerdings verändert sich auch durch den demografischen Wandel. Ein heute geborenes Mädchen kann damit rechnen, 100 Jahre alt zu werden.
"Wenn man sich die Geburt des ersten und des letzten Kindes sich anschaut, dass das erste Kind geboren wird um die 30, das letzte um die 32. Und wenn sie eine ganz konservative Sozialisationszeit unterstellen von 15 Jahren, dann ist in der Regel mit 47 Jahren diese Sozialisationszeit zu Ende. Konsequenterweise sind bei den Lebenswartungen, die junge Frauen heute habe, 35 Jahre schlicht und einfach frei."
Das hat es historisch noch nicht gegeben. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte nur eine Minderheit der Mütter überhaupt die Pubertät ihres letzten Kindes. Die Entscheidung, Kinder aufzuziehen, war bisher nur eine biologische Kategorie. Nun eröffnen die gewonnenen Jahre, wenn die Kinder aus dem Haus sind, neue Möglichkeiten zur Entfaltung, vorausgesetzt, das Leben wird anders getaktet als bisher.
"Wir werden quasi durch die völlig andere Lebenserwartung, die wir haben, nachdenken müssen, wie auch die späteren Phasen aktiv genutzt werden können. Und das kann man nur durch eine lebenslauforientierte Zeitpolitik."
Über Zeit für Familie sollte nach Auffassung von Hans Bertram deshalb nicht nur parallel zum Erwerbsleben nachgedacht werden. Wie es heute Elternzeit gibt, sollte es auch Fürsorgezeiten für die Pflege von Angehörigen und Weiterbildungs- und Neuorientierungszeiten geben, für die es ebenso einer finanziellen Unterstützung wie das Elterngeld bedarf. Das würde helfen, die Dreiteilung des Lebens in Lern-, Arbeits-, Rentenzeit aufzubrechen und neue Zeitfenster eröffnen.
Die Politik bislang allerdings beschränkt sich auf die Kinderfrage und setzt dabei vor allem auf den Ausbau der Infrastruktur für die Kinderbetreuung. Auch in der Bundesrepublik werden nun sowohl die Ganztagsschulen als auch das Betreuungssystem für die Kinder unter drei Jahren ausgebaut. Doch, so eine Warnung auf der Tagung: Nicht alle Bedürfnisse der Kinder lassen sich outsourcen.
"Es gibt einen Trend, immer mehr Kinderzeiten in Betreuungsinstitutionen zu tun, was sehr sinnvoll ist, aber Grenzen hat."
Die Kindheits- und Zeitforscherin Helga Zeiher.
"Die Option müsste da sein, dass Eltern die Möglichkeit finden, nicht unter Stress und ständigen Zeitchaos ihre Kinder auszuziehen, sondern in den Phasen, in denen die Kinder mehr Zeit brauchen, auch mehr Zeit zu haben."
Über Zeitkonten könnte die starre Regelung von Arbeitszeiten aufgebrochen werden. Dafür aber braucht es die Flexibilität der Wirtschaft, braucht es auch eine unterstützende lokale Zeitpolitik, die die verschiedenen Zeitbedürfnisse von Frauen und Männern wahrnimmt. Studien sagen nicht nur, dass Frauen länger, Männer kürzer arbeiten wollen. Bei Befragungen von Hans Bertram gaben 30 bis 40 Prozent der Männer mit Kindern bis zu 18 Jahren auch an, dass sie sich vorstellen könnten, ihre Arbeitszeit zu vermindern, um für die Familie da zu sein. Darin sieht der Soziologe auch den Weg zu mehr Zeitsouveränität:
"Wir reden bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Regel über Frauen. Wir müssen es zu einem Männerthema machen. Erst dann, wenn es zu einem Männerthema geworden ist, wenn wir uns überlegen, wie Projektarbeit anders organisiert werden kann, erst dann, wenn Vorstandsvorsitzende Elternzeit nehmen, erst dann werden die schönen neuen Welten von Zeitpolitik realisiert werden können. Solange das nicht der Fall ist, ist es entweder ein Minderheitenthema oder es ändert sich gar nichts."
Der Arbeitsrechtler Professor Ulrich Mückenberger von der Universität Hamburg, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. Angesichts einer entgrenzten Arbeitswelt mit Arbeitszeiten beispielsweise, die nicht genau eingehalten werden und gerade für Eltern zu Zeitnotstand führen, kann seiner Meinung nach nicht von einer gelungenen Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen werden.
"Teilzeit oder Nichterwerbstätigkeit von Frauen mit hohen Transferleistungen als Vereinbarkeitsmodell bringt eine langfristige Verschlechterung der Erwerbsbiografie von Frauen mit sich und die berühmten Diskriminierungen."
Noch immer sind es die Frauen, die die schlecht bezahlten, unsicheren Teilzeitjobs übernehmen, während Männer als Vollzeitverdiener tätig sind. Doch es gibt Gründe, warum Paare dieses Modell leben, warum sie entscheiden, dass Frauen in den Familien weiterhin die Fürsorge- und Hausarbeit übernehmen. Wie nicht anders zu erwarten, sind die vor allem ökonomischer Art, rechnete der Soziologe Professor Hans Bertram von der Humboldt Universität in seinem Vortrag auf der Tagung vor. Einem Vater mit drei Kindern gelingt es, mit 71 Prozent seiner Zeit noch immer 89 Prozent des Familieneinkommens zu verdienen. In der Bilanz eines Paares wäre es dumm, die Arbeitszeit der Frau auszudehnen, müsste sie doch - da Frauenarbeit nach wie vor etwa zu einem Drittel schlechter bezahlt wird- viel mehr Zeit dafür investieren.
"Es gibt sozusagen, wenn man es unter einer reinen Zeitperspektive betrachtet, bestimmte Beharrungskräfte, die einen einladen, das klassische Modell zu leben, weil man Zeitsouveränität gewinnt."
Der Übergang von der Industriegesellschaft zur modernen Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft erzwang innerhalb von nur 100 Jahren in den familialen Lebensformen einen ebenso dramatischen Wandel wie einst beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Mit dem klassischen Modell eines Haupternährers und der zu Hause sorgenden Ehefrau wurde radikal gebrochen. Frauen bestehen heute darauf, erwerbstätig zu sein, auch wenn sie Mütter sind. Dabei ändern sich die Lebensformen in der Gesellschaft weiter. Heute müssen Unternehmen gar nicht unbedingt in die Familien eingreifen, um weiter ihre Maßstäbe zu diktieren.
"Wenn Sie sich das hier anschauen: Die 40- bis 44-jährigen Männer mit höchsten Bildungsabschlüssen - sehen Sie eine fabelhafte Zunahme der Männer, die keine Kinder haben."
Diese Männer prägen die neuen Medien- und Technologieunternehmen. Sie leben vor allen in den Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und kreieren als hoch motivierte "flexible Menschen" neuen Produktionsformen. Ständig einsatzbereit und nicht gebunden durch Familien können sie durch Nacht- und Wochenendarbeit und beweglich rund um die Welt ihre Projekte realisieren. Fürsorge als Daseinsqualität für Kinder oder Ältere wird ihnen nicht abverlangt. Ganz im Gegenteil. Die ökonomische Struktur der Gesellschaft behindert diese Männer, sie zu leben. Fürsorge - als rares Gut - bleibt den Frauen zugewiesen. Deren Lebensrhythmus allerdings verändert sich auch durch den demografischen Wandel. Ein heute geborenes Mädchen kann damit rechnen, 100 Jahre alt zu werden.
"Wenn man sich die Geburt des ersten und des letzten Kindes sich anschaut, dass das erste Kind geboren wird um die 30, das letzte um die 32. Und wenn sie eine ganz konservative Sozialisationszeit unterstellen von 15 Jahren, dann ist in der Regel mit 47 Jahren diese Sozialisationszeit zu Ende. Konsequenterweise sind bei den Lebenswartungen, die junge Frauen heute habe, 35 Jahre schlicht und einfach frei."
Das hat es historisch noch nicht gegeben. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte nur eine Minderheit der Mütter überhaupt die Pubertät ihres letzten Kindes. Die Entscheidung, Kinder aufzuziehen, war bisher nur eine biologische Kategorie. Nun eröffnen die gewonnenen Jahre, wenn die Kinder aus dem Haus sind, neue Möglichkeiten zur Entfaltung, vorausgesetzt, das Leben wird anders getaktet als bisher.
"Wir werden quasi durch die völlig andere Lebenserwartung, die wir haben, nachdenken müssen, wie auch die späteren Phasen aktiv genutzt werden können. Und das kann man nur durch eine lebenslauforientierte Zeitpolitik."
Über Zeit für Familie sollte nach Auffassung von Hans Bertram deshalb nicht nur parallel zum Erwerbsleben nachgedacht werden. Wie es heute Elternzeit gibt, sollte es auch Fürsorgezeiten für die Pflege von Angehörigen und Weiterbildungs- und Neuorientierungszeiten geben, für die es ebenso einer finanziellen Unterstützung wie das Elterngeld bedarf. Das würde helfen, die Dreiteilung des Lebens in Lern-, Arbeits-, Rentenzeit aufzubrechen und neue Zeitfenster eröffnen.
Die Politik bislang allerdings beschränkt sich auf die Kinderfrage und setzt dabei vor allem auf den Ausbau der Infrastruktur für die Kinderbetreuung. Auch in der Bundesrepublik werden nun sowohl die Ganztagsschulen als auch das Betreuungssystem für die Kinder unter drei Jahren ausgebaut. Doch, so eine Warnung auf der Tagung: Nicht alle Bedürfnisse der Kinder lassen sich outsourcen.
"Es gibt einen Trend, immer mehr Kinderzeiten in Betreuungsinstitutionen zu tun, was sehr sinnvoll ist, aber Grenzen hat."
Die Kindheits- und Zeitforscherin Helga Zeiher.
"Die Option müsste da sein, dass Eltern die Möglichkeit finden, nicht unter Stress und ständigen Zeitchaos ihre Kinder auszuziehen, sondern in den Phasen, in denen die Kinder mehr Zeit brauchen, auch mehr Zeit zu haben."
Über Zeitkonten könnte die starre Regelung von Arbeitszeiten aufgebrochen werden. Dafür aber braucht es die Flexibilität der Wirtschaft, braucht es auch eine unterstützende lokale Zeitpolitik, die die verschiedenen Zeitbedürfnisse von Frauen und Männern wahrnimmt. Studien sagen nicht nur, dass Frauen länger, Männer kürzer arbeiten wollen. Bei Befragungen von Hans Bertram gaben 30 bis 40 Prozent der Männer mit Kindern bis zu 18 Jahren auch an, dass sie sich vorstellen könnten, ihre Arbeitszeit zu vermindern, um für die Familie da zu sein. Darin sieht der Soziologe auch den Weg zu mehr Zeitsouveränität:
"Wir reden bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Regel über Frauen. Wir müssen es zu einem Männerthema machen. Erst dann, wenn es zu einem Männerthema geworden ist, wenn wir uns überlegen, wie Projektarbeit anders organisiert werden kann, erst dann, wenn Vorstandsvorsitzende Elternzeit nehmen, erst dann werden die schönen neuen Welten von Zeitpolitik realisiert werden können. Solange das nicht der Fall ist, ist es entweder ein Minderheitenthema oder es ändert sich gar nichts."