Badewanne oder Bombe - das ist hier die Frage. Seit 20 Jahren wühlen sich die Männer vom Kampfmittelräumdienst mit ihren Bohrern wie Maulwürfe durch die Erde von Oranienburg. Sie suchen nach Bombenblindgängern. Weil die Alliierten in Oranienburg eine Atomversuchsanlage vermuteten und hier ein Flugzeugwerk von Heinkel und eine Pharmafabrik angesiedelt waren, wurden über der Stadt 20.000 Bomben mit Verzögerungszünder abgeworfen. Um die Bevölkerung zu demoralisieren, waren sie so gebaut, dass sie noch bis zu einer Woche nach Abwurf explodieren sollten. Doch die eingebaute Technik versagte oft und genau diese Blindgänger ticken heute, 65 Jahre nach Kriegsende, immer noch in der Erde. Nach ihnen fahndet der Kampfmittelexperte Harald Gehrke mit seinem Bohrer:
"Und mit diesem Bohrgerät machen wir Bohrlöcher bis zu einer Tiefe von neun Metern. Wenn wir das Bohrloch haben, stecken wir ein Plasterohr rein. In diesem Plasterohr werden nachher die Messungen für den Bohrlochradar durchgeführt."
Die blauen Plasteröhren ragen im Meterabstand wie Trinkhalme aus dem Boden, rund um eine Halle in einem Gewerbegebiet. Später wird ein Radar in die Löcher hinabgelassen. So kann Harald Gehrke wie beim Röntgen unter die 600 Quadratmeter große Halle gucken - und feststellen, ob dort ein gefährlicher Blindgänger liegt oder harmloser Metallschrott. Das Radarverfahren ist ganz neu. Bis vor Kurzem mussten Harald Gehrke und seine Kollegen noch mit großen Bohrhämmern sämtliche Untergründe zerlöchern: Egal, ob Straßenasphalt, Turnhallenfußboden oder Nachbars Keller - alles wurde zerbohrt bei der Suche nach Bomben, erklärt Truppführer Gert Fleischauer:
"Früher wurde richtig, na ja, das Haus wurde zu Käse gebohrt, sagen wir mal, Loch an Loch!"
Ein gigantischer Aufwand, langwierig und kompliziert. Doch die meisten Einwohner zeigen ein hohes Duldungspotenzial, wenn die Männer mit ihren orangenen Westen anrücken und den schicken Rasen vorm Haus regelrecht perforieren - oder wenn sie bei einer Entschärfung für einen Tag lang mal wieder ihre Häuser räumen müssen. Ursula Heinz wohnt in einem kleinen Einfamilienhäuschen:
"Einige Straßen sind echt gefährdet und wir wohnen ja schon lange hier und hier ist ja auch schon einiges passiert. Einige Bomben sind ja schon spontan hochgegangen, im Lehnitzsee direkt, und in den Grundstücken auch, ja. Also wir sind ganz doll gefährdet, schlimmer als jede andere Stadt in Deutschland."
Es grenzt fast an ein Wunder, dass die fünf Bomben, die bisher in Oranienburg hochgegangen sind, keinen Menschen getötet und keine Schäden angerichtet haben. Wie groß die Gefahr tatsächlich ist, geht aus einem Gutachten hervor, das an der Universität Cottbus erarbeitet wurde und kurz nach der Katastrophe von Göttingen veröffentlicht wurde. "Eine Selbstdetonation in naher Zukunft ist als wahrscheinlich anzunehmen" heißt es in dem 250-Seiten-Papier. In Oranienburg reagierte man umgehend. Dort, wo laut Gutachten die Bedrohung durch Blindgänger am größten ist, dürfen ab Sonntag keine Busse der kreiseigenen Busgesellschaft mehr fahren. Damit will man die Explosionsgefahr durch Erschütterungen oder Vibration durch schwere Fahrzeuge so gering wie möglich halten. Landrat Karl Heinz Schröter:
"Wir müssen diesen Schritt gehen, weil die Bomben leider so aufgebaut sind, dass sie früher oder später selbst detonieren werden. Das ist ein Ergebnis der Studie, das wir sehr ernst nehmen müssen. Und ich gehe lieber jetzt an die Schmerzgrenze des Erträglichen, was die Belastung der Bevölkerung in Oranienburg betrifft, als dass ich mir später vorwerfen lassen muss, wir hätten hier Zeit durch Diskussionen oder langes Warten vertrödelt."
Durch das veränderte Liniennetz entstehen dem Kreis Mehrkosten von fast 900.000 Euro im Jahr, weil mehr Busse und Fahrer eingesetzt werden müssen. Für die Fahrgäste bedeutet das: Längere Wege zu den Haltestellen, längere Fahrzeiten.
"Es ist natürlich schlimm, wenn der hier nicht mehr so fährt. Aber wenn es zu gefährlich ist, würde ich damit leben können."
Landrat Karl Heinz Schröter will noch weiter gehen: Auch der Lkw-Verkehr soll raus aus der Innenstadt. Doch dieser Schritt ist deutlich schwieriger. Die Frage ist: Wie viel ist einer Stadt zuzumuten. Bürgermeister Hans - Joachim Läsicke:
"Wenn ich hier wichtige Unternehmen haben, die Zulieferer brauchen und die ihre Produkte wegbringen müssen aus Oranienburg, wenn Leute dann hier eben leben, ihr ganz normales Leben vollführen, dann muss man auch dem Umstand Rechnung tragen, und kann nicht sagen: Okay, wir machen jetzt Oranienburg tot und fangen an neuer Stelle noch mal ganz neu an. Das geht nicht. Man muss einfach zusehen, dass die Anstrengung erhöht wird, die Bomben hier zu beseitigen und gleichzeitig den Seiltanz hinbekommen, ein normales Leben zu organisieren."
Welche Straßen wann vom Schwerlastverkehr befreit werden, wird zurzeit geprüft. Die Maßnahmen sollen gelten, bis die Innenstadt frei von Bombenblindgängern ist. Das muss laut Gutachten innerhalb der nächsten 10 Jahre passieren, Kostenpunkt: 420 Millionen Euro. Elf Millionen Euro stellt der Kreis in den nächsten drei Jahren zur Verfügung. Die Stadt Oranienburg zahlt eine Million Euro pro Jahr, vom Land kommen drei Millionen pro Jahr. Der Bund sieht sich nicht in der Pflicht. Eine fragwürdige Haltung, findet Oranienburgs Bürgermeister Hans Joachim Läsicke:
"Die Beteiligung an einem Krieg ist immer eine große nationale Aufgabe. Da werden immer große patriotische Gefühle geweckt. Und wenn dann der Krieg vorbei ist, dann ist auf einmal die Beseitigung der Kriegsfolgen eine kommunale Angelegenheit? Das ist für mich absolut nicht nachvollziehbar."
Die Zeit ist reif für einen Solidarpakt, fordert Bürgermeister Läsicke. Auch der Bund soll endlich zahlen. Darauf dringt neuerdings verstärkt auch Brandenburgs Innenminister Reiner Speer. Ministeriumssprecher Ingo Decker:
"Was versucht werden muss und wo wir auch einen Beitrag zu leisten wollen, ist, dass man mit dem Bund ins Gespräch kommt über eine politische Lösung, und das wird auch passieren. Ich will mich jetzt aber nicht näher dazu äußern."
Denn es ist nicht die Frage, ob, sondern wann die nächste Bombe in Oranienburg explodiert, sagt Bürgermeister Läsicke. Er fordert mehr Anstrengung bei der Blindgängersuche und wünscht sich:
"Dass innerhalb von zehn Jahren Oranienburg so sicher ist, wie andere Städte."
"Und mit diesem Bohrgerät machen wir Bohrlöcher bis zu einer Tiefe von neun Metern. Wenn wir das Bohrloch haben, stecken wir ein Plasterohr rein. In diesem Plasterohr werden nachher die Messungen für den Bohrlochradar durchgeführt."
Die blauen Plasteröhren ragen im Meterabstand wie Trinkhalme aus dem Boden, rund um eine Halle in einem Gewerbegebiet. Später wird ein Radar in die Löcher hinabgelassen. So kann Harald Gehrke wie beim Röntgen unter die 600 Quadratmeter große Halle gucken - und feststellen, ob dort ein gefährlicher Blindgänger liegt oder harmloser Metallschrott. Das Radarverfahren ist ganz neu. Bis vor Kurzem mussten Harald Gehrke und seine Kollegen noch mit großen Bohrhämmern sämtliche Untergründe zerlöchern: Egal, ob Straßenasphalt, Turnhallenfußboden oder Nachbars Keller - alles wurde zerbohrt bei der Suche nach Bomben, erklärt Truppführer Gert Fleischauer:
"Früher wurde richtig, na ja, das Haus wurde zu Käse gebohrt, sagen wir mal, Loch an Loch!"
Ein gigantischer Aufwand, langwierig und kompliziert. Doch die meisten Einwohner zeigen ein hohes Duldungspotenzial, wenn die Männer mit ihren orangenen Westen anrücken und den schicken Rasen vorm Haus regelrecht perforieren - oder wenn sie bei einer Entschärfung für einen Tag lang mal wieder ihre Häuser räumen müssen. Ursula Heinz wohnt in einem kleinen Einfamilienhäuschen:
"Einige Straßen sind echt gefährdet und wir wohnen ja schon lange hier und hier ist ja auch schon einiges passiert. Einige Bomben sind ja schon spontan hochgegangen, im Lehnitzsee direkt, und in den Grundstücken auch, ja. Also wir sind ganz doll gefährdet, schlimmer als jede andere Stadt in Deutschland."
Es grenzt fast an ein Wunder, dass die fünf Bomben, die bisher in Oranienburg hochgegangen sind, keinen Menschen getötet und keine Schäden angerichtet haben. Wie groß die Gefahr tatsächlich ist, geht aus einem Gutachten hervor, das an der Universität Cottbus erarbeitet wurde und kurz nach der Katastrophe von Göttingen veröffentlicht wurde. "Eine Selbstdetonation in naher Zukunft ist als wahrscheinlich anzunehmen" heißt es in dem 250-Seiten-Papier. In Oranienburg reagierte man umgehend. Dort, wo laut Gutachten die Bedrohung durch Blindgänger am größten ist, dürfen ab Sonntag keine Busse der kreiseigenen Busgesellschaft mehr fahren. Damit will man die Explosionsgefahr durch Erschütterungen oder Vibration durch schwere Fahrzeuge so gering wie möglich halten. Landrat Karl Heinz Schröter:
"Wir müssen diesen Schritt gehen, weil die Bomben leider so aufgebaut sind, dass sie früher oder später selbst detonieren werden. Das ist ein Ergebnis der Studie, das wir sehr ernst nehmen müssen. Und ich gehe lieber jetzt an die Schmerzgrenze des Erträglichen, was die Belastung der Bevölkerung in Oranienburg betrifft, als dass ich mir später vorwerfen lassen muss, wir hätten hier Zeit durch Diskussionen oder langes Warten vertrödelt."
Durch das veränderte Liniennetz entstehen dem Kreis Mehrkosten von fast 900.000 Euro im Jahr, weil mehr Busse und Fahrer eingesetzt werden müssen. Für die Fahrgäste bedeutet das: Längere Wege zu den Haltestellen, längere Fahrzeiten.
"Es ist natürlich schlimm, wenn der hier nicht mehr so fährt. Aber wenn es zu gefährlich ist, würde ich damit leben können."
Landrat Karl Heinz Schröter will noch weiter gehen: Auch der Lkw-Verkehr soll raus aus der Innenstadt. Doch dieser Schritt ist deutlich schwieriger. Die Frage ist: Wie viel ist einer Stadt zuzumuten. Bürgermeister Hans - Joachim Läsicke:
"Wenn ich hier wichtige Unternehmen haben, die Zulieferer brauchen und die ihre Produkte wegbringen müssen aus Oranienburg, wenn Leute dann hier eben leben, ihr ganz normales Leben vollführen, dann muss man auch dem Umstand Rechnung tragen, und kann nicht sagen: Okay, wir machen jetzt Oranienburg tot und fangen an neuer Stelle noch mal ganz neu an. Das geht nicht. Man muss einfach zusehen, dass die Anstrengung erhöht wird, die Bomben hier zu beseitigen und gleichzeitig den Seiltanz hinbekommen, ein normales Leben zu organisieren."
Welche Straßen wann vom Schwerlastverkehr befreit werden, wird zurzeit geprüft. Die Maßnahmen sollen gelten, bis die Innenstadt frei von Bombenblindgängern ist. Das muss laut Gutachten innerhalb der nächsten 10 Jahre passieren, Kostenpunkt: 420 Millionen Euro. Elf Millionen Euro stellt der Kreis in den nächsten drei Jahren zur Verfügung. Die Stadt Oranienburg zahlt eine Million Euro pro Jahr, vom Land kommen drei Millionen pro Jahr. Der Bund sieht sich nicht in der Pflicht. Eine fragwürdige Haltung, findet Oranienburgs Bürgermeister Hans Joachim Läsicke:
"Die Beteiligung an einem Krieg ist immer eine große nationale Aufgabe. Da werden immer große patriotische Gefühle geweckt. Und wenn dann der Krieg vorbei ist, dann ist auf einmal die Beseitigung der Kriegsfolgen eine kommunale Angelegenheit? Das ist für mich absolut nicht nachvollziehbar."
Die Zeit ist reif für einen Solidarpakt, fordert Bürgermeister Läsicke. Auch der Bund soll endlich zahlen. Darauf dringt neuerdings verstärkt auch Brandenburgs Innenminister Reiner Speer. Ministeriumssprecher Ingo Decker:
"Was versucht werden muss und wo wir auch einen Beitrag zu leisten wollen, ist, dass man mit dem Bund ins Gespräch kommt über eine politische Lösung, und das wird auch passieren. Ich will mich jetzt aber nicht näher dazu äußern."
Denn es ist nicht die Frage, ob, sondern wann die nächste Bombe in Oranienburg explodiert, sagt Bürgermeister Läsicke. Er fordert mehr Anstrengung bei der Blindgängersuche und wünscht sich:
"Dass innerhalb von zehn Jahren Oranienburg so sicher ist, wie andere Städte."