Die Wirtschaft wächst. Längst gibt es Null- und Minus-Wachstum. Aber wie erst könnte die Wirtschaft wachsen, wenn wir nicht so viel Zeit mit Warten verschwenden würden? Moment mal, fragen andere: Will hier jemand Zeit sparen und wozu überhaupt? Worauf warten wir eigentlich?
"Die wahre Zeit", so der Schriftsteller Carlo Levi, ist "das schwankende Euter einer Kuh."
Der Soziologe Rainer Paris schreibt in einem Artikel zum Thema:
"Alle Menschen warten, aber nur Menschen warten, wenn Tiere auf Beute lauern, warten sie nicht."
Prof. Rainer Paris aus Magdeburg hat die "Soziologie des Wartens" zwei Jahre lang untersucht und die Ergebnisse in einer Studie zusammengefasst: Warten auf Amtsfluren
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 53, 2001, S. 705-733 -
"Die Zeit entsteht mit der Unlust, "
zitiert der Soziologe Reiner Paris den Schriftsteller Novalis. Und er fährt fort:
"Erst die Störung, die Unterbrechung, das Stocken des Handelns und die damit veränderte Perspektive rückt sie uns ins Bewusstsein. Erst wenn wir nach ihr fragen, wird sie uns zum Problem. Der Paradefall ist das Warten: Warten ist zwanghaftes Fragen nach der Zeit. Wo immer wir warten, steht die Zeit, genauer: das Vergehen der Zeit, im Mittelpunkt der Situation.... Die Zeit wird überpräsent... Das erste und wichtigste Charakteristikum des Wartens ist die scharfe Bewusstheit von Zeitfluss und Dauer. Wartende achten auf die verrinnende Zeit und registrieren penibel, wie lange sie schon gewartet haben. Mechanische Zeit verwandelt sich in Erlebniszeit. Das ist oftmals ganz wörtlich zu nehmen: Immer wieder heftet sich der Blick der Wartenden, etwa in Ämtern oder auf Bahnsteigen, an die aufgehängte Uhr, schauen sie dem stupiden Vorrücken des Sekundenzeigers zu."
Wolf Erlbruch:
"Nur auf den Zufall ist Verlass, ne, das heißt also, man muss halt geduldig warten und den Zufall nicht forcieren. Aber es ist Verlass auf den Zufall, dass irgendwann einem jemand begegnet oder einem etwas in die Hände fällt, was einem auf die Idee bringt, die man gesucht hat. Und das andere heißt: Willst du Gott zum Lachen bringen, ist aus Mexico, erzähl ihm deine Pläne. Diese beiden passen ja ganz gut zusammen und somit hab ich keine Pläne und verlass mich nach wie vor auf den Zufall. Eigentlich immer schon. Ich hab noch nie irgendwas geplant."
Manchmal reifen Ideen über Jahre. Ideen vom Tod zum Beispiel. Vor langer Zeit hat Wolf Erlbruch einmal zwei Figuren für ein Lesezeichen entworfen:
"Und diese drei gefielen mir damals schon ganz gut und ich hab so im Hinterkopf gedacht, vielleicht kann man da mal was draus machen. Dann ist es aber fast zehn Jahre liegen geblieben. Irgendwann hab ichs wiedergefunden und hab dann versucht, was draus zu machen, das in den Griff zu bekommen und hab das überhaupt nicht in den Griff gekriegt. Dann hab ich wieder gewartet. Und habs vergesssen und hab irgendwas anderes gemacht und irgendwann wars dann da, es dauert manchmal."
Irgendwann ist "Ente, Tod und Tulpe" daraus geworden, ein Kinderbuch über den Tod.
Wolf Erlbruch
Ente, Tod und Tulpe
2007 Kunstmann
Irgendwann stellt jedes Kind die Frage nach dem Tod. Ganz unbefangen. Alle Eltern wissen das und haben selten eine unbefangene Antwort parat. So selbstverständlich der Tod im Leben ist, so selbstverständlich gehört er ins Kinderbuch. In Wolf Erlbruchs Ente, Tod und Tulpe ist der Tod ein leichtfüßiger Begleiter, schon immer da, man merkts nur nicht: Schon länger hatte die Ente so ein Gefühl. "Wer bist du und was schleichst du hinter mir her?" "Schön, dass du mich endlich bemerkst", sagte der Tod. "Ich bin der Tod." Die Ente erschrak. Das konnte man ihr nicht übel nehmen. "Und jetzt kommst du mich holen?" "Ich bin schon in deiner Nähe, so lange du lebst nur für den Fall." "Für den Fall?" fragte die Ente. "Na, falls dir etwas zustößt. Ein schlimmer Schnupfen, ein Unfall, man weiß nie.
Rajvinder Singh, Schriftsteller aus Indien. Lebt seit vielen Jahren in Deutschland:
"Ich habe mal geschrieben: Leben ist die Reise des Todes. Aber...wenn ich auf einem Weg bin, möchte ich nicht warten, bis ich am Ziel bin. Ich will den Weg, jeden Augenblick, jeden Schritt erleben. Das Ziel wird sowieso kommen. Aber nur dann kommen, wenn ich mich bewege, also erlebe. Leben ist Erleben. Und deshalb: die Kräfte, die dafür vorgesehen sind, mentale wie auch körperliche, die werden irgendwann mal ausgehen und die sind von vornherein organische Kräfte. Und hier ist der wichtige Punkt: wenn wir uns und unser Wesen nicht warten, also instandhalten, werden wir schneller ans Ziel kommen und der Tod wird schneller eintreten."
Der Zeitforscher Robert Levine:
"In Nepal und Indien habe ich beobachtet, wie Freunde einander besuchten, um einfach nur dazusitzen und zu schweigen -- Besuche, bei denen sich jeder wohl fühlte (außer mir, natürlich). Manchmal dehnte sich das Schweigen über Stunden, bis sich plötzlich, wie durch spontane Verpuffung, eine oft sehr lebhafte und lustige Unterhaltung 'entlud'. Dann folgte wieder Stille, die vielleicht sogar anhielt, bis es Zeit war, den Besuch zu beenden."
Robert Levine
Eine Landkarte der Zeit
Wie Kulturen mit Zeit umgehen.
1999 Piper
"Die Auffassung von Zeit ist relativ und flexibel", sagt der Wissenschaftler Robert Levine. In "Eine Lankarte der Zeit" macht er uns bewußt, dass das Zeitgefühl eines Kulturkreises tiefe Konsequenzen auf das psychologische, physische und emotionale Wohl eines Individuums hat. Er beschreibt "Uhr-Zeit" als Gegensatz zu "Natur-Zeit" (Rhythmus von Sonne udn Jahreszeiten) und "Ereignis-Zeit" (Strukturierung der Zeit nach Ereignissen) und macht uns deutlich, dass wir, wenn wir uns dieser drei Zeitauffassungen bedienten, ein wesentlich flexibleres und ausgeglicheneres Leben genießen könnten.
Hier präsentiert uns Rober Levine ein aufschlussreiches, erhellendes Portrait der "Zeit"; eines der wenigen Bücher, die uns öffnen und uns lehren, das alltägliche Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und ganz neu zu überdenken.
Das Warten: "Es ist gut zu hoffen, nur das Warten verdirbt es", so das jüdische
Sprichwort. Das Warten selbst aber ist, wenn es endlich vorbei ist,
rasch vergessen.
Georg Kreisler: Das Triangel bei youtube
Max Frisch
Bin oder Die Reise nach Peking
1999 Suhrkamp
Der Kulturwissenschaftler Boris Groys hat ein "kommunistisches Postskriptum" verfasst:
Boris Groys
Das kommunistische Postskriptum
2006 Suhrkamp
Die heutige Welt ist gekennzeichnet von Projekten nicht bloß der ökonomischen, sondern auch der politischen und ideologischen Globalisierung. All diese Unternehmungen versuchen, sich mit revolutionären oder mit friedlichen Mitteln durchzusetzen - vom vereinten Europa bis zum politischen Islam. Stets handelt es sich dabei um postkommunistische Projekte, denn erstens ist ihre Entstehung vor allem durch den Untergang des Kommunismus möglich geworden, und zweitens sind ihre Strategien und Ziele zutiefst von den Erfahrungen des historischen Kommunismus geprägt - sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Deswegen können diese Projekte nur dann adäquat verstanden werden - so die These von Boris Groys -, wenn ihre post-kommunistische Lage präzise thematisiert und analysiert wird.
Der Zeitforscher Olaf Georg Klein:
"Ich erzähle Ihnen eine Geschichte aus meiner Kindheit. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, hab ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich mir jetzt nicht mehr die Zähne putzen werde und da war sie ganz erstaunt. Und da hab ich gesagt: Naja, ich putz morgens und abends jeweils 2 Minuten, das sind 4 Minuten, ja. Das sind in 10 Tagen 40 Minuten, das sind in 100 Tagen 400 Minuten und wenn ich diese ganze Zeit zusammen nehme, dann kann ich die ja hinten an meine Lebenszeit noch anhängen. Ich spare die Zeit und heb mir die auf für eine ganz besondere Zeit. Und Sie merken schon, dass das natürlich n Witz ist, das funktioniert nicht. Diese Vorstellung, dass man Zeit sparen könnte, ist an sich so was wie ein kollektiver Wahnsinn, so ähnlich wie die Hexenvorstellung oder irgendsowas. Das heißt wir machen in der Zeit nur immer etwas anderes. Ich kann natürlich sagen, statt an der Kasse zu stehen, kann ich dann im Stau stehen oder ich kann vielleicht n bisschen langsamer nach Hause gehen. Aber egal, was immer, ich werde etwas tun."
Olaf Georg Klein
Zeit als Lebenskunst.
2007 Wagenbach
Zeit kann man nicht sparen, Zeit muss man leben - ein Buch wider den Beschleunigungswahn der westlichen Gesellschaft. Olaf Georg Kleins Buch plädiert für einen neuen, anderen Umgang mit Zeit und skizziert, was echte Zeitsouveränität.
Plädoyer fürs Hier und Jetzt
Olaf Georg Klein: "Zeit als Lebenskunst"
Warten Frauen anders als Männer? Uta Brandes, Professorin an der Fachhochschule Köln für Gender und Design, sagt ja. In hunderten kleinen Beobachtungsstudien haben Uta Brandes und Studierende Wartende beobachtet. In Deutschland und in China.
Nehmen wir mal die Situation an einer Haltestelle, Bus, Bahn und so weiter: Je länger sie warten müssen - beide Geschlechter -, desto nervöser wird man natürlich, desto mehr bewegt man sich und bleibt nicht an einem Platz stehen, aber wir haben festgestellt in großen Beobachtungsstudien: Frauen gehen dann hin und her an der Haltestelle. Nur knapp die Hälfte der Strecke von dem, was Männer gehen. Wir interpretieren das so, dass es dieses typische wieder mal Raumverhalten von Frauen ist. Frauen insgesamt nehmen weniger Raum ein, machen sich kleiner, geschlossene Beine, Hände eng am Körper und so weiter. Und das ist auch im Gehen so, der Mann erobert quasi und markiert sein Territorium.
Warten in China und in Köln - Ein Projekt chinesischer und Kölner Design-Studierender
Der Germanist Joseph Vogl
Die Hoffnung, in unserer durchökonomisierten Welt, die Zeit, das Warten neu zu erfinden, hält der Germanist Joseph Vogl für Augenwischerei:
"Natürlich kann man warten mit allen möglichen Zen-buddhistischen Operationen oder psychotechnischen Tricks ausfüllen, darf aber nicht vergessen machen, dass wir mit diesem Warten ganz unmittelbar unserer eigenen Zivilisation begegnen. Selbst wenn man auf fremde Kulturen trifft, wie das sowohl den Kolonisatoren wie auch den Künstlern etwa noch im 19. Jahrhundert passiert ist, stoßen sie auf Zeitformen, die aus unserer Perspektive elementar mit dem Warten zu tun haben, aber nichts von deren Erfahrungssubstrat enthält. Leute, die in den Tag hineinleben, Leute, die den Tag nicht nach Disziplinen, Rhythmen, Stundenplänen etc. geteilt haben, all diese Leute kennen im Grunde das Warten nicht, denn das Warten ist ein zentraler Effekt unserer inneren Uhr, die an fugenlos durchökonomisierten Zeitformen festhält."
Der Schriftsteller, Künstler und Kunstkritiker John Berger lässt uns in seinem Essay "Gegen die Abwertung der Welt" in Dialog mit seinem Objekt treten:
"Ich vertreibe die Zeit, wenn sie schlecht und widrig ist; wenn sie gut ist, will ich sie nicht vertreiben, ich koste sie aus und halte mich an ihr fest. Die böse Zeit muss man durchlaufen und in der guten Zeit lange weilen. Diese gewöhnlichen Redensarten 'Zeitvertreib' und 'sich die Zeit vertreiben' drücken die Gewohnheit jener gescheiten Leute aus, welche ihr Leben nicht besser glauben bestehen zu können, als dass sie es hingleiten und fortlaufen lassen, es verbringen, ihm ausweichen und, soweit es bei ihnen liegt, es nicht erkennen und fliehen, als sei es eine langweilige und nichtsnutzige Sache. Aber ich kenne es anders und halte es für schätzenswert und angenehm, auch in seinem letzten Verlöschen, in dem ich es erblicke; und die Natur hat es uns so reich mit allem versehen in die Hand gegeben, dass wir uns nur bei uns selbst zu beklagen haben, wenn es uns drückt und ungenutzt entflieht. Gleichwohl mache ich mich darauf gefasst, es ohne Bedauern zu verlieren, nicht weil es beschwerlich oder lästig ist. Daher steht es auch nur denjenigen gut an, unverdrossen zu sterben, die gerne leben."
John Berger
"Gegen die Abwertung der Welt"
Essays.
2005 Fischer (TB.), Frankfurt
John Bergers Kunstbetrachtungen und politische Einreden öffnen dem Leser die Augen: Von der Höhlenmalerei und den Porträts von Faijum über Michelangelo und Rembrandt bis zu van Gogh und Frida Kahlo spannt er den Bogen. Dabei gelingt es ihm, dem Bekannten und Unbekannten stets neue Perspektiven abzugewinnen und uns an seinem poetisch präzisen Zugang zu den Werken teilhaben zu lassen.
Andrea Köhler
In ihrem Buch 'Lange Weile' wendet Andrea Köhler ein, selbst wenn Kinder das Warten noch nicht als vergeudete Zeit erfahren, werde in der Kindheit das Warten meist als Ohnmacht erlebt und die Autorin fährt fort:
"Schließlich konfrontiert uns das Dasein zuallererst mit dem Erlernen des Aufschubs: der Einübung eines fremden Stundenplans, der Dressur der Eingeweide, der Einführung in den Rhythmus von Tag und Nacht. Der erste Machtkampf im Menschenleben findet auf dem Terrain des Wartens statt, bei der Codierung des Körpers. Der Leib wird in den frühesten Lebensstunden zum Instrument umgepolt, das der Uhr gehorcht. Als allererstes im Erdendasein wird die Geduld trainiert."
Andrea Köhler
Lange Weile
Über das Warten
2007 Insel, Frankfurt
"Warten ist eine Zumutung. Und doch ist es das Einzige, was uns das Nagen der Zeit fühlbar und ihre Versprechen erfahrbar macht."In unendlich vielen Formen sind wir, meistens überraschend, dem Warten ausgeliefert: Wir warten auf den anderen, auf eine Antwort, auf den Richtigen, auf den Befund, auf eine Nachricht, auf das Ende der Schmerzen, auf die Sportergebnisse, auf das Ende des Regens, auf den nächsten Tag, auf die Geburt des Kindes ... Das Warten ist eine Herausforderung. Im Aufgabenheft der verplanten Stunden die leere Seite, die es zu füllen gilt.
"Die wahre Zeit", so der Schriftsteller Carlo Levi, ist "das schwankende Euter einer Kuh."
Der Soziologe Rainer Paris schreibt in einem Artikel zum Thema:
"Alle Menschen warten, aber nur Menschen warten, wenn Tiere auf Beute lauern, warten sie nicht."
Prof. Rainer Paris aus Magdeburg hat die "Soziologie des Wartens" zwei Jahre lang untersucht und die Ergebnisse in einer Studie zusammengefasst: Warten auf Amtsfluren
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 53, 2001, S. 705-733 -
"Die Zeit entsteht mit der Unlust, "
zitiert der Soziologe Reiner Paris den Schriftsteller Novalis. Und er fährt fort:
"Erst die Störung, die Unterbrechung, das Stocken des Handelns und die damit veränderte Perspektive rückt sie uns ins Bewusstsein. Erst wenn wir nach ihr fragen, wird sie uns zum Problem. Der Paradefall ist das Warten: Warten ist zwanghaftes Fragen nach der Zeit. Wo immer wir warten, steht die Zeit, genauer: das Vergehen der Zeit, im Mittelpunkt der Situation.... Die Zeit wird überpräsent... Das erste und wichtigste Charakteristikum des Wartens ist die scharfe Bewusstheit von Zeitfluss und Dauer. Wartende achten auf die verrinnende Zeit und registrieren penibel, wie lange sie schon gewartet haben. Mechanische Zeit verwandelt sich in Erlebniszeit. Das ist oftmals ganz wörtlich zu nehmen: Immer wieder heftet sich der Blick der Wartenden, etwa in Ämtern oder auf Bahnsteigen, an die aufgehängte Uhr, schauen sie dem stupiden Vorrücken des Sekundenzeigers zu."
Wolf Erlbruch:
"Nur auf den Zufall ist Verlass, ne, das heißt also, man muss halt geduldig warten und den Zufall nicht forcieren. Aber es ist Verlass auf den Zufall, dass irgendwann einem jemand begegnet oder einem etwas in die Hände fällt, was einem auf die Idee bringt, die man gesucht hat. Und das andere heißt: Willst du Gott zum Lachen bringen, ist aus Mexico, erzähl ihm deine Pläne. Diese beiden passen ja ganz gut zusammen und somit hab ich keine Pläne und verlass mich nach wie vor auf den Zufall. Eigentlich immer schon. Ich hab noch nie irgendwas geplant."
Manchmal reifen Ideen über Jahre. Ideen vom Tod zum Beispiel. Vor langer Zeit hat Wolf Erlbruch einmal zwei Figuren für ein Lesezeichen entworfen:
"Und diese drei gefielen mir damals schon ganz gut und ich hab so im Hinterkopf gedacht, vielleicht kann man da mal was draus machen. Dann ist es aber fast zehn Jahre liegen geblieben. Irgendwann hab ichs wiedergefunden und hab dann versucht, was draus zu machen, das in den Griff zu bekommen und hab das überhaupt nicht in den Griff gekriegt. Dann hab ich wieder gewartet. Und habs vergesssen und hab irgendwas anderes gemacht und irgendwann wars dann da, es dauert manchmal."
Irgendwann ist "Ente, Tod und Tulpe" daraus geworden, ein Kinderbuch über den Tod.
Wolf Erlbruch
Ente, Tod und Tulpe
2007 Kunstmann
Irgendwann stellt jedes Kind die Frage nach dem Tod. Ganz unbefangen. Alle Eltern wissen das und haben selten eine unbefangene Antwort parat. So selbstverständlich der Tod im Leben ist, so selbstverständlich gehört er ins Kinderbuch. In Wolf Erlbruchs Ente, Tod und Tulpe ist der Tod ein leichtfüßiger Begleiter, schon immer da, man merkts nur nicht: Schon länger hatte die Ente so ein Gefühl. "Wer bist du und was schleichst du hinter mir her?" "Schön, dass du mich endlich bemerkst", sagte der Tod. "Ich bin der Tod." Die Ente erschrak. Das konnte man ihr nicht übel nehmen. "Und jetzt kommst du mich holen?" "Ich bin schon in deiner Nähe, so lange du lebst nur für den Fall." "Für den Fall?" fragte die Ente. "Na, falls dir etwas zustößt. Ein schlimmer Schnupfen, ein Unfall, man weiß nie.
Rajvinder Singh, Schriftsteller aus Indien. Lebt seit vielen Jahren in Deutschland:
"Ich habe mal geschrieben: Leben ist die Reise des Todes. Aber...wenn ich auf einem Weg bin, möchte ich nicht warten, bis ich am Ziel bin. Ich will den Weg, jeden Augenblick, jeden Schritt erleben. Das Ziel wird sowieso kommen. Aber nur dann kommen, wenn ich mich bewege, also erlebe. Leben ist Erleben. Und deshalb: die Kräfte, die dafür vorgesehen sind, mentale wie auch körperliche, die werden irgendwann mal ausgehen und die sind von vornherein organische Kräfte. Und hier ist der wichtige Punkt: wenn wir uns und unser Wesen nicht warten, also instandhalten, werden wir schneller ans Ziel kommen und der Tod wird schneller eintreten."
Der Zeitforscher Robert Levine:
"In Nepal und Indien habe ich beobachtet, wie Freunde einander besuchten, um einfach nur dazusitzen und zu schweigen -- Besuche, bei denen sich jeder wohl fühlte (außer mir, natürlich). Manchmal dehnte sich das Schweigen über Stunden, bis sich plötzlich, wie durch spontane Verpuffung, eine oft sehr lebhafte und lustige Unterhaltung 'entlud'. Dann folgte wieder Stille, die vielleicht sogar anhielt, bis es Zeit war, den Besuch zu beenden."
Robert Levine
Eine Landkarte der Zeit
Wie Kulturen mit Zeit umgehen.
1999 Piper
"Die Auffassung von Zeit ist relativ und flexibel", sagt der Wissenschaftler Robert Levine. In "Eine Lankarte der Zeit" macht er uns bewußt, dass das Zeitgefühl eines Kulturkreises tiefe Konsequenzen auf das psychologische, physische und emotionale Wohl eines Individuums hat. Er beschreibt "Uhr-Zeit" als Gegensatz zu "Natur-Zeit" (Rhythmus von Sonne udn Jahreszeiten) und "Ereignis-Zeit" (Strukturierung der Zeit nach Ereignissen) und macht uns deutlich, dass wir, wenn wir uns dieser drei Zeitauffassungen bedienten, ein wesentlich flexibleres und ausgeglicheneres Leben genießen könnten.
Hier präsentiert uns Rober Levine ein aufschlussreiches, erhellendes Portrait der "Zeit"; eines der wenigen Bücher, die uns öffnen und uns lehren, das alltägliche Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und ganz neu zu überdenken.
Das Warten: "Es ist gut zu hoffen, nur das Warten verdirbt es", so das jüdische
Sprichwort. Das Warten selbst aber ist, wenn es endlich vorbei ist,
rasch vergessen.
Georg Kreisler: Das Triangel bei youtube
Max Frisch
Bin oder Die Reise nach Peking
1999 Suhrkamp
Der Kulturwissenschaftler Boris Groys hat ein "kommunistisches Postskriptum" verfasst:
Boris Groys
Das kommunistische Postskriptum
2006 Suhrkamp
Die heutige Welt ist gekennzeichnet von Projekten nicht bloß der ökonomischen, sondern auch der politischen und ideologischen Globalisierung. All diese Unternehmungen versuchen, sich mit revolutionären oder mit friedlichen Mitteln durchzusetzen - vom vereinten Europa bis zum politischen Islam. Stets handelt es sich dabei um postkommunistische Projekte, denn erstens ist ihre Entstehung vor allem durch den Untergang des Kommunismus möglich geworden, und zweitens sind ihre Strategien und Ziele zutiefst von den Erfahrungen des historischen Kommunismus geprägt - sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Deswegen können diese Projekte nur dann adäquat verstanden werden - so die These von Boris Groys -, wenn ihre post-kommunistische Lage präzise thematisiert und analysiert wird.
Der Zeitforscher Olaf Georg Klein:
"Ich erzähle Ihnen eine Geschichte aus meiner Kindheit. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, hab ich zu meiner Mutter gesagt, dass ich mir jetzt nicht mehr die Zähne putzen werde und da war sie ganz erstaunt. Und da hab ich gesagt: Naja, ich putz morgens und abends jeweils 2 Minuten, das sind 4 Minuten, ja. Das sind in 10 Tagen 40 Minuten, das sind in 100 Tagen 400 Minuten und wenn ich diese ganze Zeit zusammen nehme, dann kann ich die ja hinten an meine Lebenszeit noch anhängen. Ich spare die Zeit und heb mir die auf für eine ganz besondere Zeit. Und Sie merken schon, dass das natürlich n Witz ist, das funktioniert nicht. Diese Vorstellung, dass man Zeit sparen könnte, ist an sich so was wie ein kollektiver Wahnsinn, so ähnlich wie die Hexenvorstellung oder irgendsowas. Das heißt wir machen in der Zeit nur immer etwas anderes. Ich kann natürlich sagen, statt an der Kasse zu stehen, kann ich dann im Stau stehen oder ich kann vielleicht n bisschen langsamer nach Hause gehen. Aber egal, was immer, ich werde etwas tun."
Olaf Georg Klein
Zeit als Lebenskunst.
2007 Wagenbach
Zeit kann man nicht sparen, Zeit muss man leben - ein Buch wider den Beschleunigungswahn der westlichen Gesellschaft. Olaf Georg Kleins Buch plädiert für einen neuen, anderen Umgang mit Zeit und skizziert, was echte Zeitsouveränität.
Plädoyer fürs Hier und Jetzt
Olaf Georg Klein: "Zeit als Lebenskunst"
Warten Frauen anders als Männer? Uta Brandes, Professorin an der Fachhochschule Köln für Gender und Design, sagt ja. In hunderten kleinen Beobachtungsstudien haben Uta Brandes und Studierende Wartende beobachtet. In Deutschland und in China.
Nehmen wir mal die Situation an einer Haltestelle, Bus, Bahn und so weiter: Je länger sie warten müssen - beide Geschlechter -, desto nervöser wird man natürlich, desto mehr bewegt man sich und bleibt nicht an einem Platz stehen, aber wir haben festgestellt in großen Beobachtungsstudien: Frauen gehen dann hin und her an der Haltestelle. Nur knapp die Hälfte der Strecke von dem, was Männer gehen. Wir interpretieren das so, dass es dieses typische wieder mal Raumverhalten von Frauen ist. Frauen insgesamt nehmen weniger Raum ein, machen sich kleiner, geschlossene Beine, Hände eng am Körper und so weiter. Und das ist auch im Gehen so, der Mann erobert quasi und markiert sein Territorium.
Warten in China und in Köln - Ein Projekt chinesischer und Kölner Design-Studierender
Der Germanist Joseph Vogl
Die Hoffnung, in unserer durchökonomisierten Welt, die Zeit, das Warten neu zu erfinden, hält der Germanist Joseph Vogl für Augenwischerei:
"Natürlich kann man warten mit allen möglichen Zen-buddhistischen Operationen oder psychotechnischen Tricks ausfüllen, darf aber nicht vergessen machen, dass wir mit diesem Warten ganz unmittelbar unserer eigenen Zivilisation begegnen. Selbst wenn man auf fremde Kulturen trifft, wie das sowohl den Kolonisatoren wie auch den Künstlern etwa noch im 19. Jahrhundert passiert ist, stoßen sie auf Zeitformen, die aus unserer Perspektive elementar mit dem Warten zu tun haben, aber nichts von deren Erfahrungssubstrat enthält. Leute, die in den Tag hineinleben, Leute, die den Tag nicht nach Disziplinen, Rhythmen, Stundenplänen etc. geteilt haben, all diese Leute kennen im Grunde das Warten nicht, denn das Warten ist ein zentraler Effekt unserer inneren Uhr, die an fugenlos durchökonomisierten Zeitformen festhält."
Der Schriftsteller, Künstler und Kunstkritiker John Berger lässt uns in seinem Essay "Gegen die Abwertung der Welt" in Dialog mit seinem Objekt treten:
"Ich vertreibe die Zeit, wenn sie schlecht und widrig ist; wenn sie gut ist, will ich sie nicht vertreiben, ich koste sie aus und halte mich an ihr fest. Die böse Zeit muss man durchlaufen und in der guten Zeit lange weilen. Diese gewöhnlichen Redensarten 'Zeitvertreib' und 'sich die Zeit vertreiben' drücken die Gewohnheit jener gescheiten Leute aus, welche ihr Leben nicht besser glauben bestehen zu können, als dass sie es hingleiten und fortlaufen lassen, es verbringen, ihm ausweichen und, soweit es bei ihnen liegt, es nicht erkennen und fliehen, als sei es eine langweilige und nichtsnutzige Sache. Aber ich kenne es anders und halte es für schätzenswert und angenehm, auch in seinem letzten Verlöschen, in dem ich es erblicke; und die Natur hat es uns so reich mit allem versehen in die Hand gegeben, dass wir uns nur bei uns selbst zu beklagen haben, wenn es uns drückt und ungenutzt entflieht. Gleichwohl mache ich mich darauf gefasst, es ohne Bedauern zu verlieren, nicht weil es beschwerlich oder lästig ist. Daher steht es auch nur denjenigen gut an, unverdrossen zu sterben, die gerne leben."
John Berger
"Gegen die Abwertung der Welt"
Essays.
2005 Fischer (TB.), Frankfurt
John Bergers Kunstbetrachtungen und politische Einreden öffnen dem Leser die Augen: Von der Höhlenmalerei und den Porträts von Faijum über Michelangelo und Rembrandt bis zu van Gogh und Frida Kahlo spannt er den Bogen. Dabei gelingt es ihm, dem Bekannten und Unbekannten stets neue Perspektiven abzugewinnen und uns an seinem poetisch präzisen Zugang zu den Werken teilhaben zu lassen.
Andrea Köhler
In ihrem Buch 'Lange Weile' wendet Andrea Köhler ein, selbst wenn Kinder das Warten noch nicht als vergeudete Zeit erfahren, werde in der Kindheit das Warten meist als Ohnmacht erlebt und die Autorin fährt fort:
"Schließlich konfrontiert uns das Dasein zuallererst mit dem Erlernen des Aufschubs: der Einübung eines fremden Stundenplans, der Dressur der Eingeweide, der Einführung in den Rhythmus von Tag und Nacht. Der erste Machtkampf im Menschenleben findet auf dem Terrain des Wartens statt, bei der Codierung des Körpers. Der Leib wird in den frühesten Lebensstunden zum Instrument umgepolt, das der Uhr gehorcht. Als allererstes im Erdendasein wird die Geduld trainiert."
Andrea Köhler
Lange Weile
Über das Warten
2007 Insel, Frankfurt
"Warten ist eine Zumutung. Und doch ist es das Einzige, was uns das Nagen der Zeit fühlbar und ihre Versprechen erfahrbar macht."In unendlich vielen Formen sind wir, meistens überraschend, dem Warten ausgeliefert: Wir warten auf den anderen, auf eine Antwort, auf den Richtigen, auf den Befund, auf eine Nachricht, auf das Ende der Schmerzen, auf die Sportergebnisse, auf das Ende des Regens, auf den nächsten Tag, auf die Geburt des Kindes ... Das Warten ist eine Herausforderung. Im Aufgabenheft der verplanten Stunden die leere Seite, die es zu füllen gilt.