"Morgens um neun, da komm ich rein, da stehen die ersten Mitarbeiter da und sagen: das lief gestern falsch. Bei uns wird bis 24 Uhr gearbeitet, und dann muss man sich erstmal um das kümmern, was liegengeblieben ist, ... in der Regel nehm ich ab zehn Uhr die ersten Gespräche auf, um 13 bis 14 Uhr kümmere ich mich um die Post, dann habe ich in der Regel schon das nächste Gespräch, das nächste Projekt, arbeite dann ab 16/17 Uhr die Dinge auf, die liegengeblieben sind, es wird dann schon schnell 19/20 Uhr."
Dieser Teilnehmer eines Seminars über Zeit-Management hält sie nicht mehr aus, die Zeitnot. Er möchte Zeit sparen und erhofft sich dazu Tipps von Seminarleiter Werner Keitel. Der beginnt ganz gründlich mit einer Ist-Analyse:
"Gehen Sie mal aus davon, dass Sie hundert Stunden pro Woche verplanbare Zeit haben. Alles andere sind normale physiologische Bedürfnisse: Essen, Schlafen usw., Morgentoilette, Abendtoilette, Fahrt zur Arbeit ... Und teilen Sie diese 100 Stunden mal in diese Kategorien ein: Beruf, Familie, Hobbies, Ehrenämter, Sport, Lebensphilosophie, Freie Zeit."
Das versuchen die neun Seminarteilnehmer auch ganz willig. Zunächst fällt die Zuordnung noch leicht. Wie viel sie arbeiten, das wissen diese mittleren Führungskräfte gut.
"Das ist so das normale Vorgehen, als erstes, ganz klar, 100 Stunden - 50 Stunden im Beruf, klatsch, bomm."
konstatiert Keitel erbarmungslos. Dann langes Zögern der sechs Männer und drei Frauen. Einmal die Woche Sport, so ein bis anderthalb Stunden, das steht ja auch fest. Familie? Ja klar, aber wie viel? Hobbies? Eher nicht, der Garten gleicht seit Monaten einer Wüste. - Sie hätten sich bei den Grauen Herren erkundigen sollen. Einer von ihnen macht dem Frisörladenbesitzer in mittleren Jahren folgende Rechnung auf:
"Schlaf, Arbeit, Nahrung, Mutter, Wellensittich, Einkauf, Freunde, Singen macht zusammen eine Milliarde .... Sekunden. Diese Summe ist also die Zeit, die Sie bereits verloren haben. Und nun wollen wir sehen, was Ihnen von Ihren 42 Jahren eigentlich geblieben ist. 42 Jahre sind eine Milliarde ... Sekunden, minus den verlorenen eine Mrd. ...macht: 00000 . Ah - das ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens."
Ähnlich erschüttert wie der Frisör in Michael Endes Geschichte über das Mädchen Momo und die Grauen Herren, die den Menschen die Zeit stehlen, sind Werner Keitels Seminarteilnehmer über ihre Zeitbilanzen. Tatsächlich, so wenig Zeit bleibt für Familie und Freunde? Was tun? - Der Graue Herr hat da die folgenden Tipps für den Frisör:
"Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich dem Kunden nur noch ein Viertelstunde. Sie geben Ihre Mutter in ein gutes billiges Altersheim, wo für sie gesorgt wird. Schaffen Sie den unnützen Wellensittich ab, und vertun Sie ihre kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit ihren sogenannten Freunden. - Gut, gut, das alles kann ich tun, aber die Zeit, die mir auf diese Weise übrig bleibt, was soll ich mit ihr machen? ... Sie können sicher sein, dass uns von Ihrer eingesparten Zeit nicht das kleinste bisschen verloren geht. Sie werden es schon merken, dass Ihnen nichts übrig bleibt."
Dass nichts übrig bleibt? Schneller arbeiten, weniger Lesen, kaum noch Treffen mit Familie und Freunden, und trotzdem keine Zeit gewonnen? Der Frisör wäre wohl ein Fall für Zeitmanager Keitel. Da läuft was schief, würde der feststellen und mahnen:
"Ich wollte ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass Arbeitstechniken und Zeitmanagement nicht damit ausschließlich zu tun haben, wie führe ich meinen Terminkalender oder wie strukturiere ich das Projekt über die nächsten vier Wochen, sondern das es sehr viel tiefer geht, das man erstmal sich selber klar werden muss mit der Gewichtung Beruf - Privatleben."
Ist das geklärt, geht's ans Praktische: wie genau muss der Arbeitstag organisiert werden, damit alles zur rechten Zeit erledigt ist und möglichst viel Freizeit übrig bleibt? Da hat Keitel eine Menge Techniken in Petto: Informationsflut kanalisieren, Vorlagen sortieren, Aufgaben delegieren, Ziele formulieren, Prioritäten setzen, stille Stunden im Büro einführen - das sind nur einige Stichworte, die er seinen Zeit-Management-Schülern erläutert. Die verlieren ihr Ziel vor lauter Zeit-Spar-Techniken währenddessen hoffentlich nicht aus den Augen. Oder kommen sie ins Grübeln? Was ist Zeit überhaupt?
"Sie ist da, das ist jedenfalls sicher. Aber anfassen kann man sie nicht. Und festhalten auch nicht. Vielleicht ist sie so etwas wie ein Duft? Aber sie ist auch etwas, das immerzu vorbeigeht. Also muss sie auch irgendwo herkommen."
Das sind einige der Gedanken, die Michael Endes Mädchen Momo sich in ihrem Kampf gegen die Grauen Herren so macht. Flüchtig ist sie, die Zeit, und auf den ersten Blick verläuft sie linear. Sie kommt aus der Vergangenheit, taucht kurz im Jetzt auf, um in einer undurchschaubaren Zukunft zu verschwinden. Die Menschen messen sie seit Urzeiten: zunächst mit Sonnen-, Wasser-, Sand- oder Öllampenuhren.
Balken- und Pendeluhren sind dann komplizierter und genauer. Seit dem 19. Jahrhundert werden Sekunden gemessen, aber erst mit der vergangenen Jahrhundertwende entsteht das Bedürfnis, die genaue Zeit zu jeder Zeit parat zu haben: Eisenbahnfahrpläne und die Industrialisierung machens nötig.
Die gemessene Zeit fällt längst nicht immer mit der erlebten Zeit zusammen: Den Liebenden erscheint sie im Rückblick kurz, den Wartenden kommt sie unendlich lang vor. In der Situation selbst fühlt sich die Zeit für die Liebenden allerdings lang an, weil sie viel miteinander erleben. Den Gelangweilten kommt ein Zeitraum im Moment der Langeweile kurz vor, weil so wenig passiert, erst im Rückblick wird die Weile lang, in der sich nichts ereignete.
"Die alten Griechen hatten zwei Götter für die Zeit, Chronos und Kairos. Wie zwei ungleiche Brüder aus derselben Familie deckten sie zwei Seiten einer Medaille ab: Die quantitative Dimension, in der eins nach dem anderen in chronologischer Abfolge erledigt wird, und die qualitative Dimension, in der es auf den günstigen Augenblick ankommt, in der Erleben, Genießen und Gefühle ihren Platz haben."
Seine Zeit managt richtig, wer beide Aspekte unter einen Hut bekommt, lautet die Einsicht sowohl von Seminarleiter Keitel als auch von seinem hier zitierten Kollegen, Professor Lothar Seiwert. Der gibt seine Einsichten nicht nur in Vorträgen, Seminaren und Büchern weiter, sondern auch per Brettspiel:
"Ich zieh jetzt drei ins Haus, spiele eine Karte: "Tun Sie jeden Tag etwas, das Ihnen viel Freude bereitet. Alles läuft dann besser und leichter. Sie sind noch mal an der Reihe und können einen kompletten Zug ausführen." ... Das machen wir dann auch gleich. Ich spiele sechs und diese Hinderniskarte: "Es kommt darauf an, sich aufs Wesentliche und Weniges zu konzentrieren. Dann überwinden Sie auch größere Hindernisse. Sie können über Hindernisfelder ziehen."
In diesem Spiel zwischen Ernst und Spaß geht es darum, Chronos und Kairos ihren jeweiligen Stellenwert einzuräumen. Es soll nicht der Schnellste gewinnen, sondern derjenige, der beide Zeit-Dimensionen am besten miteinander verbindet. Ob es hilft, der Chronodiktatur besser zu widerstehen oder gar zu entrinnen - das muss jeder Zeit-managende selbst ausprobieren. Wahre Herrschaft über seine Zeit kann jedenfalls nach Ansicht von Momos Beschützer, Meister Hora, nur erlangen, wer dies beherzigt:
"Wenn die Menschen wüssten, was der Tod ist, dann hätten sie keine Angst mehr vor ihm. Und wenn sie keine Angst mehr vor ihm hätten, dann könnte ihnen niemand mehr die Lebenszeit stehlen."
Dieser Teilnehmer eines Seminars über Zeit-Management hält sie nicht mehr aus, die Zeitnot. Er möchte Zeit sparen und erhofft sich dazu Tipps von Seminarleiter Werner Keitel. Der beginnt ganz gründlich mit einer Ist-Analyse:
"Gehen Sie mal aus davon, dass Sie hundert Stunden pro Woche verplanbare Zeit haben. Alles andere sind normale physiologische Bedürfnisse: Essen, Schlafen usw., Morgentoilette, Abendtoilette, Fahrt zur Arbeit ... Und teilen Sie diese 100 Stunden mal in diese Kategorien ein: Beruf, Familie, Hobbies, Ehrenämter, Sport, Lebensphilosophie, Freie Zeit."
Das versuchen die neun Seminarteilnehmer auch ganz willig. Zunächst fällt die Zuordnung noch leicht. Wie viel sie arbeiten, das wissen diese mittleren Führungskräfte gut.
"Das ist so das normale Vorgehen, als erstes, ganz klar, 100 Stunden - 50 Stunden im Beruf, klatsch, bomm."
konstatiert Keitel erbarmungslos. Dann langes Zögern der sechs Männer und drei Frauen. Einmal die Woche Sport, so ein bis anderthalb Stunden, das steht ja auch fest. Familie? Ja klar, aber wie viel? Hobbies? Eher nicht, der Garten gleicht seit Monaten einer Wüste. - Sie hätten sich bei den Grauen Herren erkundigen sollen. Einer von ihnen macht dem Frisörladenbesitzer in mittleren Jahren folgende Rechnung auf:
"Schlaf, Arbeit, Nahrung, Mutter, Wellensittich, Einkauf, Freunde, Singen macht zusammen eine Milliarde .... Sekunden. Diese Summe ist also die Zeit, die Sie bereits verloren haben. Und nun wollen wir sehen, was Ihnen von Ihren 42 Jahren eigentlich geblieben ist. 42 Jahre sind eine Milliarde ... Sekunden, minus den verlorenen eine Mrd. ...macht: 00000 . Ah - das ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens."
Ähnlich erschüttert wie der Frisör in Michael Endes Geschichte über das Mädchen Momo und die Grauen Herren, die den Menschen die Zeit stehlen, sind Werner Keitels Seminarteilnehmer über ihre Zeitbilanzen. Tatsächlich, so wenig Zeit bleibt für Familie und Freunde? Was tun? - Der Graue Herr hat da die folgenden Tipps für den Frisör:
"Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich dem Kunden nur noch ein Viertelstunde. Sie geben Ihre Mutter in ein gutes billiges Altersheim, wo für sie gesorgt wird. Schaffen Sie den unnützen Wellensittich ab, und vertun Sie ihre kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit ihren sogenannten Freunden. - Gut, gut, das alles kann ich tun, aber die Zeit, die mir auf diese Weise übrig bleibt, was soll ich mit ihr machen? ... Sie können sicher sein, dass uns von Ihrer eingesparten Zeit nicht das kleinste bisschen verloren geht. Sie werden es schon merken, dass Ihnen nichts übrig bleibt."
Dass nichts übrig bleibt? Schneller arbeiten, weniger Lesen, kaum noch Treffen mit Familie und Freunden, und trotzdem keine Zeit gewonnen? Der Frisör wäre wohl ein Fall für Zeitmanager Keitel. Da läuft was schief, würde der feststellen und mahnen:
"Ich wollte ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass Arbeitstechniken und Zeitmanagement nicht damit ausschließlich zu tun haben, wie führe ich meinen Terminkalender oder wie strukturiere ich das Projekt über die nächsten vier Wochen, sondern das es sehr viel tiefer geht, das man erstmal sich selber klar werden muss mit der Gewichtung Beruf - Privatleben."
Ist das geklärt, geht's ans Praktische: wie genau muss der Arbeitstag organisiert werden, damit alles zur rechten Zeit erledigt ist und möglichst viel Freizeit übrig bleibt? Da hat Keitel eine Menge Techniken in Petto: Informationsflut kanalisieren, Vorlagen sortieren, Aufgaben delegieren, Ziele formulieren, Prioritäten setzen, stille Stunden im Büro einführen - das sind nur einige Stichworte, die er seinen Zeit-Management-Schülern erläutert. Die verlieren ihr Ziel vor lauter Zeit-Spar-Techniken währenddessen hoffentlich nicht aus den Augen. Oder kommen sie ins Grübeln? Was ist Zeit überhaupt?
"Sie ist da, das ist jedenfalls sicher. Aber anfassen kann man sie nicht. Und festhalten auch nicht. Vielleicht ist sie so etwas wie ein Duft? Aber sie ist auch etwas, das immerzu vorbeigeht. Also muss sie auch irgendwo herkommen."
Das sind einige der Gedanken, die Michael Endes Mädchen Momo sich in ihrem Kampf gegen die Grauen Herren so macht. Flüchtig ist sie, die Zeit, und auf den ersten Blick verläuft sie linear. Sie kommt aus der Vergangenheit, taucht kurz im Jetzt auf, um in einer undurchschaubaren Zukunft zu verschwinden. Die Menschen messen sie seit Urzeiten: zunächst mit Sonnen-, Wasser-, Sand- oder Öllampenuhren.
Balken- und Pendeluhren sind dann komplizierter und genauer. Seit dem 19. Jahrhundert werden Sekunden gemessen, aber erst mit der vergangenen Jahrhundertwende entsteht das Bedürfnis, die genaue Zeit zu jeder Zeit parat zu haben: Eisenbahnfahrpläne und die Industrialisierung machens nötig.
Die gemessene Zeit fällt längst nicht immer mit der erlebten Zeit zusammen: Den Liebenden erscheint sie im Rückblick kurz, den Wartenden kommt sie unendlich lang vor. In der Situation selbst fühlt sich die Zeit für die Liebenden allerdings lang an, weil sie viel miteinander erleben. Den Gelangweilten kommt ein Zeitraum im Moment der Langeweile kurz vor, weil so wenig passiert, erst im Rückblick wird die Weile lang, in der sich nichts ereignete.
"Die alten Griechen hatten zwei Götter für die Zeit, Chronos und Kairos. Wie zwei ungleiche Brüder aus derselben Familie deckten sie zwei Seiten einer Medaille ab: Die quantitative Dimension, in der eins nach dem anderen in chronologischer Abfolge erledigt wird, und die qualitative Dimension, in der es auf den günstigen Augenblick ankommt, in der Erleben, Genießen und Gefühle ihren Platz haben."
Seine Zeit managt richtig, wer beide Aspekte unter einen Hut bekommt, lautet die Einsicht sowohl von Seminarleiter Keitel als auch von seinem hier zitierten Kollegen, Professor Lothar Seiwert. Der gibt seine Einsichten nicht nur in Vorträgen, Seminaren und Büchern weiter, sondern auch per Brettspiel:
"Ich zieh jetzt drei ins Haus, spiele eine Karte: "Tun Sie jeden Tag etwas, das Ihnen viel Freude bereitet. Alles läuft dann besser und leichter. Sie sind noch mal an der Reihe und können einen kompletten Zug ausführen." ... Das machen wir dann auch gleich. Ich spiele sechs und diese Hinderniskarte: "Es kommt darauf an, sich aufs Wesentliche und Weniges zu konzentrieren. Dann überwinden Sie auch größere Hindernisse. Sie können über Hindernisfelder ziehen."
In diesem Spiel zwischen Ernst und Spaß geht es darum, Chronos und Kairos ihren jeweiligen Stellenwert einzuräumen. Es soll nicht der Schnellste gewinnen, sondern derjenige, der beide Zeit-Dimensionen am besten miteinander verbindet. Ob es hilft, der Chronodiktatur besser zu widerstehen oder gar zu entrinnen - das muss jeder Zeit-managende selbst ausprobieren. Wahre Herrschaft über seine Zeit kann jedenfalls nach Ansicht von Momos Beschützer, Meister Hora, nur erlangen, wer dies beherzigt:
"Wenn die Menschen wüssten, was der Tod ist, dann hätten sie keine Angst mehr vor ihm. Und wenn sie keine Angst mehr vor ihm hätten, dann könnte ihnen niemand mehr die Lebenszeit stehlen."