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Zeitreise und Kuriositätenkabinett

Niklaus Helbling lädt mit "Black Faces" am Theaterhaus Jena zu einer Zeitreise ein: Einer Reise durch Jenas Geschichte im 20. Jahrhundert und durch das Kuriositätenkabinett des Vaudeville. Ihm gelingt damit ein ungemein anregender Theaterabend.

Von Hartmut Krug |
    Eduard Rosenthal, Vater der Thüringer Verfassung, Professor für Rechtsgeschichte, Mitgestalter der Zeiss-Werke-Statuten, hat seine Villa 1924 der Stadt vermacht und seiner jüdischen Frau vergeblich ein lebenslanges Wohnrecht zugesichert. Der zweieinhalbstündige Parcours durch Räume und Garten der historischen Villa ist zugleich eine Reise durch Jenas Geschichte im 20. Jahrhundert wie durch das Kuriositätenkabinett des Vaudeville. Es beginnt im großen Saal des ersten Stocks, wo die sechzig Zuschauer entlang der Wände des vielfenstrigen Raumes platziert werden. Ein Trio musiziert munter, und die Schauspieler setzen mit Spiel, Gesang und großen Bildertafeln erbarmungslos auf informative Unterhaltung. Der Theaterdirektor Meyer, ein polnischer Jude, der beständig in direktem Kampf mit Gustav Schott von der Preußischen Theaterpolizei steht, erklärt die unterschiedlichen Erfolgsnummern des Vaudeville:

    (Herr Meyer): "Im Varieté gibt es verschiedene Comedy-Nummern. Zu den beliebtesten gehören dumme Iren, doofe Schwarze und blöde Deutsche. Der Dutch Act war der deutsche Sketch. Deutsch-Amerikanischer Einwanderer und Deutsch-Amerikanischer Staatsbürger reden miteinander schlechtes Deutsch, ich meine Englisch. Der Brüller!"
    (Gustav): "Moment mal. Ist das nicht irgendwie rassistisch?"
    (Herr Meyer): "Nein, wieso? Es ist nur unter Niveau und bringt Geld ein."

    Zwar bietet ein Darsteller auch die Ringparabel an, aber Eva Braun schminkt ihn lieber schwarz. Schließlich hatte sie in der Maske Al Johnsons einst beim Fasching ihren Freund Adolf erfreut. Johnson war Sohn eines russischen Kantors und machte als schwarz geschminkter Jazzsänger mit seinem ersten Tonfilm Karriere. Und so wird gesungen und getanzt. Wie hier in Zeiten heftiger Debatten um Black Face im Theater die kritische Auseinandersetzung mit dieser Theaterform in einer dialektischen Volte versucht wird, indem ihre widersprüchliche Geschichte erzählt und durch geschichtliche Berichte gebrochen wird, das ist so intelligent wie unterhaltsam.

    Dann geht es in mehreren Gruppen auf unterschiedlichen Touren durch das Haus, - niemand kann alle Stationen erleben. Immer aber geht es um eine Unterhaltungskultur, die sich alles einverleibt: die Natur, politische Geschichte und gesellschaftliche wie individuelle Katastrophen. Und es geht um die Mittel des Spiels: um Verstellung, um Geschlechtertausch, um Einsatz von Masken und Puppen. Der lebendige Mensch verwandelt sich dabei in theatrales Material für Kunst und Performance. So studieren zwei virtuose Schauspielerinnen als mechanische Puppen einen Nietzsche-Text ein, während dieser selbst, der nach seiner Turiner Mitleidsgeste für ein Pferd zur Behandlung nach Jena geschickt worden war, in einem anderen Zimmer zwischen Schaukelpferd und Kinderbett das Wesen der Maske befragt:

    "Alles, was tief ist, liebt die Maske; die allertiefsten Dinge haben sogar einen Hass auf Bild und Gleichnis. Sollte nicht erst der Gegensatz die rechte Verkleidung sein, in der die Scham eines Gottes einherginge?"

    Vorher hatte im Erdgeschoss Clara Rosenthal, gespielt von einem Mann in bodenlangem Abendkleid, vor ihrem Selbstmord 1941 aus Furcht vor den Nazis "Dieser Tag wird mein letzter sein" gesungen und sich zunächst hinter einer Maske versteckt. Auch der Jenaer Zoologe Ernst Haeckel bekommt sein Zimmer, Ophelia geht im Gartenteich ins Wasser und zitiert Shakespeares Kunstwelt, und der dicke, glupschäugige Stummfilmkomiker Roscoe Arbuckle holt uns in seinen Zirkuswagen. Hier bietet er Augenverpflanzungen an. Habe er doch den schwarzen Koffer von Zeiss-Jena gefunden, nach dem die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg vergeblich gesucht hätten. Und dann fabuliert er begeistert von den Puppen, obwohl die als gefährlich im Garten verbrannt werden sollten.

    So verbinden sich Jenaer Zeitgeschichte und ein Spiel im Spiel um theatrale Verwandlungs- und Verdeckungsformen. Die Episoden sind allerdings nicht immer stringent zusammengebunden, auch überzeugen nicht alle Szenen inszenatorisch. Ein wenig zerfasert der Abend nach mehr als zwei Stunden Anspielungsspiel, bis er in einem bunten Unterhaltungsfinale mündet. Dort wirft Roscoe Arbuckle seine Torte, natürlich sich selbst ins Gesicht, und das zwölfköpfige Ensemble zeigt mit Tanz und Gesang noch einmal seine staunenswerten Verwandlungs- und Unterhaltungsfähigkeiten. Insgesamt ein ungemein anregender und darstellerisch wie konzeptionell überzeugender Theaterabend.