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Zeitung von gestern

Sie gilt als das weltweite Flaggschiff des investigativen Journalismus. Doch kostenfreie Nachrichtenportale und der ein oder andere journalistische hausinterne Skandal haben dem ehrwürdigen Blatt zugesetzt.

Von Gerti Schön |
    "Read all about it ... on the streets, in subways”"

    "The Daily Show" ist eine populäre satirische Nachrichtensendung auf dem amerikanischen TV-Kanal Comedy Central, die sich über Barack Obama genauso lustig macht wie über den koreanischen Diktator Kim Jong Il. Keine noch so staatstragende Institution bleibt von den Komikern verschont.

    ""You know, they still make paper newspapers today... The New York Times"

    Vor einigen Wochen war ein langer unantastbarer Medienbetrieb an der Reihe: die "New York Times".

    "On the inside reporters are still hard at work... you know who would love that? My grandma"

    Mit kaum verdeckter Häme machte sich die Sendung darüber lustig, dass die Times noch immer im Papierformat erscheint und damit vor allem für Großmütter attraktiv sei. Ins Lächerliche gezogen wurde besonders der Umstand, dass sich die Zeitung hauptsächlich auf eines konzentriert: die Nachrichten von gestern, die für die Leser der Zukunft angeblich uninteressant sind.

    "Why is aged news better than real news?... it´s yesterdays news"."

    Der Beitrag in der Daily Show zeigt vor allem eines: wie sehr Amerikas Medien im Internetzeitalter in der Spirale gefangen sind, ständig neue Informationshäppchen möglichst in Echtzeit hervorbringen zu müssen. Das traditionelle Zeitungsgeschäft steckt seit einigen Jahren in der Krise: Wegen der Konkurrenz des Internets und der gegenwärtigen Rezession sank die Gesamtauflage der amerikanischen Tageszeitungen in den letzten sieben Jahren um zehn Millionen.

    Jahr um Jahr schießen neue Internetpublikationen wie Pilze aus dem Boden und verdrängen die etablierten Zeitungen allmählich aus dem Feld. Onlinezeitungen wie die "Huffington Post" oder "The Daily Beast" sind zu populären Informationsquellen vor allem für das jüngere Publikum geworden.

    Hier findet man nicht nur ständig aktualisierte Berichte zum Zeitgeschehen, sondern auch Blogs von bekannten Persönlichkeiten.

    Ein anderer Konkurrent der etablierten Zeitungen ist die Onlinezeitung "Politico", die sich ausschließlich der Berichterstattung aus Washington widmet und damit in direkte Konkurrenz zu der politischen Berichterstattung der Times tritt. Mitchell Stevens, Journalismusprofessor an der New York University, glaubt, dass die Times vor allem wegen dieser zunehmenden Konkurrenten in jeder Hinsicht verwundbar ist.

    ""Die Times eiert sich durch die gegenwärtigen Probleme so durch. Es ist immer schwierig, so einen fest gefahrenen Dampfer auf einen neuen Kurs zu bringen. Ich glaube nicht, dass die Times flexibel genug ist, um im Internet wirklich dominieren zu können. Der Übergang von einem Medium zu einem anderen ist sehr schwierig. Ich glaube, dass sich andere, neuere Nachrichtenorganisationen eher durchsetzen werden. Aber ich glaube, dass die Times im Internet überleben wird, wenn auch nicht mit dem gleichen Einfluss wie jetzt."

    Die "New York Times" steckt seit ihrer Gründung im Jahr 1851 in der wohl schwersten ökonomischen Krise ihres Bestehens. Zwar ist sie mit ihrer Auflage von einer Million noch immer die drittgrößte Zeitung der USA hinter "USA Today" und dem "Wall Street Journal". Vor allem finanziell befindet sich die "New York Times"-Company, zu der außerdem Zeitungen wie der "Boston Globe", die" International Herald Tribune" sowie 15 regionale Zeitungen im Südosten des Landes gehören, in Schwierigkeiten.

    Das Unternehmen steckt bis zum Hals in den roten Zahlen: Eine Milliarde Dollar Schulden muss es in den nächsten Jahren begleichen.

    In diesem Jahr gab es erstmals Entlassungen in der Redaktion: Rund 70 der insgesamt 1300 journalistischen Kräfte mussten gehen. Weil die Vorstandschefs eines Unternehmens zuallererst zur Verantwortung gezogen werden, steht derzeit auch der Verleger der New York Times, Arthur Sulzberger Junior, in der Kritik. Medienjournalist Michael Wolff nimmt kein Blatt vor den Mund.

    "Arthur ist ein Erbe, er hat keine wirklichen Erfahrungen außerhalb der 'New York Times' gesammelt, und er hat diesen Job, weil er in das Unternehmen hineingeboren wurde. Seine Amtszeit ist nicht sehr beeindruckend und bisweilen geradezu trostlos. Seine Persönlichkeit ist unreif, ungezügelt. Er ist nicht in der Lage, seinen Mund zu halten. Und wem eine gewisse Selbstkontrolle fehlt, der macht sich angreifbar."

    Obwohl Sulzberger mit seiner Entscheidung, sich schon früh für den Ausbau digitaler Plattformen einzusetzen, Voraussicht bewies, machte er gleichzeitig einige folgenschwere Fehler: Er übernahm eine Reihe defizitärer Zeitungen, darunter die "International Herald Tribune".

    Erst im vergangenen Jahr zog die Belegschaft in einen sündhaft teuren, glitzernden neuen Büroturm, der den Schuldenberg um 600 Millionen Dollar wachsen ließ. Der Wert der Times-Aktie fiel angesichts anhaltender Anzeigeneinbrüche und sinkender Einnahmen in den letzten Jahren ins Bodenlose.

    Um die horrende Schuldenlast zu tilgen, lieh er 250 Millionen Dollar von dem mexikanischen Medienunternehmer Carlos Slim. Slim ist nach der Sulzberger-Familie der größte Anteilseigner an der Times Company. Vor allem diese Maßnahme rief Kritiker auf den Plan, darunter Andres Martinez, der früher für die "New York Times" geschrieben hat und jetzt für den liberalen Think Tank The New America Foundation arbeitet.

    "Es gibt kein Medienunternehmen in den USA mit einer größeren Integrität als die 'New York Times'. Ich glaube nicht, dass die Zeitung einen Deal etwa mit einem russischen oder israelischen oder irakischen Medientycoon eingegangen wäre. Mexiko wird immer mit dieser leicht nachsichtigen Arroganz behandelt. Und die Times berichtet tatsächlich nicht ausreichend über die politische Kumpanei und die sozialen Missstände dort. Sofern diese Probleme nicht behandelt werden, muss sich die Times fragen lassen, ob es etwas damit zu tun hat, weil Herr Slim einen Anteil an dem Unternehmen besitzt."

    Angesichts der finanziellen Probleme der Times, reißen die Gerüchte darüber, ob die Zeitung verkauft werden muss, nicht ab. Zeitungen waren in den USA lange Zeit sehr profitable Unternehmen und waren regelmäßig begehrte Objekte großer Medienunternehmen und Finanzinvestoren. Doch seitdem der Branche durch die Anzeigenverluste und den Leserschwund der Printausgaben die ökonomische Basis entzogen wurde, werden vor allem kleinere Zeitungen zu Billigpreisen verscherbelt oder ganz eingestellt.

    Michael Wolff, der eine Biografie über den Medienmagnaten Rupert Murdoch geschrieben hat, glaubt, dass die Times diesem Schicksal kaum entgehen wird. Der konservative Zeitungsmogul Murdoch konnte in den USA nicht nur durch seinen rechtslastigen TV-Kanal Fox News an Macht gewinnen, sondern auch durch den Erwerb des renommierten "Wall Street Journals" im Jahr 2007. Michael Wolff:

    "Wahrscheinlich wird jemand auftauchen, der nicht unbedingt ein ökonomisches Interesse an der Times hat, der sie also wegen des damit verbundenen Prestiges kaufen würde und es sich leisten kann, nicht unbedingt nur auf den Gewinn zu schauen. Ich bin sicher, dass Rupert Murdoch die Times haben will, auch wenn er es öffentlich bestreitet. Ein anderer Kandidat wäre Michael Bloomberg, der Bürgermeister von New York und Gründer des Medienunternehmens Bloomberg."

    An die Kritik an Arthur Sulzberger schließt sich automatisch die Frage an, was aus der Verlegerfamilie der Sulzbergers werden soll. Viele Industriebeobachter denken an die Bancrofts, die einst das Wall Street Journal besaßen, bis sie das Blatt schließlich an Rupert Murdoch verkauften. Das lukrative Angebot erwies sich als zu verlockend, um es auszuschlagen.

    Das Gleiche war Jahre zuvor mit den Chandlers von der Los Angeles Times passiert, oder auch den Pulitzers in St. Louis, die ihr Zeitungsgeschäft an einen Finanzinvestoren verkauften, sagt Michael Wolff. Die Folge ist in der Regel, dass die Zeitungen, einmal der schützenden Hand einer Verlegerfamilie entzogen, unter verstärkten Druck gesetzt werden, mehr Profite abzuwerfen, was dem Journalismus selten gut tut. Michael Wolff.

    "Wir können den Niedergang der Verlegerfamilien schon seit 100 Jahren beobachten. Alles hängt davon ab, seit wann die Familie eine Zeitung besitzt. Irgendwann hört die Managementstruktur auf, effizient zu sein. Familien verlassen sich in der Regel auf zu viele Mitglieder und einige davon haben keine Ahnung, wie man ein Unternehmen führt. Das Zeitungsgeschäft ist am Ende. Es gibt andere Wege, seine Nachrichten zu bekommen. Es wurde nicht irgendwo von Gott festgeschrieben, dass wir unsere Informationen durch Zeitungen bekommen sollen."

    Die Sulzbergers gelten zusammen mit den Grahams, die die "Washington Post" kontrollieren, als letzte große Verlegerdynastie Amerikas. Sie begann im Jahre 1896, als Adolph Ochs, der Sohn jüdischer Einwanderer aus Bayern, die "New York Times" übernahm. Seitdem ging die Times in die Hände der jeweiligen Söhne jeder Generation über.

    Als Nächstes wäre Arthur Sulzberger Juniors Sohn, Arthur Gregg Sulzberger, an der Reihe. Der 29-Jährige begann in diesem Jahr als Stadtreporter für die "New York Times"zu schreiben. Doch der Verleger, Arthur Sulzberger, will sich offiziell auf keinerlei Nachfolgespekulationen einlassen.

    "Ich bereite meine Kinder auf gar nichts vor, sie sollen genau das tun, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Ich habe eine große Familie und es wächst eine neue Generation heran. Ich habe zahlreiche Cousins und Cousinen und diese haben wiederum Kinder. Und wenn es an der Zeit ist, die nächste Generation mit Führungspositionen zu besetzen, dann werden wir eine Auswahl haben. Dies sind keine leichten Jobs und man sollte sie gar nicht erst antreten, wenn man nicht die nötige Leidenschaft dafür mitbringt."

    Arthur Sulzberger ist überzeugt, dass Print und die neuen digitalen Plattformen, problemlos koexistieren können. Gerüchte über einen Verkauf der Zeitung wiegelt er als reine Spekulation ab.

    Tatsächlich scheint man sich unter den Journalisten der Times selbst weniger Sorgen über den Zustand der Zeitung zu machen als unter den Medienbeobachtern. Immerhin erwirtschaftete die Times Company 2008 insgesamt einen Profit von 300 Millionen Dollar – nicht direkt Peanuts, meint Tom Torok, der dem Bereich Investigativjournalismus der Times vorsteht.

    "Ich glaube nicht, dass die Familie Sulzberger die Times in der nahen Zukunft verkaufen wird. Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Die Leute hier machen sich Sorgen über die Wirtschaft und über das Zeitungsgeschäft, aber eine existenzielle Angst ist einfach nicht da. Die Stimmung ist prima und mein Team ist sehr motiviert. Uns geht es gut."

    Toroks Zuversicht kommt auch daher, dass die Times noch immer als eines der besten Medien für investigativen Journalismus gilt. Chefredakteur Bill Keller hat mehrfach beteuert, dass die journalistische Substanz der Zeitung trotz gegebener Einsparungen nicht leiden darf und Sulzberger unterstützt ihn darin.

    "Wir haben die Kürzungen, die andere Medien erleiden mussten, nicht gehabt und die Times versteht sich weiterhin als investigatives Flaggschiff. Wir verfolgen Stories, die wichtig sind, sehr energisch. Und niemand hat uns bedeutet, langsamer zu machen. Unsere Abteilung hat zehn investigative Reporter und acht Fachkräfte, die allen Journalisten im Haus bei der investigativen Recherche mit speziellen Datenbanken helfen. Wir arbeiten mit allen Redaktionen im Haus zusammen."

    Die "New York Times" sah - genauso wie andere renommierte Blätter wie die "Washington Post" und das "Wall Street Journal" - den investigativen Journalismus immer als besonders wichtigen Auftrag der Presse. Diese Tradition machte die Times, gemeinsam mit der eigens im ersten Verfassungszusatz verankerten Pressefreiheit, zu einer der Säulen der Kontrollfunktion der US-Presse.

    Umso besorgniserregender scheint es daher, dass sich die Times journalistisch in einer gewissen Sinnkrise befindet: Einen riesigen Skandal löste 2003 ein junger Reporter namens Jayson Blair aus, der große Teile seiner Artikel von anderen Zeitungen kopierte und damit die grundlegendsten journalistischen Standards der Zeitung aus den Angeln hob. Journalismusprofessor Mitchell Stevens:

    "Die Times verliert ihre Position und das beeinträchtigt ihre Stellung in der Welt. Es spielte eine große Rolle, welche Story jeden Morgen rechts oben auf der Titelseite platziert und wie groß die Schlagzeile war. Dies war ein Symbol für das, was auf der Welt passierte. Und all das verschwindet allmählich. Die Redakteure wissen nicht mehr genau, welche Themen sie groß herausstellen sollen, und ob sie am Ende eine Geschichte herausgreifen sollen, von der die Leser schon am Tag vorher gehört haben, als sie herauskam."

    Stevens glaubt, dass sich die Times und mit ihr alle seriösen Zeitungen Amerikas, umorientieren müssen. Er prägte den Ausdruck des "Journalismus der Weisheit": dass sie sich mehr auf Analyse und Hintergrund konzentrieren und den Lesern eine Orientierungshilfe im allgemeinen Informationswust geben müssen. Wenn es sein muss, auch auf Kosten der viel bemühten angelsächsischen Neutralität, die besagt, dass die reine Berichterstattung – anders als die Meinungsseiten - unter allen Umständen von jeder politischen Neigung frei bleiben muss.

    "Die Definition für guten Journalismus ändert sich. Was die Times immer gut gemacht hat, war, Zeitgeschichte zu bezeugen, wie es Bill Keller ausdrückt. Viele amerikanische Reporter zwängen sich noch immer in dieses Korsett der Objektivität und tun so, als wären sie zum Beispiel nicht längst davon überzeugt, dass Sarah Palin einfach nicht zur Präsidentin taugen würde. Eine europäischere Perspektive, wo die Medien ihre politische Färbung offen bekennen, wäre da nützlich für Organisationen wie die 'New York Times'. Aber das wird sehr schwer für sie sein."

    Einer der Gründe für die steigende Popularität von Internetzeitungen wie der "Huffington Post" ist nicht nur ihre offene Meinungslastigkeit, sondern vor allem der lockere Stil, in dem die Artikel präsentiert werden. Seriöse Berichterstattung und eine flapsige Schreibe sind jedoch schwer miteinander zu vereinbaren, sagt "New York Times"-Reporter Jacques Steinberg.

    "Wir haben enorm hohe Standards und ich versuche als jemand, der in der Öffentlichkeit als Vertreter der 'New York Times' gesehen wird, diesen Anspruch aufrecht zu erhalten. Wer einen Irrtum begeht, tut das auf einer großen Bühne und diese Verantwortung ist spürbar. Als junger Reporter sitzt man besonders steif und verkrampft hinter seinem Computer und die Sätze die herauskommen sind oft genauso steif und verkrampft. Aber auch wenn man mit den Jahren selbstbewusster wird, so trägt man dennoch weiterhin eine gewisse Verantwortung für die Leute, über die man schreibt, und ihren Ruf, und man will einfach keine Fehler machen."

    Die Zeichen für die Zukunft sehen trübe aus. Kaum jemand glaubt, dass die Times völlig verschwinden wird. Nach Einschätzung zahlreicher Medienbeobachter wird sich ihre Bedeutung, wegen ihrer manchmal als verkrampft geltenden Seriosität und der Konkurrenz neuer Onlinemedien, immer weiter verringern. An eine neue Blüte glaubt kaum noch einer, auch Mitchell Stevens nicht.

    "Die Macht der Times war in den USA früher einmal beträchtlich. Es gab nur wenige Menschen in einer Machtposition, die nicht jeden Morgen die Times auf dem Schreibtisch liegen hatten. Aber das ändert sich. Sie sind noch immer sehr einflussreich, was das Buchgenre angeht. Das Gleiche gilt für das Theater, das ja in New York angesiedelt ist. Aber in der Politik hat die Times schon jetzt Konkurrenz von Internetmedien wie Politico oder dem Investigativblog Talking Points Memo. Die Dominanz der Times für das öffentliche Leben verschwindet allmählich."

    Tatsächlich scheint sich die Mediennutzung dahin zu entwickeln, dass viele Leser – und auch viele Entscheidungsträger - mehrere Medien gleichzeitig konsumieren. Wo früher eine ausführliche Lektüre der "New York Times" ausreichte, begnügt man sich heute mit vielleicht einem flüchtigeren Blick in die Druckausgabe der Times und liest darüber hinaus noch ausgesuchte Artikel, etwa beim Wall Street Journal online, Politico oder Talking Points Memo.

    "Sure the days of ... this dying trade is all he knows”"

    Wie es wirklich um die Times bestellt ist, hängt wie so oft von der Perspektive ab. "New York Times"-Redakteur Tom Torok etwa sieht die von vielen als so schädigend angesehene Ausgabe der Satiresendung "The Daily Show" über die Zeitung als Erfolg.

    ""Ich glaube nicht, dass es uns geschadet hat. Ich finde es war großartig, dass wir sie überhaupt reingelassen haben. Wir haben ihnen gezeigt, dass wir Humor haben. Die 'Daily Show' ist Unterhaltung und keine Nachrichtensendung. Das muss man dabei im Hinterkopf behalten. Ich persönlich habe mich totgelacht. Ich finde, wir sollten in der Lage sein, über uns selbst zu lachen."