Der französische Erziehungsminister hat jedem Studenten in Frankreich einen tragbaren Computer für nur einen Euro am Tag versprochen. Für eine Tageszeitung ist heute kaum noch einer bereit, so viel Geld auszugeben, bemerkt Thierry Gisserot in seinem Zeitungs-Kiosk direkt vor der Pariser Jussieu-Universität:
Hier vorne liegen jeden Tag 2.000 Exemplare der Gratiszeitungen "Métro” und "20 Minuten” aus, in eineinhalb Stunden sind alle weg. Vor dem Kiosk hier gehen viele vorbei, aber keiner kauft bei mir was.
Die französische Tageszeitung mit der größten Auflage gibt es gratis: 750.000 Exemplare werden von "20 minutes” seit diesem Jahr täglich verteilt - mehr als Le Monde und Le Figaro zusammengenommen. "20 Minuten” hat ihren Titel nicht zufällig gewählt. Vor dem Fernseher sitzen die Franzosen mittlerweile 200 Minuten täglich. Der Zeitungslektüre widmen sie nur einen Bruchteil dieser Zeit. Einmal die Woche gedruckte Informationen reicht den meisten offenbar. Bei den Wochenzeitschriften liegt Frankreich nämlich weltweit auf Platz eins, bei den Tageszeitungen abgeschlagen auf Platz 28. Seit 1997 haben die französischen Blätter 12 Prozent ihrer Leserschaft verloren, so Olivier Biffaud von Le Monde:
Wir sind in Frankreich in einer Lage, in der die Presse vollkommen am Boden liegt. Die Presse verliert Leser, weil immer mehr Verkaufsstellen geschlossen werden. Sie verliert Geld, weil die Werbung ausbleibt. Das sind zwei Phänomene, gegen die schwierig anzukämpfen ist.
Die Zeitungskrise hat in Frankreich aber auch landesspezifische Ursachen. Die Zeitungen in Frankreich halten nur einen Anteil von 20 Prozent des Werbekuchens - gegenüber bis zu 50 Prozent in anderen Ländern. Deshalb sind Zeitungen hierzulande teurer als anderswo. 5.000 Zeitungskioske haben seit 1995 dichtgemacht, weil die Verkäufer von den europaweit niedrigsten Gewinnspannen nicht mehr leben können. Dabei verfügt Frankreich ohnehin bereits nur über ein Drittel der Verkaufsstellen im Vergleich zu Deutschland. Die Druck-Kosten und der Zeitungs-Versand kommen den französischen Verlegern ebenfalls teurer zu stehen als ihren europäischen Nachbarn. Das französische Kulturministerium überlegt ernsthaft, ob es jedem Jugendlichen in Frankreich zu seinem 18ten Geburtstag ein zweimonatiges Gratis-Abo für eine Tageszeitung schenken soll. Ob der angekündigte staatliche Hilfsplan zur Modernisierung der Presse den Abwärtstrend umkehren kann, ist mehr als fraglich, meint Edwy Plenel, Chefredakteur von Le Monde:
Der neue Leser von heute ist mit der Echtzeit-Information des Internets aufgewachsen. Gedruckte Informationen will er nur hin und wieder. Er liest sie einen Tag, am anderen Tag schon wieder nicht mehr. Auch unsere Zeitung Le Monde liest er lieber online im Internet. 530.000 Leute klicken diese Seite täglich an.
Der chronische Kapitalmangel war lange Zeit ebenfalls eine strukturelle Schwäche der französischen Zeitungslandschaft. Eine zunehmende Medien-Konzentration war die Folge. Mit Lagardère und Dassault kontrollieren nunmehr zwei Waffen- und Kanonenhändler über 80 Prozent des französischen Zeitungs- und Zeitschriften-Markt. Der Chirac-Freund und frisch gewählte Senator Serge Dassault will sein Flaggschiff "Le Figaro”, neben Le Monde die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung Frankreichs, mit Firmenboss-Methoden wieder rentabel machen. Die Journalisten fürchten, dass sie künftig gezwungen werden, die Meinung des Eigentümers Dassault widerzuspiegeln.
Auf diese Frage werde ich nicht antworten. Aber die Zeitungen müssen rentabler werden und weniger Geld verlieren. Das ja.
Dassault will sich von verlustträchtigen Regionalblättern trennen und will außerdem auf dem Gratis-Zeitungsmarkt mitmischen. Ob nur er oder auch die krisengeschüttelte französische Zeitungslandschaft letztlich davon profitieren werden, können wir dann in einer seiner Zeitungen nachlesen.