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Zeitungsbericht
Desolate Zustände in Australiens Flüchtlingscamps

Australien steckt Flüchtlinge, die auf dem Meer aufgegriffen wurden, in Lager auf Pazifikinseln. Interne Berichte aus diesen Einrichtungen schildern skandalöse Zustände, es wird von zahlreichen Vorfällen mit Gewalt und sexuellen Übergriffen berichtet - auch gegen Kinder.

10.08.2016
    Eine Frau bei einem Prostest in Brisbane/Australien. Sie hält ein Schild mit der Aufschrift: "Übersee-Gefängnisse sind kein Ort für Kinder" und protestiert damit gegen die Flüchtlingslager der australischen Regierung im Pazifik.
    Eine Frau bei einer Demo gegen die australischen Übersee-Camps (dpa / Dan Peled)
    Die Zeitung "The Guardian Australia" veröffentlichte am Mittwoch Auszüge von mehr als 2100 Berichten, die das Personal in dem Lager auf Nauru anfertigte. Dokumentiert sind demnach etliche Fälle von sexuellen Übergriffen, Kindesmissbrauch und Selbstverletzungen. In mehr als der Hälfte der Fälle seien die Opfer Kinder. Nauru ist der kleinste Inselstaat der Welt mit weniger als 10.000 Einwohnern und kooperiert mit Australien bei der Internierung von Flüchtlingen. Bei der letzten Zählung im vergangenen Juni lebten dort rund 440 Menschen.
    Bedrohungen, Vergewaltigungen, Gewalt
    In den Dokumenten ist unter anderem die Rede von einem Jungen, dem Wärter mit dem Tod drohten und von einer jungen Frau, die für eine längere Dusche sexuelle Dienste erbringen sollte. Eine Frau soll versucht haben, sich zu erhängen, desweiteren wird über Vergewaltigungen von Frauen, Selbstmordversuche und desolate hygienische Zustände berichtet.
    Ein Mädchen nähte sich den Dokumenten zufolge aus Protest gegen ihre Behandlung die Lippen zu - und wurde von Wärtern ausgelacht. Ein weiteres Mädchen schrieb im Jahr 2014 in ihr Schulbuch, dass sie müde sei, das Lager nicht möge und "sterben will". Gegen Kinder befinden sich in den Berichten sieben Fälle sexuellen Missbrauchs, 59 körperliche Angriffe und 30 Fälle von Selbstverletzungen. Es ist etwa von einer Aufseherin zu lesen, die einem kleinen Mädchen mit einer Taschenlampe in den Intimbereich geleuchtet haben soll. In einem Videointerview mit dem Guardian sagt eine Jugendliche: "Was bringt es, auf dem Meer zu überleben, wenn ich hier sterbe?"
    Regierung in Erklärungsnot
    Bei den Berichten handelt sich der Zeitung zufolge um interne Dokumente aus der Zeit von Mai 2013 bis Oktober 2015, die an sie weitergegeben worden seien. Die Berichte stammen demnach von Wachleuten, Sozialarbeitern und Lehrern des Lagers und bringen Australiens Regierung in Erklärungsnot.
    Premierminister Malcolm Turnbull erklärte, das veröffentlichte Material werde untersucht. Die Regierung verwies darauf, dass es sich bei den Berichten um Anschuldigungen und nicht um Fakten oder Ermittlungsergebnisse handle. Das Land werde Nauru weiterhin dabei unterstützen, für das Wohlergehen der Flüchtlinge auf der Insel zu sorgen. Das australische Immigrationsministerium erklärte, viele der Berichte enthielten ungeprüfte Anschuldigungen. Alle mutmaßlich kriminellen Vorfälle würden der Polizei von Nauru zur weiteren Überprüfung gemeldet.
    Amnesty: "Beschämend für Australien"
    Die Organisation Amnesty International, die in der Vergangenheit schon mehrfach die Zustände in den Lagern kritisiert hatte, forderte erneut ein Ende der australischen Internierungspolitik. Alle Flüchtlinge und Asylsuchenden auf den Inseln müssten "sofort umgesiedelt" werden, erklärte die Organisation. "Die Enthüllungen offenbaren ein System aus Fehlfunktionen und Gewalt, dass atemberaubend in seinem Ausmaß und äußerst beschämend für die australischen Behörden ist, die sich so sehr bemüht haben, einen Schleier des Schweigens darüber zu legen", erklärte Anna Neistat, Leiterin der Ermittlungsabteilung bei Amnesty International. Auch das Kinderhilfswerk Unicef Australien forderte eine andere Lösung. Es gebe mittlerweile "unstrittige, gehäufte Beweise" dafür, dass Kinder auf Nauru nicht sicher seien.
    Bootsflüchtlinge, die vor allem aus Sri Lanka, Afghanistan und dem Mittleren Osten kommen, werden nicht ins Land gelassen. Auch wenn ihr Asylantrag angenommen wird, müssen die Flüchtlinge dort bleiben. Australien unterhält nicht nur auf Nauru, sondern auch auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus ein Internierungslager und hat mit den Regierungen entsprechende Abkommen geschlossen.
    (nch/tj)