Lange: Ist denn Berlin jetzt der große Sonderfall, oder steht diese Auseinandersetzung stellvertretend für die gesamte Presselandschaft?
Klaue: Sie steht für die gesamte Presselandschaft. Bisher haben wir noch kein Rezept gefunden, wie wir, basierend auf einer marktwirtschaftlichen Struktur, einer privatwirtschaftlichen Struktur der deutschen Presse, dieses Ausdünnen durch den Wettbewerb verhindern können.
Lange: Nun sind es ja auch überregionale Zeitungen, die seit einiger Zeit mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben: Entlassungen bei der FAZ, bei der Süddeutschen Zeitung. Die Frankfurter Rundschau bemüht sich sogar um staatliche Bürgschaften- auch was Neues. Haben sie sich einfach übernommen oder die Konjunkturkrise falsch eingeschätzt?
Klaue: Ich glaube, Herr Lange, dass da mehrere Dinge zusammenkommen. Das von mir kurz angerissene Grundproblem ist das Eine. Das zweite ist natürlich, dass in Zeiten von Auf und Ab einer Konjunktur das Problem besonders sichtbar wird. In dem Augenblick, wo die Werbeeinnahmen ganz allgemein zurückgehen, trifft das die Presse natürlich hart.
Lange: Nun gibt es ja Entwicklungen, die mit der Konjunktur relativ wenig zu tun haben. Zum Beispiel die Entwicklung des Internets. Viele Stellenanzeigen erscheinen ja nur noch da. Das ist doch auf Dauer ein Prozess, der nicht mehr zurückzuholen ist.
Klaue: Richtig. Das ist genau das gleiche Problem, was wir in den 60er Jahren gehabt haben, als wir das Werbefernsehen erlaubten, wo die Presse damals unisono sagte: Das ist unser Tod. Solche Entwicklungen sind immer da gewesen und haben ihre Spuren hinterlassen, aber monokausale Ursachen für Zeitungssterben in diesem Sinne, wie jetzt das Internet oder damals die Zulassung von Werbefernsehens, führen selten zu einem 100prozentigen Ergebnis.
Lange: Manche Experten gehen davon aus, dass wir mittelfristig nicht mehr fünf überregionale Zeitungen haben werden, sondern vielleicht nur noch zwei oder drei. Teilen Sie diese Auffassung?
Klaue: Wenn Sie es einmal schlicht mathematisch logisch betrachten, geht das wohl gar nicht anders. Auf einem Markt, wo keine neuen Zeitungen dauernd zuwachsen, führt der Wettbewerb - denk logisch - zum Ausscheiden der jeweils schwächsten Zeitung.
Lange: Sehen Sie Chancen, da irgendwie gegenzusteuern?
Klaue: Ich sehe jedenfalls basierend auf der privatwirtschaftlichen Struktur der Presse sehr wenig Chancen. Es sei denn, wir denken an das schwedische Modell, wo immer die schwächste Zeitung auf einem Markte so lange staatliche Subventionen bekommt, bis sie die nächstbessere überrundet hat und dann wieder die neue schwächste Zeitung am Leben erhalten wird. Das ist dann eine Art Bestandschutz auf dem Zeitungsmarkt.
Lange: Das wirkt für unsere Verhältnisse ziemlich fremd, oder?
Klaue: Es klingt für unsere Verhältnisse ein wenig fremd, nur wenn wir mal logisch in die Zukunft blicken und vielleicht in zwei Jahrzehnten nur noch zwei Zeitungen haben, von denen die eine dann droht auszuscheiden, werden wir uns etwas Neues überlegen müssen und vielleicht so etwas machen müssen wie die Schweden - übrigens mit Erfolg - über lange Teilstrecken hinweg gemacht haben.
Lange: Herr Klaue, Sie haben die Konzentrationswellen angesprochen. Es gab damals ja auch eine regelrechte Gegenbewegung in der Erkenntnis, Pressekonzentration kann die Meinungsfreiheit gefährden. Deshalb hat das Kartellamt, deshalb haben Sie sehr genau hingeschaut, wer im Pressesektor wo wie stark war. Jetzt will die Bundesregierung die Fusionskontrolle lockern. Die Erkenntnis, dass es ein Relikt ist, das man nicht mehr rechtfertigen kann?
Klaue: Ich halte das für eine tagespolitische Erscheinung. Die Ministerentscheidung ist jetzt nicht nur durch Tagesspiegel/Berliner Zeitung ins Gerede gekommen, sondern auch durch die große Ministererlaubnis e.on/Ruhrgas. Das ist eine Systemfrage geworden. Ich halte im übrigen von einer Aufweichung des Kartellrechtes in diese Richtung gar nichts.
Lange: Vielen Dank. Das war Siegfried Klaue, Pressefusionsexperte an der Freien Universität Berlin.
Link: Interview als RealAudio