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Zeitungsvolontärin Mesale Tolu
Aus Erdogans Gefängnis in die Lokalredaktion

Das Schicksal von Mesale Tolu sorgte über Monate für Schlagzeilen. Wegen ihrer Arbeit für eine Nachrichtenagentur saß die deutsche Übersetzerin in der Türkei in Haft. Zurück in ihrer schwäbischen Heimat hat sie nun ein Zeitungsvolontariat begonnen. Mit einem "anderen Blick", wie sie sagt.

Von Thomas Wagner |
Mesale Tolu sitzt auf einem Geländer vor der Ulmer Altstadt.
Mesale Tolu wurde in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert und kam im August 2018 nach Deutschland zurück. (picture alliance/Stefan Puchner/dpa)
Lokaltermin bei der Lokalredaktion: Marktplatz Biberach - im Obergeschoss eines Gebäudes mit mittelalterlicher Altstadtfassade befindet sich die Lokalredaktion der "Schwäbischen Zeitung". An einem der Rechner sitzt eine Frau, Mitte 30, mit bekanntem Gesicht: Mesale Tolu, Übersetzerin und Journalistin, verbrachte die Zeit von Ende April bis Dezember 2017 in einem türkischen Gefängnis. Zuvor hatte sie für die Nachrichtenagentur ETHA und den privaten Istanbuler Radiosender "Özgür Radyo" gearbeitet, der nach dem Putschversuch im Juli 2016 geschlossen wurde.
Immer wieder enthielten Tolus Beiträge auch Kritik an der Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Doch nun schreibt sie, in der Lokalredaktion der Schwäbischen Zeitung Biberach, über ganz andere Themen: über Lieferengpässe bei Apotheken, über Gemeinderatssitzungen bis über "das Schützenfest, genau. Darüber habe ich auch aus meiner Sicht geschrieben, weil: Ich konnte es gar nicht wahrhaben, dass man in einem Kreis zehn Tage lang Schützen feiert. Aber es geht: Also die Menschen sind hier wirklich gut drauf an Schützen. Von daher fand ich es sehr spannend."
Lernen fürs "digitale Zeitalter"
Spannend findet Mesale Tolu fast alles, was ihr in ihrem beruflichen Alltag so begegnet, sagt sie. Seit Juni macht sie ein Volontariat, also eine journalistische Ausbildung, bei der "Schwäbischen Zeitung". Zum einen will sie das journalistische Handwerk von der Pike auf erlernen: schreiben, Zeitungsseiten layouten, bei einem Praktikum im verlagseigenen Fernsehkanal Filme gestalten. Das hat sie bislang, bei ihrer bisherigen journalistischen Arbeit in der Türkei, noch nicht gemacht. Und dann kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu.
"Also ich finde es erst mal nicht so uninteressant, ein Volontariat zu machen, weil wir uns in einem digitalen Zeitalter befinden, in dem sehr viele neue Fähigkeiten, Fertigkeiten gefragt sind. Und ich wollte eben diese Möglichkeit nochmal aufgreifen, im Online, im Fernsehen und im Radio sowie im Print, diese ganzen Grundlagen auch mit mehr Zeit noch mal zu lernen."
Die deutsche Journalistin Mesale Tolun vor dem Justizpalast Caglayan in Istanbul.
Mesale Tolun 2018 in Istanbul, wo ein Prozesses gegen sie geführt wurde. (AFP/Yasin Akgul)
Hier sieht Mesale Tolu dann auch eine Verbindung zu ihrer früheren journalistischen Arbeit in der Türkei. Vor allem dort, wo es mit der Pressefreiheit nicht so gut stehe, seien profunde Kenntnisse in digitaler Medienarbeit von unschätzbarem Vorteil. Denn immerhin könnten sich die Menschen dann im Netz informieren.
"In der Türkei ändert sich die Politik, die Themen ins sehr kurzer Zeit. Und im Regionalen ist es aber so, dass man einen feineren Blick hat, manchmal auch mehr Zeit hat, um eine Geschichte anzugehen. Es ist eigentlich das verfeinerte Bild. Und ich finde, diese Grundlage, ich mir hier nochmal aneigne, die ich hier eben besser ausfeile, die bringt auch sehr viel, wenn ich dann wieder eben über das große Bild, über die Politik im Allgemeinen schreibe."
Tolus Chef: Zeichen für Pressefreiheit
Dass Mesale Tolu ausgerechnet bei der "Schwäbischen Zeitung" ein Volontariat begann, ist kein Zufall. Sie selbst stammt aus Ulm, also vom Rand des Verbreitungsgebietes der "Schwäbischen Zeitung". Für die war der "Fall Tolu" damals auch ein Thema mit sehr starkem regionalem Bezug. "Fast jede Wendung haben wir gedruckt, in dem Fall, als sie im Gefängnis saß. Und dadurch ist ein Kontakt entstanden."
Und über diese Kontakte sei auch die Idee geboren worden, Mesale Tolu als Volontärin einzustellen, erinnert sich Hendrik Groth, Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung". Das sei durchaus auch als Zeichen für die Meinungs- und Pressefreiheit zu verstehen. "Natürlich ist es auch einfach mal ein Merkzeichen: Hier, Leute, unabhängige Journalisten können auch gewissermaßen solidarisch sein mit Kollegen, die unter Druck sind. Und wir verteidigen halt unsere unabhängige Berichterstattung, global." Und, wenn es sein muss, auch in Deutschland. Klar, Pressefreiheit habe hierzulande einen ganz anderen – und viel besseren - Stellenwert als in der Türkei, sagt Mesale Tolu.
"Aber wir haben auch in Deutschland Probleme mit der Pressefreiheit. Es gab Fälle, dass manche Quellen einfach ihre Türen schließen und nicht mehr transparent sein wollen. Oder dass Journalisten und Fernsehteams auf der Straße angegriffen werden, weil sie eben ihren Job machen. Das zeigt eigentlich: Ja, ich bin heute frei, ich kann frei schreiben. Aber es kann wieder, auch in Deutschland wie in allen anderen europäischen Ländern, schon passieren, dass eben diese Freiheit eingeschränkt wird."
Und das, meint Mesale Tolu, werde sie niemals hinnehmen – weder als Journalistin in der Türkei noch als Volontärin in Deutschland. Dies habe mit ihrer ganz persönlichen Geschichte zu tun. Knast für unbequeme Beiträge, das wirkt nach.
"Ja, man schätzt es anders ein. Man schätzt die Freiheit noch mehr wert, weil man eben weiß, was es bedeutet, wenn man der Freiheit beraubt ist. Von daher ist es schon so, dass ich natürlich einen anderen Blick drauf habe und sensibilisiert bin."