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Zeitzeuge Baum zu Dresden 1945
"Nie wieder Nazis und nie wieder Krieg"

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum erlebte als Zwölfjähriger die Bombardierung von Dresden. Es sei ein Schock und eine ganz schlimme Lebenserfahrung gewesen, sagte der Liberale im Dlf. Zugleich kritisierte er die Instrumentalisierung des Gedenkens durch AfD und Pegida.

Gerhart Baum im Gespräch mit Silvia Engels | 13.02.2020
Gerhart Baum, Bundesminister a. D.
Vor 75 Jahren begann die Bombardierung Dresdens: Gerhart Baum erlebte als Zwölfjähriger die Bombardierung seiner Heimatstadt (imago/Felix Zahn)
Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) hat vor einer Instrumentalisierung des Gedenkens an die Bombenangriffe auf Dresden im Zweiten Weltkrieg gewarnt. "Dresden ist ja nicht das einzige Opfer des Krieges", sagte der gebürtige Dresdner im Dlf und kritisierte eine "Opfer-Mentalität" in Dresden. Es werde das Gefühl verbreitet, Dresden sei ein Opfer am Ende des Krieges gewesen, das es gar nicht mehr hätte geben dürfen.
Kritik an "Opfer-Mentalität"
"Die Kommunisten haben diese Opfer-Mentalität in der DDR gepflegt und jetzt widerlicherweise die AfD. Also auf dem Erinnern kochen extreme Gruppierungen ihre Suppe und instrumentalisieren das Leid der Menschen für ihre Zwecke. Das ist ganz schlimm, aber die Dresdner wehren sich dagegen", sagte Baum weiter und verwies auf Menschenketten und Gedenkveranstaltungen. "Dresden ist anders als Pegida", sagte der Liberale.
Der FDP-Politiker und frühere Innenminister Gerhart Rudolf Baum ist gebürtiger Dresdener. Baum schilderte in dem Interview, wie er als Zwölfjähriger die Bombenangriffe in seiner Geburtsstadt als "Schock" erlebte: "Es war eine ganz schlimme Lebenserfahrung." Bis heute müsse er beim Anblick eines Feuerwerks an die damaligen Bombennächte denken.
Am 13. Februar 1945, vor 75 Jahren, begannen britische Luftangriffe auf Dresden. In mehreren Wellen setzten Flieger die historische Innenstadt in Brand. In den darauffolgenden Tagen beteiligte sich auch die US Air Force an den Angriffen. Neuen historischen Forschungen zufolge kamen rund 25.000 Menschen ums Leben. Zum Gedenken wird am 13. Februar unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Dresden erwartet.

Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Was ist Ihnen von dieser Nacht bis heute in Erinnerung?
Gerhart Rudolf Baum: Es war eine ganz tiefe Zäsur in meinem Leben, ein Schock. Man war in einer relativ heilen Umwelt. Wir hatten auch nicht mehr damit gerechnet, dass Dresden zerstört würde. Das Ende des Krieges war absehbar. Viele Flüchtlinge waren in die Stadt gekommen, weil sie als sicher galt. Und ich bin abends ins Bett gegangen. Dann kam der Angriff, der Feuersturm. Mit Mühe ist man da rausgekommen, meine Mutter mit ihren drei Kindern, und am nächsten Tag war nichts mehr so wie es war.
Es war eine ganz schlimme Lebenserfahrung, weil man auch die Folgen dann gesehen hat. Ich habe die Folgen gesehen, diese zerstörte Stadt, die noch warm war. Der Feuersturm hat die Mauern erhitzt und es lagen unendlich viele Leichen aufgestapelt vor dem Bahnhof, auf den Plätzen der Stadt, und die wurden dann verbrannt auf Scheiterhaufen, denn es waren viele namenlose Flüchtlinge. Man konnte sie gar nicht zuordnen. Deshalb gab es dann Massengräber.
Dieser Eindruck kommt immer wieder und man muss auch berücksichtigen, dass die Dresdener den 13. Februar in einer besonderen Weise in Erinnerung haben, denn es war der einzige Angriff. Vorher hat es keine Angriffe gegeben und deshalb konzentriert sich alles auf diesen Tag, auf diesen Gedenktag.
Blick vom Rathausturm auf die Ruinen der Dresdener Innenstadt am 14. Februar 1945.
Blick vom Rathausturm auf die Ruinen der Dresdener Innenstadt am 14. Februar 1945. (picture alliance/dpa/akg-images)
Engels: Wie liefen denn die folgenden Tage für Sie ab, damals vor 75 Jahren? Da kamen ja weitere Angriffswellen.
Baum: Ja, es kamen am Tage Angriffswellen, auch mit Tieffliegern. Man war nirgends mehr sicher. Und wir hatten eine sehr schwere Rauchvergiftung. Wir hatten Rauch eingeatmet und waren nicht ganz da. Ich konnte mir das alles gar nicht vorstellen, ich habe das gar nicht begriffen, verstehen Sie. Ich habe das damals gar nicht begriffen.
Es begann ja damit, dass die Stadt hell erleuchtet wurde. Über der Stadt wurden Leuchtbomben geworfen, so dass dann die Stadt sichtbar war für die Bomber. Und wenn ich jetzt ein Feuerwerk erlebe, irgendwo hier in Dresden oder wann, dann muss ich hart dagegen ankämpfen, dass ich nicht die Vorstellung habe, jetzt kommen die Bomben.
"Wer da noch fremdenfeindlich ist, der muss sich schämen"
Engels: Das heißt, ein Teil dieser Traumatisierung hat Sie nie verlassen?
Baum: Nein. Weil ich auch nicht dauernd in Dresden lebe, sondern ab und zu da hinkomme, wird das immer wieder neu. Aber Dresden ist ja nicht das einzige Opfer des Krieges. In Dresden gibt es eine Opfermentalität, die das Gefühl verbreitet, die Dresdner seien ein Opfer am Ende des Krieges gewesen, das es gar nicht mehr hätte geben dürfen, und damit wird natürlich - Die Kommunisten haben diese Opfermentalität in der DDR gepflegt und jetzt widerlicherweise die AfD. Auf dem Erinnern kochen extreme Gruppierungen ihre Suppe und instrumentalisieren das Leid der Menschen für ihre Zwecke. Das ist ganz schlimm, aber die Dresdener wehren sich dagegen. Auch heute gibt es Menschenketten und viele Veranstaltungen. Dresden ist anders als Pegida.
Tausende Dresdner versammeltem sich 2019 zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt durch Bombenangriffe im Februar 1945 zu einer Menschenkette.
Gedenken in Dresden: Instrumentalisierung, Zeitzeugen und Menschenkette
Vor 75 Jahren wurde Dresden durch alliierte Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt. Der Streit um die Opferzahlen wurde und wird von verschiedenen politischen Gruppen für ihre Zwecke instrumentalisiert. Doch spätestens seit dem Neonazi-Aufmarsch im Jahr 2009 ist das Gedenken vielfältiger und reflektierter geworden.
Engels: Sie haben es schon angesprochen. Ich will es noch mal kurz zusammenfassen, denn damals war es ja so, dass die Nationalsozialisten sehr schnell die Nachricht vom brennenden Dresden für die eigene Durchhaltepropaganda nutzten. Sie brachten auch fälschlich eine sechsstellige Zahl von Todesopfern in Umlauf.
Baum: Ja.
Engels: Auch die DDR-Verantwortlichen verwendeten später das Gedenken für eigene Propaganda – Stichwort Opfer, Sie haben es genannt – und nach 1990 dann versuchten Neonazis bei Aufmärschen in der Stadt Dresden als reines Opfer terroristischer Alliierten-Angriffe darzustellen.
Baum: Ja.
Engels: Damit sollte nun die NS-Schuld geleugnet werden oder zumindest relativiert.
Baum: Ja.
Engels: Und dann formierte sich in den letzten zehn Jahren dieser zivilgesellschaftliche Widerstand in Dresden, der diese rechtsradikalen Aufmärsche zurückdrängte. Wie haben Sie denn diesen wechselvollen Umgang erlebt? Dresden ist ja besonders sensibilisiert.
Baum: Mit Schrecken! - Mit Schrecken! - Der neugewählte Vorsitzende der AfD, der aus Görlitz kommt, der verbreitet ja wieder eine solche Schreckenszahl an Opfern. Der setzt genau das fort, was diese Demonstranten in Springerstiefeln am Tage des Gedenkens oder jetzt einige Tage später auch wieder ausdrücken wollen: Dresden ist das unschuldige Opfer.
Wir haben vor einigen Tagen den Friedenspreis in Dresden an eine junge Syrerin verliehen, die Flüchtling aus Aleppo ist und jetzt UNICEF-Botschafterin ist und sich kümmert um die Ausbildung, die Bildung von den vielen, vielen Kindern in den Flüchtlingslagern. Auf die Bühne der Oper haben wir projiziert das zerstörte Dresden auf der einen Seite, das zerstörte Aleppo auf der anderen Seite und wollten damit deutlich machen, auch heute gibt es Krieg, auch heute gibt es Flüchtlinge, die Zuflucht suchen, und wer da noch fremdenfeindlich ist, der muss sich schämen.
Nach den Bomenangriffen amerikanischer und britischer Flugzeuge auf Dresden am 13. und 14.02.1945 werden die zahlreichen Leichen, die auf der Straße liegen geborgen
Als Dresdens Altstadt in Flammen stand
Lange war Dresden von Luftangriffen während des von Nazi-Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs verschont geblieben. Dann entschied das britische Bomber Command, die Stadt auf die Angriffsliste zu setzen. Das Ziel: den Feind "an einer Stelle zu treffen, wo er es am meisten spürt".
Engels: Einige Jahre schien es ja so, als ob die zivilgesellschaftlichen Kräfte in Dresden sehr erfolgreich damit waren, die Umdeutungsversuche und rechtsradikalen Aufmärsche in den Hintergrund zu drängen. Nun haben Sie es angesprochen: Die AfD versucht, wieder dieses Opferbild stärker in den Vordergrund zu rücken. Am Samstag sind auch wieder rechtsradikale Aufmärsche zu fürchten.
Baum: Ja.
"Nie wieder Nazis und auch nie wieder Krieg"
Engels: Wird das wieder stärker?
Baum: Ja, das war mal sehr stark. Ich weiß nicht, wie es jetzt aussehen wird, aber im Gegensatz zu früher haben sich die Demokraten zusammengeschlossen. Sie wehren sich gemeinsam mit vielen Veranstaltungen und Demonstrationen. Dresden ist in einer jetzt akzeptablen Erinnerungskultur angekommen und wehrt sich gegen diese Einflüsse doch sehr stark, und das erfreut mich. Aber man muss im Kopf haben: Die AfD hat ja in Dresden etwa 20 Prozent.
Engels: Wie kann es in Zukunft gelingen, das Leid von Zehntausenden Dresdnern in den Bombennächten einerseits angemessen zu würdigen, andererseits auch nie in den Hintergrund treten zu lassen, dass es die Nationalsozialisten waren, die durch den Krieg dieses Leid verursacht haben?
Baum: Ich würde sagen, nie wieder Nazis. Wir haben ja hier eine wirklich rechtsextremistische Gefahr im Lande, die auf keinen Fall verharmlost werden darf. Es sind ja nicht nur die Wähler der AfD. Da kommt eine Mentalität aus dem Inneren des Bürgertums. - Nie wieder Nazis und auch nie wieder Krieg. Was da in Syrien passiert und an anderen Stellen der Welt, das ist so skandalös, dass auf dem Rücken der Zivilbevölkerung Kriege ausgefochten werden, und die Opfer in Dresden, die vielen Flüchtlinge waren meistens Frauen und Kinder.
Engels: Wie erleben Sie die Stimmung unter den Dresdenern heute? Ist die Erinnerung nach wie vor so wach wie in den letzten Jahrzehnten?
Baum: Ja, sie ist sehr wach. Sie müssen sich vorstellen: An allen Stellen der Stadt, wo das möglich ist, in Kirchen, in Konzertsälen, auf den Plätzen wird erinnert. Es gibt dann ein stummes Erinnern. In der Nacht, als vor 75 Jahren die Bomben fielen, läuten die Glocken. Es ist eine ganz intensive Erinnerungskultur wie in keiner anderen Stadt, die dort gepflegt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.