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Zellen mit schlimmen Gewohnheiten

Medizin. - Mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der kleineren oder größeren Beschwerden, aber offenbar sinkt die Fähigkeit, mit den Schmerzen umzugehen. Überdies lasse die fachliche Kenntnis vieler Ärzte, die mit dieser Problematik konfrontiert werden, durchaus Wünsche offen, so unterstrichen Experten auf dem 12. Deutschen Schmerzkongress vom 15. bis 17. März in Frankfurt am Main.

    "Ältere Menschen leiden, entgegen weitverbreiterter Vorurteile, doppelt so häufig unter chronischen Schmerzen wie jüngere Patienten", resümiert Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums, die Ergebnisse einer neuen Studie. Überdies nehme mit fortschreitendem Alter der akute Schmerz ab, stattdessen werde das Leiden dann häufiger chronisch. So litten 22 Prozent der 40 bis 60jährigen unter ständigem Schmerz, und in der Gruppe der 60 bis 75jährigen habe schon fast jeder Zweite chronische Schmerzbeschwerden angegeben.

    "Eine wichtige neue Erkenntnis dazu ist, dass Therapien zur Bekämpfung chronischer Schmerzen bei älteren Menschen viel mehr Zeit erfordern als bei jüngeren Patienten", berichtet der Experte. Der Grund: Das Nervensystem gewöhnt sich geradezu an die Übermittlung der Schmerzen und prägt sie sich in ein eigenes Gedächtnis. So wie wir das Einmaleins nach längerer Übung blind wiedergeben, erlerne auch eine ständig gereizte Nervenzelle, schon auf eine Andeutung hin die zwangsläufige und heftige Antwort abzugeben. "Im chronischen Zustand sendet ein so programmiertes Neuron die Antwort dann spontan auch ohne Auslöser - etwa so, wie uns ein Ohrwurm durch den Kopf geistert, lange nachdem wir die Melodie gehört haben", veranschaulicht Müller-Schwefe.

    Um diese schlimmen Angewohnheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen, muss ein Schmerz früh und effizient behandelt werden. Allerdings verhindern das oft zwei Faktoren: Einerseits neigten gerade viele ältere Menschen dazu, Schmerzen tapfer zu ertragen, statt ihrem Arzt das Leiden in vollem Umfang zu schildern. Hinzu komme, dass noch immer viele Mediziner nicht über die nötige Sicherheit im Umgang mit aktuellen Schmerztherapien verfügten und daher Arzneien zu gering dosierten, so der Schmerztherapeut. Dabei habe die Behandlung von Schmerzen durchaus nicht mehr experimentellen Charakter für den Hausarzt: "Zunächst muss die Gewöhnung an Schmerzen unterbunden werden, entweder mit lokalen oder zentral-wirksamen Präparaten. Dazu muss die körpereigene Schmerzkontrolle aktiviert werden, etwa mit Verfahren wie der Akupunktur." Auch bewegten sich Schmerzpatienten oft viel zu wenig, was aber den Zustand noch verschlimmere. Und schließlich müsse die psychologische Spirale von Isolation, Angst und Schmerz durchbrochen werden und die Menschen wieder zurück in das Leben geholt werden, betont Gerhard Müller-Schwefe

    [Quelle: Britta Fecke]