Archiv


Zementierte Küste

Seit über zehn Jahren liegt das Wirtschaftswachstum in Spanien weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Arbeitslosigkeit sank dabei unter das EU-Niveau. Einer der größten Arbeitgeber ist die Bau- und Immobilienbranche. Im Zuge des Baubooms wurde die spanische Küste regelrecht zementiert, viele Wälder abgebrannt, um sie später als Bauland auszuweisen. Im Zuge des Klimawandels fällt in Spanien schon heute weniger Wasser als zuvor. Die natürlichen Wasserspeicher - die Wälder - abzubrennen ist also mehr als kurzsichtig. Der Bauboom hält weiter an in einem Land, in dem der Tourismus eine so große Rolle spielt. Hans-Günter Kellner berichtet.

    Sanft wiegt das Mittelmeer die Badenden in seinem seichten Wasser. Urlauber bräunen sich auf dem breiten Sandstrand bis die Sonne am Abend hinter der Gebirgskette im Westen verschwindet. Auch solche paradiesischen Strände gibt es an Spaniens Mittelmeerküste noch.

    Doch meist trüben hässliche Betonburgen das Bild, Krach von den Baustellen, Lärm und Abgase von viel zu vielen Erholungssuchenden lassen den gestressten Urlauber kaum zur Ruhe kommen. Und es soll noch mehr gebaut werden. María-José Caballero von Greenpeace hat die Bebauungspläne sämtlicher Städten und Gemeinden an den spanischen Küsten zusammengerechnet:

    "Die Kommunen planen fast drei Millionen neue Wohnungen. Dabei hat die Polizei bereits 100.000 illegale Gebäude bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Hinzu kommen Pläne für 112 neue Sporthäfen und 316 Golfplätze. Oft haben wir es dabei mit Korruption zu tun. Gegenwärtig wird gegen 354 Bauunternehmer und Beamte ermittelt, mehr als 50 davon sind Bürgermeister."

    Paradox: Die meisten Bürgermeister, die wegen der Bauskandale in die Schlagzeilen geraten waren, wurden bei den letzten Kommunalwahlen im Mai im Amt bestätigt. Selbst bei schwerwiegenden Korruptionsfällen scheint die zerstörte Natur mehr die Urlauber zu stören, als die Spanier selbst:

    "Es hat uns auch sehr erstaunt, dass die meisten dieser Politiker wiedergewählt wurden. Wir stehen vor dem Ende des Booms. Aber während dieses Booms sind wir 45 Millionen Spanier alle zu Spekulanten geworden. Jeder will sein Land verkaufen. Die Leute sagen sich: "Ich will auch reich werden". Es herrscht überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass in den Rathäusern mit dieser Baupolitik unsere Ressourcen verschleudert und gestohlen werden."

    Erst seit etwas mehr als einem Jahr gehe die Justiz konsequenter gegen Korruptionsfälle in den Rathäusern vor, sagt Caballero. Illegale Gebäude ohne Baugenehmigungen oder errichtet in Naturschutzgebieten werden aber fast nie abgerissen. So sollen jetzt im andalusischen Badeort Marbella 18.000 Wohnungen nachträglich legalisiert werden. Murcia ist mit 1,3 Millionen Einwohnern eine der kleinsten Regionen Spaniens, auch eine mit den geringsten Niederschlägen und Wasservorkommen. Hier sehen die Bebauungspläne Greenpeace zufolge 800.000 neue Wohnungen vor. Kleine Städte wie Mazarrón mit 32.000 Einwohnern hätten dann mehr als 100.000. Die Föderation der Bauunternehmer Murcias erklärt, die Bebauungspläne bedeuteten nicht, dass die Wohnungen schließlich auch gebaut würden. Aber die Bauindustrie sei der Wachstumsmotor der Region, sagt José María Riquelme von der Baulobby:

    "Was wollen die Menschen denn? Die Europäer wollen Wohnungen hier. Und wir ermöglichen die EU-Politik der offenen Grenzen für Personen und Kapital. Erst durch uns wird das Erdöl Murcias überhaupt etwas wert: Die Sonne. Die Sonne ist unser Erdöl. Wir haben nichts gegen die Entwicklung unserer Industrie. Aber da muss man realistisch sein. General Motors oder Volkswagen werden hier in Murcia keine Fabriken bauen. Sie bauen sie in Ungarn, Tschechien oder Polen. Unsere Stärke ist die Sonne, das Klima."

    Doch häufig wird die Küste gerade dort zementiert, wo die natürlichen Ressourcen besonders knapp sind. Ein Golfarreal, das inzwischen schon zum Standard einer Siedlung an der Küste gehört, verbraucht Umweltschützern zufolge im Jahr eine Million Kubikmeter Wasser - in besonders wasserknappen Regionen. Greenpeace sieht die Küste zudem durch die Treibhausgase bedroht. Viele Küstenabschnitte auf denen heute noch gebaut werde, drohten völlig zu verschwinden, sagt María-José Caballero von Greenpeace:

    "Der Klimawandel wird bis 2050 zu einem Anstieg des Mittelmeers von 20 Zentimetern führen. Der Atlantik soll sogar 35 Zentimeter steigen. Jeder Zentimeter wird den Verlust von einem Meter Strand bedeuten. Darunter werden vor allem die besonders stark bebauten Küstenabschnitte leiden. Dort, wo bis kurz vor die Wasserlinie gebaut wurde, kann sich der Strand ja nicht zurückziehen, und der Klimawandel wird sich direkt auf die Gebäude auswirken."

    La Manga del Mar Menor bei Murcia ist ein schmaler Küstenstreifen zwischen dem Mittelmeer und einem Binnengewässer, der bei einem solchen Anstieg des Wassers zu verschwinden droht. Dennoch werden auch hier noch Ferienwohnungen verkauft. Und auch auf den letzten unberührten Stränden Murcias arbeiten schon die Bagger. Der Verband der Bauunternehmer sieht noch viel Platz für viele Gebäude:

    "Wir sind nicht am Limit. Es gibt keine rationellen Hinweise darauf, dass wir eine Grenze erreichen könnten. Murcia hat 118 Einwohner pro Quadratkilometer. Das ist eine größere Bevölkerungsdichte als im Rest Spaniens, entspricht aber etwa dem Durchschnitt in der EU. Wir haben noch zahlreiche unberührte Gegenden in der Region. Und die Bebauungsdichte an der Küste ist geringer als in Andalusien oder Valencia. Wir verlangen, dass man uns ähnlich entwickeln lässt wie andere Regionen Spaniens in den vergangenen 20 Jahren."