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Zen-Meditation und buddhistische Mystik

Der buddhistischen Mystik geht es nicht um die Weckung von mystischen Erlebnissen und Zuständen. Sie strebt auch keine Vereinigung mit einer Letzten Wirklichkeit an. Mystik im Zen-Buddhismus zum Beispiel ist eine Geistesschulung, die zur Gelassenheit führen soll und das Erleben universeller Einheit zum Ziel hat.

Von Corinna Mühlstedt | 16.04.2012
    "Die meisten von uns sind auf der Suche nach der Erkenntnis jener letzten Wahrheit, die hinter allen Dingen steht: Erleuchtung, Befreiung von der Wiedergeburt, Nirvana, das ist das Ziel, das wir anstreben, das aber nur wenige erreichen."

    Der buddhistische Mönch Hyang Jeok Sunim lebt im südkoreanischen Kloster von Haeinsa: Der Tag beginnt für die rund 100 Mönche um drei Uhr morgens im Tempel mit der Rezitation heiliger Texte. Die Schläge eines Bambusrohres leiten zur Zen-Meditation über. Schweigend und regungslos verharren die Mönche dann im Lotus-Sitz. Erst nach Sonnenaufgang erklingt das Bambusrohr erneut und erlaubt ihnen, den Tempel zu verlassen.

    Der Buddhismus kam vor mehr als eineinhalb Jahrtausenden aus China auf die koreanische Halbinsel und wanderte von dort weiter nach Japan. Die Zen-Meditation - auf Koreanisch "Cham-Son" – sei von jeher eine Antwort auf die tiefste Sehnsucht des Menschen, erklärt der Schweitzer Jesuit und Zen-Lehrer Nikolaus Brantschen:

    "Es gibt in jeder Hochreligion, spirituelle, mystische Ströme, sonst würden sie nie überlebt haben. Sei es im Islam, im Judentum, selbstverständlich im Christentum, in der Mystik des Mittelalters, und natürlich auch im Buddhismus. Zen ist eigentlich eine Erweckungsbewegung im 8. bis 9. Jahrhundert in China, wo die Menschen gesagt haben: Wir brauchen einen Weg der unmittelbaren Erfahrung, nicht Philosophien, Theorien über Buddha und den Weg Buddhas, sondern einen Erfahrungszugang zur Wirklichkeit."

    Die absolute Wahrheit lässt sich aus buddhistischer Sicht nicht intellektuell erfassen, sondern nur intuitiv erahnen. Der Meditierende muss daher lernen, seine Egozentrik zu überwinden, fest gefahrene Vorstellungen aufzugeben und seine Fixierung auf den Verstand durchbrechen. Dabei helfen ihm Rätselsprüche, die regelmäßig wiederholt werden, sogenannte Koans beziehungsweise Hadus. Einer von ihnen lautet: "Du hast nichts in Händen – wirf es weg!"
    Die Praxis des Zen fordert von den Übenden das Äußerste an Kraft und Disziplin. Viele buddhistische Ordensleute unterziehen sich ihr bis zu zwölf Stunden pro Tag. So auch Hyan Jeok Sunim:

    "Es ist die beste Methode, um frei zu werden. Man sitzt da, man hört nichts und sieht nichts, man schaut die Wand an. Es ist ein Freiwerden von allen Anhaftungen und Begierden. Dadurch sieht man die Welt objektiver und erlangt den Frieden des Herzens."

    Das Ziel aller Bemühungen gleicht einem mystischen Durchbruch, bei dem der Mensch eins wird mit der Wahrheit, die er sucht. Das Ich löst sich auf im ewigen Weltgesetz. - In einem zentralen buddhistischen Lehrtext, der sogenannten Herz-Sutra, heißt es:

    "Alle Phänomene sind nur Erscheinungsformen. Wer auf die vollkommene Weisheit vertraut,
    und frei wird von allen inneren Hindernissen, frei von allen Ängsten und Illusionen, dem wird die Erleuchtung zuteil."


    Als der deutsche Jesuit Hugo Enomiya Lassalle vor fast 100 Jahren nach Japan kam, war er tief beeindruckt von den Parallelen zwischen der fernöstlichen Spiritualität und den Vorstellungen der Mystik des europäischen Mittelalters.

    "Seine Gedanken ausschalten, das ist nicht etwas, was es bloß im Zen gibt, das finden Sie ganz wörtlich in der christlichen Mystik, um zur Erfahrung Gottes zu kommen. Ganz parallel im Zen, um diese Erfahrung der letzten Wirklichkeit zu haben, die wir Erleuchtung nennen. Man kann nämlich das Göttliche, Gott, mit dem normalen rationalen Bewusstsein nur sehr unvollkommen verstehen. Deswegen muss die Meditation einmal mit dem Denken aufhören. Solange wir Gott als Objekt sehen, ist es nicht Gott, sondern ein Bild von Gott."

    Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhard schreibt:

    "Du brauchst nicht zu meinen, deine Vernunft könne so wachsen, dass du Gott erkennen könntest. Wenn Gott in dir göttlich leuchten soll, dann fördert dich kein natürliches Licht, es muss viel mehr zu Nichts werden. Dann kann Gott mit seinem Licht in dich hinein und in dir leuchten."

    Die Berührungspunkte und Unterschiede zwischen den mystischen Strömungen im Buddhismus und im Christentum erforschen in jüngster Zeit auch immer mehr Buddhisten. Zu ihnen gehört der koreanische Religionswissenschaftler Professor Younhae Yoon:

    "Wenn wir auf den Kern kommen in beiden Religionen, dann, glaube ich, können wir das ausdrücken mit Selbstaufgabe oder Sich selbst lassen. Ich glaube, dass sowohl das Glück des Einzelnen als auch Glück und Friede auf der ganzen Welt davon abhängt, ob man sich selber lassen kann und aufgeben kann. Die Christen können sich selbst aufgeben, indem sie sich Gott hingeben, sich Gott überlassen, während die Buddhisten begreifen, dass das eigene Ich gar nicht erst existiert."