Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Zensur im Netz

In Syrien ist die Medienlandschaft überschaubar - trotz einer Liberalisierung in den vergangenen Jahren. Das Internet könnte deshalb eine wichtige Rolle spielen, als Informationsquelle und zum freien Meinungsaustausch. Doch die Regierung in Damaskus versucht genau das zu verhindern. Neue Technologien ja, aber nicht als Podium für die Entwicklung von Meinungsfreiheit, lautet die Devise der Regierung Assad.

Von Kristin Helberg | 04.07.2009
    Das Universitätsviertel von Damaskus. Zwischen einfachen Restaurants und Kopierläden liegt das Internetcafé "FAST NET", direkt gegenüber der Fakultät für Schöne Künste.

    In einem kleinen langgestreckten Raum stehen 18 Computer, an denen vor allem Studierende und Uni-Absolventen sitzen. Die meisten von ihnen haben auch zuhause einen Internetzugang, aber der ist viel langsamer als die ADSL-Verbindung im "FAST NET". Sie recherchieren, laden Daten herunter oder telefonieren über das Internet mit Verwandten und Freunden im Ausland. Doch zunächst muss jeder Kunde seinen Ausweis vorlegen, erklärt Tariq, der junge Mann an der Kasse:

    "Wir schreiben den Namen und die Ausweisnummer auf, das ist hier Routine. Jeder Internetbenutzer wird so registriert."

    Für die Daten interessiert sich der syrische Geheimdienst, der laut Tariq "ab und zu" vorbeikommt. Dann berichtet der 30-Jährige auch von seinen übrigen Beobachtungen:

    "Wenn ich bei jemandem Zweifel habe, weil er vielleicht seltsam aussieht, dann schaue ich, was er so treibt. Auf welche Internetseiten er geht, ob er über Politik liest. Wir sollen kontrollieren so gut es geht ... warum auch sitze ich sonst hier?"

    Tariq wirkt dabei nicht eifrig bemüht, eher entspannt und gelassen. Er hält eine Kontrolle des Internets ohnehin für unmöglich und die Registrierung für wenig effektiv. Er macht, was der Gesetzgeber von ihm verlangt - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Natürlich lasse sich das Internet nicht hundertprozentig überwachen, sagt auch Mazen Darwich. Er leitet das Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit, das Studien zur syrischen Medienlandschaft durchführt und wie viele syrische Nichtregierungsorganisationen ohne offizielle Genehmigung arbeitet. Laut Darwich verfolgt die Regierung mit der Überwachung der Internetcafés ein viel subtileres Ziel.

    "Jeder Versuch, das Internet zu kontrollieren, soll eher verunsichern als wirklich effizient überwachen. Wenn ich eine verbotene Internetseite öffnen will, meine Daten aber zuvor registriert werden, dann habe ich Angst und lasse es lieber bleiben. Es geht um diesen psychologischen Effekt."

    Auch die mehrjährigen Haftstrafen für fünf Internetautoren, die in der letzten Zeit verhängt wurden, sollten vor allem abschrecken, meint Darwich. Syrische Blogger und Online-Journalisten sollten dazu gebracht werden, sich selbst zu zensieren, so der Leiter des Medienzentrums.

    Bahia Mardini kann das bestätigen. Sie hält die berüchtigte "Schere im Kopf" für die schlimmste Form der Zensur. Die 39-Jährige schreibt seit Jahren für die in London produzierte Internetseite Elaph, eines von mehreren Nachrichtenportalen, die in Syrien gesperrt sind. Bis heute ist Mardini nicht beim Informationsministerium akkreditiert und hat keinen syrischen Presseausweis. Wie viele ihrer Kollegen muss sie außerdem regelmäßig beim Geheimdienst erscheinen.

    "Erst kürzlich sagten sie mir dort, diese Nachricht hättest du nicht veröffentlichen sollen. Es ging um Probleme der Kurden. Ich habe geantwortet, die Nachricht ist von drei Quellen bestätigt. Dann habe ich meinen Kaffee getrunken und bin gegangen."

    Die Einmischung der Sicherheitsdienste in die Arbeit syrischer Journalisten gehe indes noch weiter, erzählt Mazen Darwich vom Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit in Damaskus:

    "Freunde haben mir erzählt, dass Geheimdienstler manchmal schon Minuten nach Erscheinen einer Nachricht im Internet anrufen und den Bericht als ungenau oder unzutreffend kritisieren. Der Geheimdienst ist Teil der Redaktion geworden."

    Das Regime habe Angst vor dem wachsenden Einfluss des Internets und dem damit verbundenen Kontrollverlust, meint der 35-jährige Aktivist. Die Zahl der syrischen Internetnutzer sei in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert, so Darwich, inzwischen gehe fast ein Fünftel der Syrer regelmäßig online.

    Syriens Präsident selbst fördert die neuen Technologien. Bereits nach seinem Amtsantritt vor neun Jahren hatte Bashar Al Assad dafür gesorgt, das Internet für die breite Bevölkerung zugänglich zu machen. Seine Regierung propagiert ein "modernes" und "offenes Syrien", will sich aber vorbehalten, was darunter zu verstehen ist. Mehr als 40 Jahre Alleinherrschaft der Baath-Partei haben eine umfassende Kontrolle von Politik und Gesellschaft gebracht. Und jetzt sollen auch die vorsichtigen Reformen in Wirtschaft und Medien gesteuert bleiben; jede Veränderung, jede Kritik soll vom Staat ausgehen - sonst, so die Sorge der Machthaber, könne sich der Modernisierungsprozess verselbständigen und das Regime selbst ins Wanken geraten. Deshalb ihr Versuch, Kritiker zum Schweigen zu bringen, vor allem, wenn sie sich eines so freien Mediums wie des Internets bedienen.

    Mehr als 230 gesperrte Seiten zählt das Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit in seinem neuesten Bericht vom Mai 2009. Obwohl dieser Bericht nicht mehr auf den syrischen Internetseiten erscheint, erreicht er ein breites Publikum. Mazen Darwich verschickt ihn einfach per Email:

    "Ich erinnere mich noch: Als Ende der 90er-Jahre jemand verhaftet wurde, hat es Monate gedauert, bis die Nachricht Amnesty International oder Human Rights Watch erreichte. Heute geht das in Minuten. Damals war es unser größter Ehrgeiz, einen kleinen Bericht an 100 Adressaten zu verteilen. Heute erreichen wir mit einem Mausklick Tausende von Leuten."

    Der verbesserte Zugang zum Internet hat Korrespondentin Bahia Mardini zufolge aber auch negative Auswirkungen. Wöchentlich entstünden in Syrien neue Seiten und nicht alle arbeiteten seriös, kritisiert die Journalistin. Sie spricht von einem "Chaos im Netz":

    "Jeder Journalist macht hier seine eigene Seite. Oder zwei, drei Leute tun sich zusammen und gründen eine Internetseite. Aber viele ähneln sich, sie schreiben voneinander ab, bedienen sich bei den Agenturen und Zeitungen und das war es. Das ist keine echte journalistische Arbeit."

    Dabei sei professioneller Journalismus in einem Land wie Syrien besonders wichtig, um das Vertrauen der Behörden in die Medien zu stärken, meint Mardini. Wer sauber berichte, bekomme weniger Ärger mit den Geheimdiensten, und könne sich dadurch größere Freiräume schaffen, sagt die Journalistin:

    "Wir haben immer davon geträumt, dass eine syrische Zeitung von den Prozessen im Staatssicherheitsgericht berichtet. Das war früher undenkbar, jetzt aber ist es möglich. Das bedeutet, dass sich etwas verändert. Und es ist unsere Verantwortung als Journalisten, diesen Freiraum auszubauen, indem wir gewissenhaft arbeiten und nichts erfinden."