Der Soldat Karl Dercks Ende November an seine Familie. Die Angehörigen der Wehrmacht unterliegen der Militärzensur. Die Feldpost wird stichprobenhaft kontrolliert. Karl Dercks wird später als vermißt gemeldet.
Liebe Eltern. Ihr werdet mit Schmerzen auf Post von mir warten. Aber ich will es Euch nun schreiben, wie das alles zusammenhängt. Ob dieser Brief die Kontrolle passiert, weiß ich nicht.
Wernfried Senkel, Gefreiter.
Wir bekommen es gesagt, was, und wem wir schreiben können. Wir sind nämlich eingeschlossen. Was das heißt für uns, könnt Ihr gar nicht ermessen. Das ist eine schwere Zeit. Müssen neue Bunker und Fahrzeugboxen bauen. Seit gestern nacht arbeiten wir in der vordersten Linie und bauen die Stellung besser aus. Schlafen ist Luxus. Das selbe Waschen. Wollen heute gleich mit vorziehen, sonst müssen wir über zwei Stunden laufen. So kaputt und matt war ich noch nicht. Die Augen fallen bald vor Müdigkeit zu. Wie sehen wir dreckig und zerlumpt aus. Was anderes darf ich ja nicht schreiben. Es ist auch besser so. Ihr würdet Euch nur unnötige Sorgen machen.
Der Brief des Gefreiten Wernfried Senkel kommt zu Hause an. Er selbst bleibt verschollen. Es ist für die Briefschreiber ein Drahtseilakt: Einerseits wollen sie Soldaten ihre Familien nicht im Unklaren lassen über den Ernst der Lage. Aber dazu kommt die Schere im Kopf, die Selbstzensur. Man will die Angehörigen nicht über Gebühr beunruhigen. Der Sanitätsunteroffizier Günther Merbold an seinen Vater:
Ich nehme an, Dass Du über die militärischen Ereignisse besser informiert bist als mancher andere, der nur die amtlichen Berichte erfährt, und nur zu gut weiß, was seit dem 20. November hier los ist. Jetzt kann man wenigstens durch die Luftpost Nachrichten nach Hause gelangen lassen. Ich fürchte, dass Du Dir ernstlich Sorgen gemacht hast. Von dort aus muss die Sache auch gefährlich ausgesehen haben. Aber wenn man dabei ist, ist alles halb so schlimm. Wer hätte gedacht, dass man in eine solch verzwickte Lage kommen könnte! Jetzt habe auch ich so etwas einmal erlebt und kann später davon erzählen. Ein etwas gruseliges Gefühl war es mir doch, als ich am 21. so richtig erfuhr, wie es stand, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Günther Merbold kehrt nicht aus Stalingrad zurück, wie auch der Soldat Hans Michel, der an seine Familie schreibt:
Was militärisch geht, darüber kann ich aus begreiflichen Gründen nicht schreiben. Wenn Du von dem Ort hörst, wo ich bin (eben sprach im Radio einer davon), so kannst Du daraus ermessen, was los ist. Was weiter kommt wissen wir nicht, aber wir sind zuversichtlich.
Mein Liebstes.
Hoffentlich hast Du alle Briefe von mir. Wirst vielleicht manchmal nicht ganz klug geworden sein aus meinen Andeutungen in letzter Zeit. Wenn’s an der Zeit ist, sollst Du alles einmal erfahren. Vorläufig aber mach Dir keine unnötigen Sorgen, mir geht es gut.
Heino Graf Vitzthum, Rittmeister, in einem Brief an seine Frau. Er hat den Krieg überlebt. Die meisten wissen, dass der Wehrmachtsbericht die Lage beschönigt. Der Obergefreite Josef Kirberich an seine Familie:
41 Tage Kampfgruppe Scheer haben wir bisher hinter uns und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Wir laufen unter dem Motto "Zwischen Don und Wolga". Dann kommt im Wehrmachtsbericht immer noch "im großen Don-Bogen". Das sagt Dir hoffentlich genug.
Es geht uns in diesen Tagen leider nicht so gut. Einige zarte Andeutungen im OKW – Bericht dieser Tage geben das bekannt. Doch das wird hoffentlich bald eingerenkt sein. Macht Euch aber nicht unnötig Sorgen, dank einiger aufgesparter Verpflegungsreserven leiden wir noch keine Not. Es ist aber anzunehmen, dass dieser Zustand nicht lange dauert
Der Soldat Paul Wortmann, seine Spur verliert sich im Januar 1943. Zehn Jahre Leben unter dem NS-Regime haben die Briefschreiber aber auch gelehrt, wie Sachverhalte verschlüsselt und von den Adressaten entschlüsselt werden können. Die Kunst "Zwischen den Zeilen zu lesen" ist gefragt, zum Beispiel im Brief des Soldaten Hans Breuer an seine Angehörigen.
Meine Lieben! Euren lieben Brief habe ich mit Freude erhalten. Ich dachte schon, bei Euch wäre die Gasuhr geplatzt.
Die geplatzte Gasuhr steht für ein ausgebombtes Haus.
Kinder, hier ist was los, hier wackelt die Wand. Stalingrad! Ein Begriff und dann Ringstellung im Norden. Der Rhein in Flammen..... ist einfach ein Waisenkind.
Seine Einheit liegt unter schwerem Feuer
Also laut Rundfunk u.s.w. könnt Ihr Euch ja so ein kleines Bild machen, was hier gekocht ist.
"Ein kleines Bild": Der Rundfunk beschönigt und untertreibt. Es ist alles viel schlimmer.
Eure beiden Sprösslinge sind doch hoffentlich wieder auf der Höhe! Keuchhusten, da kann ich mir kein Urteil erlauben. Das ist nämlich das einzige, was ich noch nicht hatte.
Daraus hat seine Familie geschlossen, dass es ihm gesundheitlich schon sehr schlecht ging.
Es grüßt Euch recht herzlich und wünscht Euch keine Läuse, Euer Hans.
Also hatten sie auch Läuse. - Hans Breuer ist seit Januar 1943 vermisst. Je länger die Kämpfe dauern, desto weniger beachten die Soldaten die Zensur. Trotzdem fehlen ihnen manchmal einfach die Worte, um das Gemetzel vor ihren Augen zu beschreiben. Der Gefreite Heinz Risse, wenige Wochen, bevor auch er vermisst wird, an seine Frau.
Heute ist es Sonntag, nur wir merken nichts davon. Aber das wäre nicht das Schlimmste, wenn nur dieses Morden ein Ende haben wollte. Wie wir unsere Tage verbringen, kann ich Dir nicht schreiben, denn man kann das mit Worten nicht schildern. Wenn es mir vergönnt sein sollte, aus diesem Chaos noch lebend herauszukommen, dann werde ich mal einen ausführlichen Brief schreiben über das, was wir durchgemacht haben und was alles geschehen ist. Die Heimat wird es nie ermessen, was wir erleben mussten, denn wie viel Blut hier geflossen ist, kann vor Gott nicht verantwortet werden.
Liebe Eltern. Ihr werdet mit Schmerzen auf Post von mir warten. Aber ich will es Euch nun schreiben, wie das alles zusammenhängt. Ob dieser Brief die Kontrolle passiert, weiß ich nicht.
Wernfried Senkel, Gefreiter.
Wir bekommen es gesagt, was, und wem wir schreiben können. Wir sind nämlich eingeschlossen. Was das heißt für uns, könnt Ihr gar nicht ermessen. Das ist eine schwere Zeit. Müssen neue Bunker und Fahrzeugboxen bauen. Seit gestern nacht arbeiten wir in der vordersten Linie und bauen die Stellung besser aus. Schlafen ist Luxus. Das selbe Waschen. Wollen heute gleich mit vorziehen, sonst müssen wir über zwei Stunden laufen. So kaputt und matt war ich noch nicht. Die Augen fallen bald vor Müdigkeit zu. Wie sehen wir dreckig und zerlumpt aus. Was anderes darf ich ja nicht schreiben. Es ist auch besser so. Ihr würdet Euch nur unnötige Sorgen machen.
Der Brief des Gefreiten Wernfried Senkel kommt zu Hause an. Er selbst bleibt verschollen. Es ist für die Briefschreiber ein Drahtseilakt: Einerseits wollen sie Soldaten ihre Familien nicht im Unklaren lassen über den Ernst der Lage. Aber dazu kommt die Schere im Kopf, die Selbstzensur. Man will die Angehörigen nicht über Gebühr beunruhigen. Der Sanitätsunteroffizier Günther Merbold an seinen Vater:
Ich nehme an, Dass Du über die militärischen Ereignisse besser informiert bist als mancher andere, der nur die amtlichen Berichte erfährt, und nur zu gut weiß, was seit dem 20. November hier los ist. Jetzt kann man wenigstens durch die Luftpost Nachrichten nach Hause gelangen lassen. Ich fürchte, dass Du Dir ernstlich Sorgen gemacht hast. Von dort aus muss die Sache auch gefährlich ausgesehen haben. Aber wenn man dabei ist, ist alles halb so schlimm. Wer hätte gedacht, dass man in eine solch verzwickte Lage kommen könnte! Jetzt habe auch ich so etwas einmal erlebt und kann später davon erzählen. Ein etwas gruseliges Gefühl war es mir doch, als ich am 21. so richtig erfuhr, wie es stand, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Günther Merbold kehrt nicht aus Stalingrad zurück, wie auch der Soldat Hans Michel, der an seine Familie schreibt:
Was militärisch geht, darüber kann ich aus begreiflichen Gründen nicht schreiben. Wenn Du von dem Ort hörst, wo ich bin (eben sprach im Radio einer davon), so kannst Du daraus ermessen, was los ist. Was weiter kommt wissen wir nicht, aber wir sind zuversichtlich.
Mein Liebstes.
Hoffentlich hast Du alle Briefe von mir. Wirst vielleicht manchmal nicht ganz klug geworden sein aus meinen Andeutungen in letzter Zeit. Wenn’s an der Zeit ist, sollst Du alles einmal erfahren. Vorläufig aber mach Dir keine unnötigen Sorgen, mir geht es gut.
Heino Graf Vitzthum, Rittmeister, in einem Brief an seine Frau. Er hat den Krieg überlebt. Die meisten wissen, dass der Wehrmachtsbericht die Lage beschönigt. Der Obergefreite Josef Kirberich an seine Familie:
41 Tage Kampfgruppe Scheer haben wir bisher hinter uns und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Wir laufen unter dem Motto "Zwischen Don und Wolga". Dann kommt im Wehrmachtsbericht immer noch "im großen Don-Bogen". Das sagt Dir hoffentlich genug.
Es geht uns in diesen Tagen leider nicht so gut. Einige zarte Andeutungen im OKW – Bericht dieser Tage geben das bekannt. Doch das wird hoffentlich bald eingerenkt sein. Macht Euch aber nicht unnötig Sorgen, dank einiger aufgesparter Verpflegungsreserven leiden wir noch keine Not. Es ist aber anzunehmen, dass dieser Zustand nicht lange dauert
Der Soldat Paul Wortmann, seine Spur verliert sich im Januar 1943. Zehn Jahre Leben unter dem NS-Regime haben die Briefschreiber aber auch gelehrt, wie Sachverhalte verschlüsselt und von den Adressaten entschlüsselt werden können. Die Kunst "Zwischen den Zeilen zu lesen" ist gefragt, zum Beispiel im Brief des Soldaten Hans Breuer an seine Angehörigen.
Meine Lieben! Euren lieben Brief habe ich mit Freude erhalten. Ich dachte schon, bei Euch wäre die Gasuhr geplatzt.
Die geplatzte Gasuhr steht für ein ausgebombtes Haus.
Kinder, hier ist was los, hier wackelt die Wand. Stalingrad! Ein Begriff und dann Ringstellung im Norden. Der Rhein in Flammen..... ist einfach ein Waisenkind.
Seine Einheit liegt unter schwerem Feuer
Also laut Rundfunk u.s.w. könnt Ihr Euch ja so ein kleines Bild machen, was hier gekocht ist.
"Ein kleines Bild": Der Rundfunk beschönigt und untertreibt. Es ist alles viel schlimmer.
Eure beiden Sprösslinge sind doch hoffentlich wieder auf der Höhe! Keuchhusten, da kann ich mir kein Urteil erlauben. Das ist nämlich das einzige, was ich noch nicht hatte.
Daraus hat seine Familie geschlossen, dass es ihm gesundheitlich schon sehr schlecht ging.
Es grüßt Euch recht herzlich und wünscht Euch keine Läuse, Euer Hans.
Also hatten sie auch Läuse. - Hans Breuer ist seit Januar 1943 vermisst. Je länger die Kämpfe dauern, desto weniger beachten die Soldaten die Zensur. Trotzdem fehlen ihnen manchmal einfach die Worte, um das Gemetzel vor ihren Augen zu beschreiben. Der Gefreite Heinz Risse, wenige Wochen, bevor auch er vermisst wird, an seine Frau.
Heute ist es Sonntag, nur wir merken nichts davon. Aber das wäre nicht das Schlimmste, wenn nur dieses Morden ein Ende haben wollte. Wie wir unsere Tage verbringen, kann ich Dir nicht schreiben, denn man kann das mit Worten nicht schildern. Wenn es mir vergönnt sein sollte, aus diesem Chaos noch lebend herauszukommen, dann werde ich mal einen ausführlichen Brief schreiben über das, was wir durchgemacht haben und was alles geschehen ist. Die Heimat wird es nie ermessen, was wir erleben mussten, denn wie viel Blut hier geflossen ist, kann vor Gott nicht verantwortet werden.