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Zensurskandal vor Frankfurter Buchmesse

Nach massivem Druck aus Peking will die chinesische Autorin Dai Qing nicht an einem internationalen China-Symposium teilnehmen, das am kommenden Wochenende in Frankfurt stattfindet. Stattdessen wird sie im Oktober die Buchmesse besuchen, so Projektleiter Peter Ripken.

Peter Ripken im Gespräch mit Michael Köhler | 09.09.2009
    Michael Köhler: Wenige Wochen vor Beginn der Frankfurter Buchmesse, da gibt es Ärger um die Einladung einiger chinesischer Schriftsteller. Die Zensurbehörde will die Einreise regimekritischer Autoren nicht nur unterbinden, sondern sie verbietet es wohl ganz aktiv. Frage an Peter Ripken von der Frankfurter Buchmesse - er ist zuständig für internationale Beziehungen und Organisator eines Symposions über China und die Welt, das am Wochenende stattfinden soll - zunächst: Was ist vorgefallen?

    Peter Ripken: Das P.E.N.-Zentrum Deutschland hatte die Autorin Dai Qing noch in später Stunde eingeladen, nachdem sie eine frühere Einladung von uns überhaupt nicht beantwortet hatte. Deswegen stand sie auch nicht auf dem Programm. Der P.E.N. meinte, es sei wichtig, dass sie da ist, weil sie ein kritischer Kopf ist. Es ist eine Einladung gegangen, die wir transportiert haben - und die leider dann in einem großen Haufen von anderen Einladungen an die falsche Adresse geraten ist. Und dadurch ist die chinesische Ehrengastorganisation darauf aufmerksam geworden, dass wir diese Autorin eingeladen haben, die sie nicht mögen.

    Man hat uns daraufhin unmissverständlich gesagt: Wenn diese Autorin eingeladen wird und in Frankfurt da ist, dann werden wir ausziehen. Das war eine Situation, die in ihrer Klarheit, ihrer Brutalität sozusagen uns überraschte. Wir haben dann überlegt, was wir machen, und ich habe mit der Autorin gesprochen über diesen Sachverhalt, der ihr nicht unbekannt geblieben war. Und sie hat von sich aus dann gesagt, dann zieht sie es doch vor, nach Frankfurt auf die Buchmesse zu kommen und nicht zu diesem Symposion, wenn ihre bloße Anwesenheit solche Folgen hat.

    Köhler: Herr Ripken, was macht die Autorin so gefährlich, dass die Zensurbehörden so gereizt reagieren?

    Ripken: Das ist genau meine Frage an die Zensurbehörden. Sie ist ein durchaus kritischer Kopf. Sie ist nicht unumstritten. Aber sie ist eine Vertreterin einer Literaturkonzeption, die in China durchaus von Bedeutung ist, nämlich diese Konzeption: Literatur als soziales Gedächtnis, als historisches Gedächtnis. Sie hat "Oral History" produziert, und deswegen waren wir darauf gekommen, sie einzuladen. Diese Konsequenzen, die hatten wir uns auch nicht so vorgestellt.

    Köhler: Das ist interessant, was Sie sagen, weil nicht unbedingt jemand gleich über die Demokratiebewegungen schreiben muss oder über das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens, um als verdächtig zu gelten. Nein, wenn er modern in einem westlichen Sinne schreibt, ist er ja schon bei den Zensurbehörden auffällig.

    Ripken: In der Tat, in der Tat. Frau Dai Qing ist deswegen auch ein bisschen umstritten, weil sie ein Gefängnisbuch geschrieben hat, in dem sie durchaus positive Dinge über chinesische Gefängnisse schreibt. Deswegen ist es besonders verwunderlich, dass sie jetzt sozusagen zur Unperson erklärt wird. Sie ist eine durchaus differenziert denkende Person. Es ist nicht so jemand, der unentwegt nur Tiananmen Square aufarbeiten will und die Folgen. Mir ist das ein Rätsel.

    Köhler: Herr Ripken, zunächst sieht es so aus, als sei es ein eklatanter Fall von Zensur, ein Zensurskandal, der da vorliegt. Ist es richtig, dass Sie gewissermaßen dem Druck nachgegeben haben und die Autorin lieber jetzt zur Buchmesse einladen, damit Ihr Symposion am Wochenende stattfinden kann?

    Ripken: Ob wir dem Druck ... Ja, man kann das ... Ich weiß nicht, ob man das so formulieren kann. Wir haben eine Güteabwägung betreiben müssen, und die Autorin hat ebenfalls diese Güteabwägung betrieben. Also, insofern haben wir ganz offen miteinander gesprochen: Ist es diesen Konflikt wert?

    Das sage ich in aller Offenheit, weil die Idee des Symposions ist, dass wir auch mit dem offiziellen China diskutieren, weil: Es geht um Wahrnehmung und Wirklichkeit. Und die Wahrnehmung, die aus dem Westen kommt, ist relativ eindeutig, aber die Wahrnehmung aus China ist zum Teil uns auch gar nicht bekannt, weil es immer noch diese Art, na, Verteufelung Chinas gibt, das Schüren von Verunsicherung und der nackte Neid, könnte man sagen, dass sie ihre Krise, die ökonomische Krise anders bewältigen, als das zum Beispiel Europa tut, dergleichen mehr. Und das soll auch thematisiert werden auf dem Symposion. Und das kann man natürlich nicht nur machen, indem man kritische Köpfe, die als Dissidenten angesehen werden, macht, sondern da braucht man eben auch andere.

    Köhler: Herr Ripken, der Stand von Mittwoch Nachmittag ist: Ihr Symposion wird am Wochenende in Frankfurt stattfinden?

    Ripken: Ja, das ist der Stand der Dinge und es wird spannend werden. Wir haben sehr viele Anmeldungen.

    Köhler: ... sagt Peter Ripken von der Buchmesse, zuständig für internationale Beziehungen und Organisator eines Symposions über China und die Welt, zum Einreiseverbot und zum literarischen Mauerbau im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse. Also, Diplomatie der kleinen Schritte ist angesagt.