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Zentral oder Dezentral?

Etwa einhundert Menschen haben sich vor der Zentrale der sozialdemokratischen Regierungspartei SDS in der Kleinstadt Struga im Süden Mazedoniens versammelt. Transparente fordern den Rücktritt der Regierung. "Das Leben geben wir, Struga aber nicht!" steht auf Transparenten und: "Mazedonien leidet unter Verrätern, aber Gott schützt es."

Von Thomas Franke |
    "Oh mein geliebtes Land unter dem Himmel", heißt es in dem Lied, "oh mein geliebtes Land, du bist Licht für mich und das, was ich brauche. Du und ich sind eins. Du und ich stehen hier für Mazedonien, wir alle sind für Mazedonien."

    Seit Ende Juli treffen sich die Demonstranten hier allabendlich. Erst waren es etwa 1000, an diesem Abend stehen nur noch 100 Menschen vor dem rußverschmierten Parteigebäude der SDS.

    Eine Frau mit kurzen rötlichen Haaren tritt ans Mikrophon. "Der gerechte Kampf schweißt uns zusammen", sagt sie, und: "Er wird weitergehen. "

    In Mazedonien regiert zur Zeit eine Koalition aus der sozialdemokratischen, slawisch mazedonischen SDS und der albanischen BDI. Als der Verteidigungsminister Vladko Buchkowski Ende Juli die Parteizentrale in der südwestlichen Kleinstadt Struga besuchte, war es plötzlich zu Ausschreitungen gekommen. Demonstranten hatten das Parteigebäude umstellt, Brandsätze flogen, Spezialeinheiten mussten den Minister evakuieren.

    Hintergrund der Eskalation ist ein Gesetz, das die Regierungskoalition im Juli beschlossen hatte. Darin geht es um die Dezentralisierung Mazedoniens. Daran gekoppelt sollen die mazedonischen Kommunen neu aufgeteilt werden. Derzeit gibt es 123 Gemeinden, nach der Reform sollen es nur noch 80 sein. Im Zuge dessen sollen die Gemeinden mehr Kompetenzen in der Bildungspolitik, im Gesundheitssektor und für die wirtschaftliche Entwicklung bekommen. Die letzte Gemeindereform in Mazedonien war 1996.

    Durch die neuen Gemeindegrenzen werden sich in einigen Landkreisen die Bevölkerungsanteile verschieben. So auch in der Kleinstadt Struga und deren Umgebung. 47 Prozent der Bevölkerung sind zur Zeit slawische Mazedonier, 43 Prozent Albaner. Zwei Dörfer sollen eingemeindet werden. Damit würde sich die Bevölkerungsmehrheit zugunsten der Albaner verändern.

    Nach einer halben Stunde löst sich die Kundgebung auf. Etwas abseits steht Saso Markoski. Er ist Vorsitzender des so genannten "Krisenkomitees für die Unabhängigkeit Strugas". Aus Protest gegen die bevorstehende Gemeindereform hatte sich die Kleinstadt kurzerhand für unabhängig erklärt. Das sei aber nur der letzte Schritt, versichert der junge Mann. Er, der slawische Mazedonier, wolle eigentlich in Mazedonien bleiben.

    Wir sind bereit, alle möglichen rechtlichen Mittel auszuschöpfen, auch eine Klage vor dem Verfassungsgericht. Sollten wir da scheitern, werden wir bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Straßburg gehen. Ich bin fest der Überzeugung, dass diese bürgerferne Regierung, die entweder aus den Bergen oder von der Straße kommt, bald am Ende ist.

    Markoski ist auch Mitglied in der nationalkonservativen Oppositionspartei VMRO-DPMNE der slawischen Mazedonier. Die hatte starken Anteil an der Eskalation der Gewalt in Mazedonien vor drei Jahren. Sein Protest sei aber keineswegs ethnisch motiviert, versichert Markoski. Er würde sogar einen albanischen Bürgermeister akzeptieren, sofern der qualifiziert sei.

    Am 7. November werden die Mazedonier in einer Volksabstimmung über die Gemeindereform abstimmen. Die dazu nötigen Stimmen hat eine nationalistische Vereinigung namens Mazedonischer Weltkongress gesammelt, unterstützt von der VMRO. 180.000 Mazedonier haben den Aufruf unterschrieben. Das ist fast ein Zehntel der Bevölkerung Mazedoniens. Aus Struga hätten 10.000 Menschen unterzeichnet, sagt Markoski.

    Die Menschen aus Struga sind da, wenn man sie am dringendsten braucht. Bis jetzt waren sehr viele bei den Demonstrationen. Für uns ist es wichtig zu protestieren und der Regierung zu zeigen, dass wir damit nicht aufhören. Wenn es nicht so tragisch wäre, dann wäre unsere Unabhängigkeitserklärung komisch. Die Regierung muss endlich auf die Stimme der Bevölkerung hören, nicht nur auf die Menschen aus Struga, sondern aus ganz Mazedonien.

    Sollte das Referendum durchkommen und die Reform scheitern, würde das die Zukunft Mazedoniens wesentlich beeinflussen. Denn die Gemeindereform ist Teil des Friedensabkommens von Ohrid. Mit dem Vertragswerk wurde im August 2001 die kurze und heftige Auseinandersetzung im Norden der ehemaligen Jugoslawischen Republik beendet.

    Ein halbes Jahr lang hatten sich albanische Rebellen der UCK und die mazedonische Armee bekämpft und die Bergdörfer im Nordwesten des Landes in Schutt und Asche gelegt. Große Teile der Bevölkerung waren geflohen. Bis jetzt sind nicht alle zurückgekehrt.

    Das Abkommen von Ohrid soll das Zusammenleben der Volksgruppen in Mazedonien regeln. In Gegenden, in denen mindestens 20 Prozent der Bevölkerung Albaner sind, soll Albanisch als zweite Amtssprache eingeführt werden.

    In der mazedonischen Regierung ist der stellvertretende Premierminister Musa Xhaferi für die Umsetzung des Friedensabkommens von Ohrid zuständig. Xhaferi ist Albaner. Das Gesetz über die Dezentralisierung sei in Hinterzimmern ausgekungelt worden, werfen Kritiker der Regierung vor. Musa Xhaferi räumt denn auch Fehler ein:

    Vielleicht haben wir nicht genug gemacht bei der Thema Information. Wahrscheinlich war der Dynamik so, weil wir haben viele politische Themen gehabt, mussten wir viele Gesetze neu und alte Gesetze ändern. Und es sind immer noch die Spuren des alten Systems. Trotz dass das alle verlangen, so allgemein gesagt, dass das mehr Macht für die Lokalverwaltung bei uns ist Die Bürger haben wahrscheinlich Angst, diese Veränderungen, was bedeutet das. Diese Ungewisse herrscht und wir denken, dass das mit der Zeit die Menschen werden das mehr verstehen und das akzeptieren und werden mit der Zeit mehr mit lokale Problemen (...) beschäftigen.

    Nach der Gebietsreform wäre zum Beispiel die Hauptstadt Skopje zweisprachig. Mazedonische Sprachwissenschaftler bangen deshalb um die mazedonische Sprache. Dazu der Albaner Xhaferi:

    Es ist nicht so schwierig, diese Angst zu kreieren, zu produzieren und dann zu verteilen, weil ich kann es nicht akzeptieren, dass die Akademiker, oder die Sprachwissenschaftler sollten Angst haben wegen einer anderen Sprache. Die haben Hunderte Jahren da zusammen gelebt. In 21. Jahrhundert kann das nicht sein.

    Das Abkommen von Ohrid legt darüber hinaus die Beteiligung von Albanern am Staatsdienst fest. Dabei ist besonders wichtig, dass es in der mazedonischen Armee und unter den Sicherheitskräften Albaner gibt. Damit soll sichergestellt werden, dass sich eine Konfrontation zwischen Albanern und slawisch dominierten Sicherheitskräften nicht wiederholen kann. Das auf der Leitungsebene umzusetzen, ist aber noch schwierig, da Albaner in der Vergangenheit häufig schlechter ausgebildet wurden. Doch das ist eine Frage der Zeit. In der albanisch dominierten Stadt Tetovo gibt es mittlerweile eine Hochschule, in der auf Albanisch gelehrt wird.

    Mittags in Labunista wenige Kilometer nördlich von Struga. Ältere Männer eilen in die Moschee, Alla- uakba steht in kyrillischen Buchstaben am Minarett. Der Ort ist steil an einen Berg gebaut. In Labunischta wohnen vorwiegend Albaner.

    Mazedonien ist ein Land zwischen den Kulturen. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner, die slawischen Mazedonier, sind christlich -orthodox. Die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe, die albanischen Mazedonier, sind muslimisch. Während die meisten Albaner sehr wohl Mazedonisch können, sprechen nur sehr wenige slawische Mazedonier Albanisch. Dann folgen als bedeutende Minderheiten Roma und Türken, weiter Serben, Wlachen, Montenegriner, bosnische Moslems, Griechen, Bulgaren, Juden, Russen und Torbeschen, das sind südslawische Muslime.

    Im Abkommen von Ohrid heißt es, dass alle Minderheiten proportional im Parlament vertreten sein müssen. Islam und Katholizismus sind laut dem Abkommen von Ohrid gleichberechtigt mit der vormals orthodoxen Staatsreligion.

    Mehrfach war in letzter Zeit zu hören, dass nur slawische Mazedonier dieses Gesetz ablehnen und für die Volksabstimmung votiert haben. Das stimmt nicht. Redjo Saitoski ist Gemeindevorsteher von Labunischta, dem albanischen Dorf, das Struga zugeteilt werden soll. Auch er sei gegen die neuen Gemeindegrenzen, sagt er, und zwar aus wirtschaftlichen Gründen.

    Die Wirtschaftskrise in Mazedonien hält an. Zwar ist die Währung Denar seit Jahren stabil, doch der Privatisierungsprozess stockt. Löhne werden teils seit zwei Jahren nicht mehr ausgezahlt, es gibt wenig Arbeit. Viele Familien leben ausschließlich von der Unterstützung durch Verwandte im Ausland.

    Sollte Labunista wieder zu Struga gehören, würden allein in der kommunalen Verwaltung sieben Arbeitsplätze verloren gehen, warnt der albanische Gemeindevorsteher Redjo Saitoski.

    Acht Jahre waren wir unabhängig, eine Gemeinde, die selbständig gearbeitet hat. Vor der Reform 1996, als wir schon mal zu Struga gehört haben, da hat der Bezirk Struga kein Geld in unsere Entwicklung investiert.

    Der stellvertretende Premierminister Musa Xhaferi geht davon aus, dass das Referendum für die Gemeindereform ausgeht. Die Regierung habe deshalb vor der Volksabstimmung am 7. November alle Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit ausgeschöpft, unterstreicht er.

    Das ist extrem wichtig, denn die Entscheidung berührt massiv die außenpolitischen Ziele des Balkanlandes. Mazedonien hat den Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt und erwartet für 2006 die Einladung in die NATO. Das geht aber nur, wenn das Abkommen von Ohrid umgesetzt und der zentral organisierte Staat dezentralisiert wird.

    In der Hauptstadt Skopje sitzt der Grieche Vasilis Maragos. Er vertritt die Kommission der Europäischen Union in Mazedonien.

    Alle Leute in solchen Transitländern, besonders hier, müssen ihre Mentalität grundlegend ändern, um Reformen dynamischer zu machen um die Rolle des Staates zu reduzieren, um zu verstehen, was Solidarität unter den Bedingungen von Marktwirtschaft bedeutet, nicht unter Bedingungen der Staatsintervention. Das sind die Themen, bei denen sie sich verändern müssen. Aber das ist ein schwieriger Prozess, der sehr oft beinhaltet, dass jemand seine Arbeit verlieren, seinen Arbeitsplatz wechseln oder dass er umgeschult werden muss. Das hat mit sozialen und ökonomischen Bedingungen viel mehr zu tun als mit dem ethnischen Aspekt der Identität.

    Mazedonien hat von der EU einen Fragenkatalog bekommen, der derzeit Stück für Stück abgearbeitet wird. Dazu EU-Vertreter Maragos:

    Es ist wichtig, zu unterstreichen, dass es einen sehr dichten Zeitplan gibt. Politisch, auch ökonomisch für das Land. Das Land muss weiterarbeiten an der Umsetzung des Ohrid-Abkommens. Nur so kann Mazedonien stabil werden. Nur so geht es voran. Da führt kein Weg dran vorbei.

    Im Hinblick auf das Referendum über die Gemeindereform meint Maragos:

    Es ist Sache der Institutionen und des politischen Systems des Landes, interne Probleme, die sie hier vielleicht haben, zu lösen. Das ist nichts, bei dem ein diplomatischer Beobachter oder die Europäische Union oder die Kommission kommt und sagt: Du musst das so oder anders machen. Da kommt es auf Vernunft und Einfühlungsvermögen an. Es gibt keinen anderen Weg. Der Dezentralisierungsprozess ist ein wesentlicher Teil der Einführung des Ohrid-Abkommens, und das beinhaltet, dass es umgesetzt werden muss. Das ist Teil unserer Agenda, das ist Teil der Agenda des Landes, um dichter an die Europäische Union heran zu kommen. Ich glaube nicht, dass es im Interesse des Landes ist und eines großen Teils der Bevölkerung, dass dieser Prozess stoppt.

    In der mazedonischen Regierung ist Radmila Sekerinska für die Mitgliedschaft in der EU zuständig. Auch sie ist, wie ihr Kollege Musa Xhaferi, stellvertretende Premierministerin. Allerdings ist sie Mazedonierin slawischer Herkunft.

    Ich glaube nicht, dass die Proteste unserer Bewerbung für die EU direkt geschadet haben. Aber wir haben an der Reaktion einiger Teile der Bevölkerung auf die Dezentralisierung gesehen, welche Sorgen sie haben. Aber wenn sich die Umsetzung des Ohrid-Abkommens verzögert, dann verzögern sich auch unsere Bemühungen in Richtung Europa. Insofern kann das ganze negative Auswirkungen haben.

    Sekerinska ist sich aber sicher, dass das Referendum für die Regierung positiv ausgeht.

    Bis zum Januar will die Regierung den Fragenkatalog der EU beantwortet haben. Sekerinska warnt aber davor, ein konkretes Datum für den Kandidatenstatus anzusteuern. Davor warnt auch Vasilis Maragos von der EU-Kommission. Die EU sei mit ihren eigenen Auswertungen auch noch nicht fertig, so Maragos.

    Wir müssen geduldig sein. Die Kommission erarbeitet seit drei Jahren Berichte über Mazedonien. Das Land hat eine Menge geleistet, aber auch noch viele Probleme. Das hat vor allem mit der Einführung des Rechtsstaates zu tun. Und es hakt mit der Wirtschaftspolitik. Aber das ist etwas, woran wir täglich mit unseren Freunden in den Institutionen, unter den Politikern und im Parlament arbeiten.

    Die Perspektive, der NATO und der EU beizutreten, eint die Mazedonier. Radmila Sekerinska gibt jedoch zu bedenken, auf eine positive Antwort der EU zu setzen, um das Land zu stabilisieren.

    Eine negative Antwort würde die Bereitschaft der politischen Eliten und der Bevölkerung verschlechtern, an die schmerzhaften und nicht sehr populären Reformen zu glauben. Sowohl im politischen, als auch im ökonomischen Bereich. Wir haben gesagt, dass wir das Ohrid-Abkommen implementieren, das die interethnischen Themen anspricht, wegen unserer eigenen inneren Sicherheit und unserer eigenen inneren Stabilität. Die Europäische Union als Ziel war immer verbunden mit dem Ohrid-Abkommen, und das war auch hilfreich. Die Leute können sagen, dass es vielleicht schmerzhaft für sie ist, aber vielleicht bedeutet die Einführung des Ohrid-Abkommens auch mehr Geld für die Gemeinden durch die Dezentralisierung des Landes, eine gerechtere politische Vertretung, und sie können ihre Sprachen sprechen. Solche Vereinbarungen sind teuer. Aber, auch wenn wir Geld und Energie in diese Probleme investieren, wird es sich auszahlen, denn schließlich ist unser Ziel, Mitglied der Europäischen Union zu sein. Das wird die Dividende sein für alle Investitionen, die wir heute machen.....Erst muss man selbstbewusst sein und grundsätzlichen Optimismus haben, um die schmerzhaften Veränderungen und Reformen zu verkraften. Wenn man zurückschaut (...) dann sieht man allerdings, dass unsere Bürger viele Gründe haben pessimistisch oder zumindest frustriert zu sein.

    Sekerinska verweist auf die Probleme, die es Mitte der 90er Jahre mit Griechenland gab. Griechenland beanspruchte den Namen Mazedonien für eine Provinz im Norden des Landes. Der Streit und die Folgen hätten Mazedonien zurückgeworfen, gerade in der Phase, in der andere ost- und südosteuropäische Transformationsländer ihre schmerzhaftesten Reformen auf den Weg gebracht hätten, so Sekerinska.

    Doch was passiert, wenn die Regierung mit dem Referendum scheitert? Ministerpräsident Hari Kostov hat für diesen Fall bereits seinen Rücktritt angekündigt. Musa Xhaferi, stellvertretender Premierminister von der albanisch-mazedonischen Partei BDI, will sich darauf nicht einlassen. Es sei noch Zeit genug, um für die Reform zu werben.

    Das ist zu hypothetisch Und wir haben gleiche Zeit, was jetzt die Gegenparteien haben, um für das zu engagieren. Wir haben mehr Projekte, mehr Pläne, mehr getan, und ich glaube unsere Bürger werden verantwortungsbewusst sein. Mehr Gewicht würde ich geben bei der Versöhnung, als bei der politische Abkommen, Ohrid Abkommen. Weil wir haben es frühzeitig den Konflikt zu stoppen und einem politische Prozess eine Chance zu geben. Und wir haben gut gefunden, seit drei Jahren keine Konflikt zu haben. Jeder gesunde Mensch würde sagen: nein, wir dürfen nicht zu dem Gesetz 1996 zurückzukommen. Das ist Vergangenheit, das war keine Lösung. Selbst wenn damals war eine Lösung, kann nicht nach zehn Jahren Lösung für unsere Perspektive. Wir sollen orientieren uns nach 2006, wann wir erwarten eine Einladung zu Nato-Mitgliedschaft, dann wir haben eine gute Perspektive als Land hier als Kandidat zu werden in den nächsten Jahren.