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Zentren unter Wasser

Biologie. - Korallenriffe sind für ihre Artenvielfalt berühmt, aber bisher war unklar, woher der immense Reichtum an Arten kommt. Ein Berliner Forscher hat nun über eine Million Fossilien ausgewertet, die ältesten rund 540 Millionen Jahre alt, und herausgefunden: das System Riff schafft sich seine Vielfalt selbst.

Von Katrin Zöfel | 22.01.2010
    Ein kleines, zweckmäßig eingerichtetes Büro im obersten Stockwerk des Naturkundemuseums Berlin. In den Regalen an den Wänden: fossile Trilobiten, Muscheln und – Korallen. Sie sind die Forschungsgrundlage von Wolfgang Kiessling. In seiner neuen Arbeit, deren Ergebnisse nun im Wissenschaftsmagazin "Science" nachzulesen sind, fragte der Paläontologe:

    "Woher kommt die Artenvielfalt in den Riffen, diese gigantische Artenvielfalt? Sind Riffe nur attraktiv für viele Arten, die von außen dann einwandern, oder steckt da auch Evolution dahinter, das heißt, entstehen Arten auch bevorzugt in den Riffen?"

    Nur mit Beobachtungen in heute lebenden Riffen, lässt sich diese Frage nicht beantworten. Evolution läuft für menschliche Maßstäbe zu langsam ab, deshalb nutzen Evolutionsforscher, was Fossilien über die Entwicklung des Lebens aussagen. Gerade Riffe liefern gute Zeugnisse:

    "Hier haben wir zum Beispiel ein fossiles Riff, etwa 200 Millionen Jahre alt, da sehen Sie eben sehr schön, wie gut solche Korallenriffe überliefert werden. Sie sehen hier unten große Stockkorallen, Und dann feine, ästige Korallen."

    Die Daten solcher Versteinerungen hat Wolfgang Kiessling in einer Datenbank zusammengetragen, insgesamt von rund einer Million Fundstücken aus wissenschaftlichen Sammlungen weltweit. Neben Korallen sind darin alle Tiergruppen vertreten, die einigermaßen sesshaft lebten und eine harte Schale oder Skelett hatten, die mit der Zeit versteinern können. Über 540 Millionen Jahre kann der Wissenschaftler so in der Evolutionsgeschichte zurückschauen.

    "Wir haben die Riffe verglichen mit anderen, tropischen Flachwasser-Lebensräumen, die also durchaus von allen anderen Parametern her vergleichbar sind mit Riffen, außer eben, dass sie keine dreidimensionale Struktur bilden, sondern eben flache Böden sind."

    Das Ergebnis: 50 Prozent mehr neue Gattungen entstehen in Riffen als außerhalb. Solche Muster der Artentstehung sind dem Wissenschaftler nicht neu.

    "Wir haben das ganz große Muster, tropisch versus extratropisch, das heißt, dass höhere Artentstehung ist als außerhalb der Tropen. Wir haben auch höhere Artentstehung im Flachwasser als im Tiefwasser. Und wir haben eine Substratabhängigkeit: haben wir ein kalkiges Substrat, dann ist dort eine höhere Artenstehung zu beobachten als in Sand oder Ton."

    Warum nun gerade in Riffen mehr neue Lebensformen entstehen, darüber lässt sich bisher nur spekulieren. Die kleinteilige räumliche Aufteilung, könnte eine Erklärung liefern.

    "Praktisch diese vielen kleinen Hohlräume, die Nischen, die es da gibt, die es den Arten erlauben, auf engstem Raum zusammenzuleben. Das kann evolutionär Konsequenzen haben, dass wir eben leichter Populationen voneinander abtrennen, das ist ja der erste Schritt zu einer neuen Art."

    Die Riffe sind eine Quelle der Artenvielfalt, sogar für andere Lebensräume. Viele Muscheln oder Schnecken tauchen dort zum ersten Mal in der Evolutionsgeschichte auf. Von dort sind die Organismen dann in andere Ökosysteme ausgewandert. Das heißt:

    "Wenn wir Riffe verlieren, verlieren wir dieses Potential, neue Arten entstehen zu lassen."

    Gibt es weniger der Unterwasserformationen läuft der Evolutionsmotor der Erde schwerfälliger. Ausgestorbene Arten werden langsamer durch neue ersetzt. Und Wolfgang Kiesslings Arbeiten belegen noch etwas: Riffe reagieren heftig und dauerhaft auf Veränderungen ihrer Umwelt. Gleich mehrfach waren sie in der Erdgeschichte fast völlig verschwunden. Der Blick Millionen Jahre zurück zeigt:

    "Natürlich werden sich Riffe wieder erholen, die Frage ist halt nur, wie lange das dauert. Und wir müssen damit rechnen und wir sehen auch im Fossilbericht, dass so etwas durchaus zehn Millionen Jahre dauern kann. Und das ist eine lange Zeit, selbst für uns Geologen."