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Zerbrechliches Biotop

Früher war es hier in diesem Bereich komplett voll mit Perlmuscheln. Wir haben hier also früher das Zehn- oder Hundertfache gezählt. Wir stehen jetzt hier nur vor Restbeständen. Hier waren früher vielleicht auf einem Meter 1000 oder fast 2000 Muscheln und heute finden wir hier an einem Meter Bachstück im Normalfall vielleicht noch 5 oder 10 Muscheln.

Von Susanne Lettenbauer |
    Der Zinnbach direkt an der Grenze zu Tschechien, 20 Kilometer von der oberfränkischen Stadt Hof entfernt, ist knapp einen Meter breit, am niedrigen Uferrand wachsen schmale Buchen, das Wasser ist glasklar. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man die großen, grauen Muscheln im Bachbett, die halb geöffnet das Wasser durch ihren Muskelkörper filtern. Hügelaufwärts stehen ein paar Zeburinder, dahinter leuchtet ein Rapsfeld. Eine Idylle würde der Städter sagen, die Vertreter vom Wasserwirtschaftsamt Hof sehen dagegen nur Probleme: Die Rinder, die vor einer Weile im Bach herumliefen, die Gülle, die vom Rapsfeld direkt in den Bach läuft und die uneinsichtigen Jungbauern, die aufgrundes fehlenden Uferstreifengesetzes in Bayern bis ans Ufer düngen, mähen, Drainagen legen oder Koppeln bauen. Außerdem versauert das Bachwasser in regenarmen Zeiten, woran auch die einzig auf Fichten augerichteten Privatforste hinter dem Rapsfeld ihren Anteil haben.

    Da hilft kein auch noch so langsames Wegkriechen, also schließen sich die Muscheln.
    Wenigstens das Abwasserproblem hat Franz Zwurtschek, der Umweltreferent des Wasserwirtschaftsamtes Hof, in seinem Gebiet mittlerweile im Griff. Mit Hilfe einer kostspieligen Trennkanalisation von Regenwasser und Abwasser, der Öffnung von Drainagen und dem Anlegen von Aufzuchtgräben versucht er zu verhindern, dass die Muscheln durch Sauerstoffmangel absterben:

    Das ist zum einen, dass wir Abwasser von den Gewässern komplett fernhalten. Dieses Projekt wird bereits umgesetzt mit einer Höchstförderung von 85% von Seiten des Freistaates Bayern insbesondere im Bereich der Stadt Rehau. Und zum anderen: Ein anderer wesentlicher Schwerpunkt ist, dass wir die Sedimente, die Feinteile aus den Gewässern verringern wollen, also dass weniger eingetragen wird und in diesem Zusammenhang renaturieren wir auch zahlreiche Seitengewässer und halten auch Abwässer aus den Seitengewässern fern.

    Anders als die Naturschützer verfügt Zwurtschek über erstaunliche Fördergelder. 13 Millionen Euro kommen aus Landes-, EU- und Bundesfördertöpfen. Seit einer großangelegten, internationalen Tagung vor 4 Jahren kümmern sich gut 40 Deutsche und Tschechen um die praktische Arbeit vor Ort: um künstliche Vermehrung, um die Gespräche mit den Bauern und die Koordination der Wasseranalysen sowie vor allem um - Bodenproben. Denn das größte Problem ist das verfestigte Bachbett, das Sediment, so Biologe Ralf Pongratz von der Regierung Oberfranken:

    Die Flussperlmuscheln leben die ersten 5 Jahre im Sediment und brauchen in der Zeit Sauerstoff und Nahrung und wenn das Lückensystem verstopft ist, kommt also diese Nahrung nicht mehr zu den Muscheln hin, sie müssen verhungern und erreichen nicht das Erwachsenenstadium.

    Es gibt zwar extra Sedimentationsbecken, wo sich die winzigen Jungmuscheln, nachdem sie als Eier von der Muschel ausgestoßen wurden und einige Monate in Wirtsfischen, jungen Bachforellen, zu Larven herangereift sind, eingraben können. Da die Flussperlmuscheln aber nur in kalkarmen Gewässern vorkommen, ihre Schale deshalb nur rund 2 mm im Jahr ähnlich Baumringen wächst und sie erst nach 6 Jahren mit bloßem Auge erkennbar sind, steht der eilfertige Mensch hier vor dem größten Problem. Forschungen, wie und ob sich Veränderungen wie die angelaufene Umwandlung der Fichtenmonokulturen in Mischwälder oder die Stillegung von Flächen auf die Muscheln auswirken, müssten sich mindestens über 10 Jahre hinziehen.

    Außerdem erinnern die zu diesem Zweck vom Wasserwirtschaftsamt Hof aufgekauften Kleinstflächen entlang der Bachläufe noch immer zu sehr an einen Flickenteppich, der nie zu einer Fläche zusammenwächst. Eigentlich müssten alle Bewohner rings um die Flussperlmuschelbestände wieder ein Bewusstsein für ihr einstiges Landschaftssymbol entwickeln, so der Wunsch der Experten. Denn als Alternative die Flussperlmuscheln umzusetzen und anderswo anzusiedeln, geht nicht so einfach, erinnert der Biologe:

    Das könnte man schon, aber da steht jetzt auch der Artenschutz wieder dagegen. Es gibt ja Untersuchungen von Muscheln aus verschiedenen Bächen und man sieht, dass die alle verschiedene Chromosomensätze haben bzw. verschiedene Erbmerkmale. Und dadurch kann man also die Muscheln differenzieren. Das sind eigenständige Rassen.