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Zeremonie für die Gerechten

Die Franzosen haben in Paris einen Tempel für ihre Helden. Im Pantheon finden seit dem 18. Jahrhundert die großen Bürger der Nation ihr letzte Ruhe. Rousseau, Voltaire, Zola und die Physiker Curie sind dort unter anderem beerdigt. Nun wird dort gleich auch eine Gedenktafel enthüllt für die rund 2700 Franzosen, die in den Jahren zwischen 1940 und 1944 ihre jüdischen Landsleute versteckten oder auf andere Weise halfen, sie vor der Deportation zu bewahren.

Jürgen Ritte im Gespräch |
    Christoph Schmitz: Jürgen Ritte in Paris, Jacques Chirac und französische Erinnerungskultur stehen in einem engen Zusammenhang, warum?

    Jürgen Ritte: Jacques Chirac will offenbar in die Geschichte eingehen als der Kanzler, der die Franzosen mit sich selbst im Reinen lässt. Das hat angefangen kurz nach seinem ersten Amtsantritt im Juli 1995, als er als erstes französisches Staatsoberhaupt nach dem Kriege eine französische Mitschuld und Mitverantwortung für das eingestand, was französischen Juden von Franzosen in der Zeit der deutschen Besatzung, eben von 1940 bis 1944, angetan worden war. Das hatten seine Vorgänger inklusive Francoise Mitterrand, der sozialistische Staatspräsident, immer abgelehnt, sie haben gesagt, das war eine Geschichte des Vichy-Regimes von deutschen Gnaden, damit war die französische Republik nicht zu behelligen. Jacques Chirac hat das damals, 1995, erstmals getan, und zwar an einem mit sicherem Gespür gewählten Datum, am 16. Juli 1995, das war der Tag, der 16. Juli 1942, an dem die französische Polizei annähernd 13.000 Juden in einen Sportpalast, ins Vélodrome d’Hiver getrieben hatte, vertrieben hatte und dann abtransportiert hat Richtung Deutschland. Jetzt kommt das Komplementärstück, jetzt ehrt er die Franzosen, die Juden gerettet haben, und das entspricht ganz seiner Auffassung, glaube ich, von seiner Präsidentschaft, also ein Versöhnen Frankreichs mit seiner Geschichte.

    Schmitz: Wie ist denn dieses Erinnern an die Deportation der Juden mit französischer Hilfe und auch die "Aktion der Gerechten" in Frankreich diskutiert worden, 1995 und auch jetzt?

    Ritte: Also 1995 hatte das zur Folge, dass gleich eine Fondation pour la Mémoire de la Shoah, also eine Stiftung zum Gedenken an die Shoah gegründet wurde, der saß dann gleich Simone Veil vor, und Simone Veil ist auch diejenige, auf die der Vorschlag, die Gerechten im Pantheon, also in der Heimstätte der großen Männer und Frauen Frankreichs, und das sind nun wahrhaft große Männer und Frauen gewesen, diese Gerechten zu ehren.

    Schmitz: Wie viele Lebende gibt es noch von diesen Gerechten?

    Ritte: Man sagt ungefähr 200, aber wenn man 200 sagt, geht man eben von den etwa 2700 aus, die bekannt sind, von denen Sie eben gesprochen haben. Es sind möglicherweise, es sind sogar sehr sicher viel mehr Menschen, die aber nicht darauf Wert gelegt haben, in irgendeiner Weise in einer Liste der Gerechten aufzutauchen. Dieser Titel der "Gerechten unter den Nationen" wird ja verliehen von der Gedenkstätte des Holocaust in Jad Vashem in Jerusalem, und das ist sozusagen die französische Außenstelle dieses Gedenkortes, die diesen Titel verleiht. Viele Franzosen haben darauf keinen Wert gelegt.

    Schmitz: Was hat sich verändert in der französischen Erinnerungskultur insgesamt in den letzten zehn Jahren?

    Ritte: Was sich verändert hat, ist, dass Frankreich, angeregt sehr oft von Jacques Chirac, bereit war, sich seiner Vergangenheit zu stellen, das offizielle Frankreich war bereit sich zu stellen, französische Historiker haben schon lange darüber gearbeitet, was alles im französischen Namen geschehen ist zwischen 1940 und 1944 und danach. Für Jacques Chirac ging es darum, zum einen eben das Anerkenntnis einer französischen Mitschuld für die schwarzen Jahre der Okkupation. Es ging für ihn aber auch um Sklaverei, und auch da hatte Frankreich sich in der Vergangenheit nicht immer mit Ruhm bekleckert, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuerkennen, und es ging auch darum, das haben wir im letzten Jahr ja auch hier an dieser Stelle besprochen, es ging ihm auch darum, den Beitrag der maghrebinischen und schwarzafrikanischen Kolonialsoldaten zur Befreiung Frankreichs im zweiten Weltkrieg anzuerkennen. Das ist im letzten Jahr, wie gesagt, noch einmal passiert. Also es geht Jacques Chirac darum, französische Schuld anzuerkennen, damit die verschiedenen Komponenten, aus denen sich die französische Gesellschaft, diese bunte französische Gesellschaft zusammensetzt, in die französische Gesellschaft mit herein zu nehmen, aber auch gleichzeitig, das ist die Bedeutung des Aktes heute, aber auch gleichzeitig darauf hinzuweisen, seht her, wir waren nicht immer auf der Schurkenseite, und die Résistance und alle diese Dinge sind nicht nur eine Episode, das ist auch Frankreich, das ist die Ehre unseres Landes.