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Zerfall einer Demokratie

Die Reichstagswahl im Juli 1932 war eine Richtungsentscheidung. Das Ende der Demokratie schien unausweichlich. Die Parteien am rechten und linken Rand kämpften um die Frage, ob Deutschland ein nationalistischer Führerstaat oder eine Räterepublik nach russischem Vorbild werden sollte. Mit Hilfe der reaktionären Konservativen gelang es der NSDAP, die Wahl für sich zu entscheiden.

Von Wolfgang Benz | 31.07.2007
    Der Untergang der Weimarer Republik hatte viele Ursachen. Reparationen und Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Fehlkonstruktionen in der Verfassung gehörten dazu. Wesentlich waren psychologische und emotionale Dispositionen der Bürger, die sich in Lager spalteten, zwischen denen keine Verständigung möglich war. Demokratie beruht aber auf der Fähigkeit zum Interessenausgleich, zum Kompromiss. Diese Fähigkeit, in Deutschland wenig geübt nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, war im Krisenjahr 1932 nicht mehr vorhanden. Die demokratische Mitte, Sozialdemokraten, Liberale und das katholische Zentrum, hatte längst keine Mehrheit mehr. Auf der Rechten fand die NSDAP Adolf Hitlers mit der radikalen Absage an die Demokratie zunehmend Anhänger. Linksaußen agitierte die Kommunistische Partei für eine Staats- und Gesellschaftsordnung nach sowjetischem Modell. Die Gegensätze wurden von paramilitärischen Organisationen auf der Straße ausgetragen. Die SA und der Rotfrontkämpferbund bildeten die Extreme rechts und links außen. Die Konservativen fanden sich im Stahlhelm, die Verteidiger der Republik marschierten im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Bei den Ratlosen, Verwirrten und Enttäuschten hatte der Demagoge Adolf Hitler den größten Erfolg. Er träumte im Juli 1932 von der Machtergreifung und dem Ende der Demokratie:

    "Über 13 Jahre hat das Schicksal den heutigen Machthabern zu ihrer Erprobung und Bewährung zugemessen. Das schärfste Urteil sprechen sie sich aber, indem sie durch die Art ihrer heutigen Propaganda das Versagen ihrer Leistungen selbst bekennen."

    Die Fäden zog ein politisierender General, Kurt von Schleicher, der Hitler zur Macht half in der Illusion, man könne ihn zähmen und für das konservative Ziel der Errichtung eines autoritären Staats benutzen. Dazu hatte Schleicher den Sturz des Kanzlers Brüning betrieben, als dessen Nachfolger am 1. Juni 1932 den Herrenreiter Franz von Papen installiert und Hitler versprochen, dafür zu sorgen, dass das SA-Verbot aufgehoben und der Reichstag aufgelöst werde. Von der zum 31. Juli 1932 anberaumten Reichstagswahl hofften er und seine Gesinnungsgenossen, sie werde der Rechten den Sieg über die verhasste demokratische Republik bringen. Reichskanzler von Papen, ein Werkzeug in der Pose des Staatsmanns, tat ein übriges, um den Rechten den Weg zu ebnen. Am 20. Juli 1932 entmachtete er die sozialdemokratisch geführte Preußische Regierung. Sie war das Bollwerk der Weimarer Republik gegen Radikale von rechts und links gewesen. Zur Rechtfertigung des Handstreichs beschwor Papen das Gespenst eines gewaltsamen Umsturzes, den die KPD, von der Preußenregierung angeblich toleriert, geplant habe:

    "Sie arbeitet seit Jahr und Tag mit allen Mitteln einer Zersetzung von Polizei und Wehrmacht. Sie versucht, mit den verschiedensten Methoden die Zerstörung der religiösen, sittlichen und kulturellen Grundlagen unseres Volkstums."

    Adolf Hitler, der sich brüstete, an der Spitze einer Bewegung zu stehen, die in zwölf Jahren von sieben Mitgliedern auf 13 Millionen gewachsen war, trat als Heilskünder, Ankläger und Erlöser auf. Seine Wahlkampfstrategie war atemberaubend modern: In einem "Freiheitsflug über Deutschland" wollte er möglichst viele Menschen persönlich erreichen. Der Einsatz des Flugzeuges machte mehrere Kundgebungen pro Tag möglich. Für diejenigen, die er bei Kundgebungen und Aufmärschen nicht erreichte, gab es eine Schallplatte, die, am 15. Juli 1932 aufgenommen, in acht Minuten die Quintessenz seines "Appells an die Nation" enthielt. Es waren Phrasen der Anklage, die durch Wiederholung an Eindringlichkeit gewannen:

    "Der deutsche Bauer verelendet, der Mittelstand ruiniert, die sozialen Hoffnungen vieler Millionen Menschen vernichtet, ein Drittel aller im Erwerbsleben stehenden deutschen Männer und Frauen ohne Arbeit und damit ohne Verdienst, das Reich, die Kommunen und die Länder überschuldet, sämtliche Finanzen in Unordnung und alle Kassen leer."

    Hitlers Verachtung des demokratischen Systems gipfelte keineswegs in Vorschlägen zu einer besseren Staatskonstruktion, sondern beließ es bei Anschuldigungen und Drohungen:

    "Nun, nach 13 Jahren, da sie alles in Deutschland vernichteten, ist endlich die Zeit ihrer eigenen Beseitigung gekommen. Ob die heutigen parlamentarischen Parteien leben, ist nicht wichtig, aber notwendig ist es, dass verhindert wird, dass die deutsche Nation vollkommen zugrunde geht."

    Am 21. Juli redete Hitler spätabends in Göttingen vor Zehntausenden. Der Beifall sei schwach gewesen, war in der lokalen Presse zu lesen, vielleicht lag es am strömenden Regen, gewiss nicht an der Botschaft Hitlers, am patriotischen Fanal:

    "Lösen Sie sich einmal los von ihren kleinen Empfindungen des Alltags, einmal los von den Interessen Ihres Standes und Ihres Berufs, einmal los aus Ihren vielleicht so lieb gewordenen Traditionen. Vergessen Sie einmal alles das, was Sie bisher vielleicht gefesselt hat, und erinnern Sie sich an das, was war, heute ist und sein wird und sein muss, nämlich an Deutschland. Denken Sie einmal nicht als Bürger, nicht als Bauer, nicht als Arbeiter, nicht als Angestellter und Beamter, nicht als Katholik und nicht als Protestant, einmal denken Sie als Deutscher und Sie wissen dann, was Sie zu tun haben."

    Hitler hielt diese Rede mehrmals täglich vor zahlendem Publikum, an vielen Orten. Er berauschte sich am Gebrüll seiner Anhänger, die wiederum trunken waren von seiner suggestiven Suada. Der Erfolg lag in der Inszenierung. Hitler zeigte sich erst nach langer Wartezeit, mit Marschmusik hielt er Einzug und stimulierte dann nationalistische Emotionen, verkündete nur Irrationales und bediente damit die Erwartungen und Hoffnungen an den politischen Heiland, der die Nation irgendwie aus ihrer ökonomischen, sozialen und psychischen Depression erlösen würde. Über Freiheit und Knechtschaft, über Volksgemeinschaft und ewige Werte ging Hitlers Monolog, in dem er ein neues, ein stolzes Deutschland versprach.

    Mit Appellen an den Verstand war gegen die nationalistischen Wallungen nur noch wenig auszurichten. Carl Severing, Spitzenpolitiker der SPD und bis Juli 1932 als Innenminister der starke Mann in Preußen, plädierte für politische Vernunft, für die parlamentarische Demokratie:

    "In dieser entscheidungsschweren Stunde wenden wir uns an den denkenden Deutschen. Wir apellieren nicht an die Leidenschaft, sondern an die Vernunft der Wähler. Wohl wissen wir, wieviel einfacher es ist, hungernde, verzweifelte Menschen mit dem billigen Trank leerer Redensarten und tönender Versprechungen zu berauschen. Wir verschmähen dieses Mittel. Unsere Werbung zielte stets darauf ab, den Menschen nicht dümmer, sondern klüger zu machen. So auch jetzt. Tatsachen sind nicht immer erfreulich. Wahrheit schmeckt manchmal bitter. Aber es ist ein Zeichen von politischer Nervenschwäche, wenn man statt nach Tatsachen nach Illusionen verlangt und der unangenehmen Wahrheit die verzuckerte Lüge vorzieht. Sicher, ein Volk das sechs Millionen Arbeitslose aufweist, gleicht einem Menschen, dessen Fiebertemperatur sich den 42 Grad nähert. Es ist nicht nur in seinen sozialen Grundlagen erschüttert, es befindet sich auch in einem moralischen und intellektuellen Zersetzungsprozess. Gleichwohl haben wir die unerschütterliche Zuversicht, dass man nicht umsonst den denkenden Deutschen aufruft. Er muss um so mehr die Besonnenheit sprechen lassen, als für morgen ein etwas abgewandeltes Schiller-Wort gilt "die Wahl ist kurz, die Reue lang."

    Im hölzernen Parteijargon der Kommunisten warb Wilhelm Pieck, Reichstagsabgeordneter und Mitglied des Zentralkomitees der KPD im Juli 1932 für eine Antifaschistische Aktion:

    "Werktätige in Stadt und Land, Männer, Frauen und Jungarbeiter! Die Kommunistische Partei Deutschlands ruft euch zur Antifaschistischen Aktion auf. Sie will alle Werktätigen zu gemeinsamem Kampfe gegen die Hungerpolitik der Papen-Regierung, gegen den Hitlerfaschismus und gegen die Tributssklaverei vereinigen. Der von der Papen-Regierung unternommene Raub der Unterstützungen für Erwerbslose und Sozialrentner, der neue Tributpakt, die Aufhebung des Verbots der arbeitermordenden Hitlerbanden, die Verständigungsversuche des Reichskanzlers Papen mit dem französischen Generalstab zum Kriege gegen die Sowjetunion beweisen, dass sie eine Regierung des allerschärfsten Hungerkurses, des Faschismus und des Krieges ist. Diese Papen-Regierung wird von der Hitlerpartei gestützt."

    Das Rezept zur Überwindung der Staatskrise, das Pieck unter Frontstellung gegen alle anderen Parteien, auch und gerade gegen die SPD, verordnete, war freilich nur für eine Minderheit attraktiv. Es enthielt ebenso wie der Appell der Rechten die Absage an die Demokratie:

    "Kämpft gegen Lohn- und Unterstützungsraub, entscheidet euch für den politischen Massenstreik, verhindert das geplante Verbot der KPD, werdet und werbt Mitglieder der Kommunistischen Partei. Ihr habt die Macht in Händen, wenn ihr einig seid zum revolutionären Kampfe. Weg mit der Papen-Regierung, nieder mit dem Hitlerfaschismus, nur eine Arbeiter- und Bauernregierung im Bunde mit der Sowjetunion ist der alleinige Ausweg. Darum hinein in die Antifaschistische Aktion!"

    Der Hauptangriff gegen die Republik von Weimar kam von rechts, vom Bündnis der Nationalsozialisten mit den Nationalen, die sich zur "Harzburger Front" zusammengetan hatten. Alfred Hugenberg, der Vorsitzende der konservativen Deutschnationalen Volkspartei, diffamierte mit der SPD und dem katholischen Zentrum den demokratischen Staat. Er brüstete sich mit dem Kampf der Reaktionäre gegen die Weimarer Republik und bot sich den Nationalsozialisten als Koalitionspartner an:

    "Unseren glühenden Nationalismus übertrifft niemand. Sozialisten sind wir nicht und werden es auch nicht werden. Wohl aber nehmen wir den Ehrentitel ‚Sozial’ für uns in Anspruch und lassen uns auch darin von niemandem übertreffen. Über allem Wirtschaftlichen steht uns der Staat und die Idee. Darum stellen wir auch in den Mittelpunkt unserer Pläne den Gedanken der Staatserneuerung. Das parlamentarische System hat vollständig versagt. Der Persönlichkeitswert und Führerverantwortlichkeit, die Grundlagen eines jeden gesunden Staatswesens müssen die Parlamentsherrschaft ablösen. Dem Parlament muss das Recht genommen werden, die Minister abzusetzen. Das Beamtentum sollte durch gründliche Reinigung von ungeeigneten Parteibuchelementen wieder zum Träger des Staatsgedankens werden. Die sicherste Gewähr für einen sauberen, starken und gerechten Staat liegt nach den Lehren unserer Geschichte im deutschen Kaisergedanken."

    Durch seinen Hass gegen die Republik wurde Hugenberg als einflussreicher Medienmogul, dem viele Zeitungen und Nachrichtenagenturen gehörten, und als Chef der bürgerlich-nationalistischen Partei mit besten Verbindungen zur Industrie und zur Hochfinanz, der von der Rückkehr der Hohenzollern träumte, zum Totengräber von Republik und Demokratie:

    "Die Deutschnationalen müssen durch diese Wahlen so stark gemacht werden, dass sie allein mit den Nationalsozialisten eine Mehrheit bilden können."

    Auch Reichskanzler von Papen, der den einen als Dilettant, den anderen als weit rechts stehender politischer Hasardeur galt, hielt am Vorabend der Wahl eine Rundfunkansprache an das deutsche Volk. Der parteilose Chef des "Kabinetts der Barone" rechtfertigte seine Politik als "notwendige Aufräumungsarbeit". Sein Aufruf zur Wahl war eigentlich unlogisch, denn Papen verwarf ja als amtierender Kanzler mit deutlichen Worten die parlamentarisch-demokratische Ordnung:

    "Der morgige Tag wird für die Zukunft unserer Heimat entscheidend sein. Das Deutsche Volk hat längst begriffen, dass der Notbau von Weimar der Entfaltung seiner reichen Kräfte und Fähigkeiten nicht gerecht wird. Es muss den Entschluss finden, seine Verfassung organisch auf den Wegen, die sie selbst dazu weist, auszubauen. Das Leben kann nie an toten Buchstaben erstarren, es verlangt Entwicklung, Fortschritt, verlangt gebieterisch die Zusammenfassung der besten Kräfte der Nation, um zu neuen Formen zu gelangen. Wenn diese Wahl einen Sinn hat, dann nur den, das Deutsche Reich so vielgestaltig und so wertvoll in allen seinen Gliedern neu und fester zu zimmern. Zu diesem Ziele will die Reichsregierung Führer sein. Und wenn ihr morgen wählt, so wählt für dieses neue große Deutschland. Für dieses Deutschland, das wir alle mit so heißem Herzen lieben."

    In der Wahl am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit 13,8 Millionen Stimmen und 230 Mandaten die stärkste Partei: Die Kommunisten steigerten sich von 77 auf 89 Sitze im Reichstag. Zusammen verfügten die Extremisten rechts und links jetzt über mehr als die Hälfte der Mandate. Auch wenn Reichspräsident Hindenburg sich noch weigerte, Hitler zum Regierungschef zu ernennen, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die NSDAP an die Macht kam. Schleicher versuchte sich selbst noch als Kanzler, nachdem Papen am 3. Dezember entlassen wurde. Die Republik lag längst in Agonie. Während Schleicher versuchte, die NSDAP zu spalten und ihren vermeintlich gemäßigten Flügel in eine Regierung ohne Hitler einzubinden, bereitete von Papen die Kanzlerschaft Hitlers vor. Von Papen und Hitler verständigten sich, Hindenburg wurde überzeugt. Der Intrigant Schleicher hatte in von Papen einen gelehrigen Schüler. Am 30. Januar 1933 hatte Hitler die Ernennungsurkunde als Kanzler in Händen. Die konservativen Feinde der Republik hatten ihm den Weg bereitet. Der 31. Juli 1932 war eine wichtige Station dieses Weges.