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Zero und seine Frau

Runde, organische Formen mit einem schrillen technologischen Kick, Lichtspiele, Lichtballette, Lichtskulpturen waren eine Spezialität des Künstlers Otto Piene, der als Professor für Umweltkunst nach Amerika berufen wurde, wo er heute - bald 80-jährig - lebt, wenn er nicht gerade in Düsseldorf ist. Der hat Otto Piene jetzt eine Ausstellung gewidmet - ihm und seiner Frau Elizabeth.

Von Carsten Probst |
    Der Besucher betritt einen dunklen Raum - und sieht sich umgeben von einer wahrhaft kosmischen Sphärenharmonie. Durch die kreis- und linienförmig perforierten Wände strahlt helles Licht; dahinter kreisen Lampen nach dem Takt einer Zeitschaltuhr, so dass sich gebrochene Lichtflecken lautlos und in verschiedenen Formen über Decken und Wände bewegen und immer neue Konstellationen miteinander eingehen. Schleierartige Gebilde führen Lichtertänze auf, und manchmal setzen sich dunkle Kugel- und Scheibenobjekte in Bewegung und lassen Endlosreihen von Lichtrastern über alle Flächen laufen.

    Dies ist durchaus so etwas wie ein kunsthistorischer Moment im Kunstverein Jena, auch für den Künstler selbst. Denn nicht oft konnte Otto Piene bislang sein berühmtes "Lichtballett" in dieser Geschlossenheit zeigen, das er in den sechziger Jahren konstruiert hat und das zweifellos zu den Hauptwerken der lichtkinetischen Kunst gehört.

    Otto Piene ist einer der letzten tatsächlichen Universalkünstler, auf den dieser Begriff noch zutrifft. Wie kaum ein zweiter deutscher Künstler seiner Generation verkörpert der 1928 im Westfälischen geborene Altmeister die Symbiose von Naturwissenschaft, Ingenieurskunst und Ästhetik: Er studierte Kunst und Philosophie. Mit der von ihm mitbegründeten Künstlergruppe ZERO trat er in den fünfziger Jahren an, einen neuen, von den klassischen Genres emanzipierten Kunstbegriff zu etablieren.

    Auf der documenta 1964 präsentierte er gemeinsam mit Heinz Mack und Günter Uecker bereits einen ersten Lichtraum. Kurz darauf erhielt Piene einen Ruf als Universitätslehrer in die USA, an die University of Pennsylvania, wurde 1968 jedoch zum Fellow am legendären Centre for Advanced Visual Studies am MIT in Cambridge berufen, dessen Leitung er später von Geörgy Kepes übernahm - jenem Geörgy Kepes, der damals seinerseits das Bauhaus im amerikanischen Exil weitergeführt hatte.

    Laszlo Moholy-Nagy als Gründer des "New Bauhaus Chicago" und Vorgänger Kepes' hatte schon lange vor der Emigration, in den zwanziger Jahren, seinen berühmten "Licht-Raum-Modulator" konstruiert, den Otto Piene später am MIT in mehreren Exemplaren nachbaute.

    Diese erste experimentelle Licht-Schatten-Maschine aus dem Bauhaus-Kreis war zugleich Vorbild für Pienes "Lichtballett", das sich als Referenz und ideelle Vervollkommnung von Moholy-Nagys Erfindung versteht. Herausgekommen ist eine universalistische Installation, in der Mathematik, Synästhesie und Metaphysik zu einer wunderbaren Einheit gelangen - wie sie in der Essenz so vieler anderer Projekte Pienes ebenfalls aufscheint.

    "Einige Leute sagen, ich hätte die Discobeleuchtung erfunden", kommentiert Otto Piene lakonisch seinen Lichtraum, was historisch sogar stimmen könnte. Leichter Spott steckt dahinter über die Kommerzialisierung jener Formexperimente, die einst vom Bauhaus ausgingen. "Das Wesentliche an diesem Raum ist die Stille", bekräftigt Piene seine Distanz zur Entertainment-Kultur, der er sich als Künstler und Wissenschaftler vollkommen fremd fühlt, obwohl seine Werke für den öffentlichen Raum, seine großen Leuchtkugel-Installationen, die Wind- und Wasserobjekte, künstliche Sterne und Illuminationen mitunter durchaus so missverstanden werden.

    Seine Frau, Elisabeth Goldring Piene, ist aus dem gleichen Holz geschnitzt, auch sie praktiziert die Grenzüberschreitung von Kunst und Wissenschaft in einer Selbstverständlichkeit, die in Deutschland mit seinen fakultativen Reinheitsgeboten immer noch ungewöhnlich wirkt. Am MIT hingegen forscht Elisabeth Goldring Piene als Poetin und Künstlerin seit langem an einer Sehmaschine für Blinde - sie selbst war infolge einer Diabeteserkrankung zeitweise völlig erblindet.

    Mit einem Laserophthalmoskop, wie es Augenärzte zur Diagnose einsetzen, und Computerprogrammen entwickelte Goldring Piene ein völlig neues Verfahren, um Erinnerungsbilder von Sehbehinderten zu visualisieren, sogenannte Retina Prints, die auf ihre Weise nicht weniger faszinierend und berührend sind als die wunderbaren Lichtkonstruktionen ihres Mannes. Dass beide hier gemeinsam ausstellen, ist eine schöne Premiere - fast möchte man sagen: der dritten Art.