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Zerredet, zerhackt, doch die Dornen bleiben

Die Öffentlichkeit wartet ja immer auf spektakuläre Enthüllungen, schon der Begriff Rosenholz klingt nach James Bond, deshalb sage ich immer, der größte Erkenntnisgewinn, den wir uns erhoffen, liegt auf der wissenschaftlichen Ebene.

Jacqueline Boysen |
    Marianne Birthler ist vorsichtig – oder realistisch. Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit der DDR hat im Juli die sogenannte Rosenholz-Datei in Empfang genommen – 381 CD Roms mit Daten über die West-Spionage des einstigen DDR-Geheimdienstes, die einen nicht lückenlos nachvollziehbaren Weg über die CIA und das Bundesinnenministerium genommen haben. Das Material komplettiert das unappetitliche Erbe von Erich Mielke und seinen Leuten in Berlin – womit Historikern aus der Behörde der Bundesbeauftragten wie Helmut Müller-Enbergs ein zentrales Hilfsmittel für die Suche nach Akten in die Hand gegeben wurde:

    Wir werden erstmals in der Weltgeschichte einen Nachrichtendienst vollständig rekonstruieren können. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir dann Spionage neu definieren müssen: es war der Nachrichtendienst eines diktatorischen Systems, aber gleichwohl wird einem breiten Publikum bewusst, daß das was anderes als im Fernsehen ist. Es ist also ein Erkenntnisgewinn, der weit über die klassische DDR-Forschung hinausgeht.

    Wie die schon vor Jahren wieder aufgetauchte Datenbank SIRA lenken auch die Rosenholz-Daten den Blick von der inneren Repression gegenüber DDR-Bürgern zur originären Spionage gegen den sogenannten "Klassenfeind" im kapitalistischen Ausland.

    Wir haben den Auftrag, die Struktur des MfS aufzuklären, auch mit Blick auf ihre Aktivitäten im Westen, dafür bieten Rosenholz und SIRA wichtige Quellen.

    Obgleich die Behördenleiterin zurückhaltend ist – unweigerlich machen wirkliche oder vermeintliche Enthüllungen Schlagzeilen. Der nicht immer aus lauteren Motiven betriebenen Recherche folgt allzu oft eine sensationslüsterne Hatz auf einstige Täter oder vermeintliche Kollaborateure – wobei der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe einerseits und der Stasi-Überlieferungen andererseits nicht immer übereinstimmen. Zudem weigert sich die Öffentlichkeit oft anzuerkennen, daß die Beschäftigung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit nicht allein Aufgabe der Ostdeutschen sein kann, so der Hallenser Psychologe Hans Joachim Maaz.

    Ich glaube, daß die Mechanismen so allgemein sind, daß fast jeder betroffen sein könnte, und das ist ein unangenehmer Befund, sollte nicht bekannt werden. Denn es ist besser mit dem Zeigefinger auf wenige zu zeigen, die sind die Bösewichter, die sind die Schlimmen, und man selbst, glaubt man, ist damit exkulpiert.

    Unmittelbar nach der Rückgabe der Rosenholz-Daten im Juli trafen erste Verdächtigungen den amtierenden PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen deckten sich mit längst Bekanntem: Bisky hatte Kontakte zur Staatssicherheit unterhalten, schuldhafte Verfehlungen indes sind ihm nach Aktenlage nicht anzulasten, Berichte fehlen. Anders gelagert ist der dieser Tage für Schlagzeilen sorgende Fall des Westdeutschen Günter Wallraff. Der einstige Enthüllungsautor habe als IM "Wagner" Informationen aus der DDR empfangen und anderes in den Osten geliefert. Später allerdings erschien er den Stasi-Führungsoffizieren unberechenbar und unzuverlässig, jedoch im Auge behielten sie ihn vorsichtshalber. Die Vorwürfe gegen Wallraff alias IM Wagner sind gleichfalls nicht neu, nun aber sind sie erhärtet. Hatte die Behörde unter Joachim Gauck noch eine Ehrenbekundung zugunsten des Gescholtenen abgegeben, so sah sich Marianne Birthler angesichts der jüngsten Funde zu einer Korrektur veranlasst.

    Unterlagen weisen Wallraff als IM aus, erfasst war er über einen langen Zeitraum, Hinweise für eine aktive Tätigkeit als IM finden sich über einen Zeitraum von drei Jahren.

    Wallraff selbst bestreitet, sich bewußt auf Handlangerdienste mit dem Geheimdienst eingelassen oder sich zur Mitarbeit verpflichtet zu haben. Dann wären Informationen aus Naivität oder politischer Opportunität geflossen. Da wird man jemanden wie Günter Wallraff, der beharrlich moralische Sauberkeit anmahnt, fragen dürfen, warum er sich von einem Unrechtsstaat instrumentalisieren ließ.

    Traf der gerechte, gelegentlich auch ungerechte Zorn der Öffentlichkeit früher Ostdeutsche, die aus Überzeugung, qua Amt oder auch unwissentlich als Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit in deren akribisch zusammengestellten Akten geführt wurden, so führen die Rosenholz-Dateien zu westdeutschen Mitarbeitern. Nach Berechnungen des Historikers Helmut Müller-Enbergs dürften zuletzt etwa 1500 Bundesbürger und Westberliner inoffiziell für die HV A, die Hauptverwaltung Aufklärung, tätig gewesen sein.

    Aber es war nicht die einzige Diensteinheit im Operationsgebiet Bundesrepublik, und also gehen wir von der Annahme aus, daß es nochmal 1500 bis 2000 sein könnten, also in der Summe zuletzt dreieinhalbtausend.

    Die Recherche ist deshalb so mühsam, weil die tapferen Tschekisten der DDR in der Wendezeit sorgfältig die Spuren ihres grenzüberschreitenden Treibens verwischt haben, so sind Akten geschreddert und Karteikarten der HV A aus der zentralen Registratur, der Klarnamenkartei F 16 sowie aus dem Vorgangsverzeichnis F 22 vernichtet worden. Das erklärt, warum unter dem rund 180 Regalkilometer umfassenden Schriftgut der Stasi-Unterlagen-Behörde nur wenig Material über die Auslandspionage der HV A zu finden ist. Und damit erklärt sich auch die Bedeutung der Rosenholz-Datei. Denn dem Vernichtungswahn entgingen allein 55 kleine Döschen mit Mikrofilmen, die sodann auf nicht nachvollziehbarem Weg den Machtbereich der HV A verließen. Besagte Mikrofilme zeigen mehr als 300 000 verfilmte Karteikarten und Statistikbögen, Namen von Spitzeln und ihren Opfern – mithin jene Informationen, die eigentlich unterschlagen werden sollten, erläutert Herbert Ziehm, Leiter der Akten-Auskunft in der Behörde.

    Sie sind insofern von großer Bedeutung, als sie eine Diensteinheit in einem anderen Licht jetzt erkennen lassen, die unter den Bedingungen von 1989 das Privileg bekam, sich selbst aufzulösen und das sehr rigoros machte. Dieses Bild wird jetzt vervollständigt. Damit erreichen wir Erkenntniszugewinn auch im Vergleich zu den anderen Hinterlassenschaften des MfS und damit wird die Sonderrolle, die sich Vertreter der HV A immer zuschieben, doch etwas korrigiert.

    Damit würde auch das Bild des mittlerweile zum 007 des Ostens stilisierten langjährigen Chefs der HV A, Markus "Micha" Wolf möglicherweise entmystifiziert. Noch freilich regt die Geschichte der HV A immer wieder die Tschekisten-Phantasie an – so kursieren auch über Rosenholz wilde Gerüchte. Selbst der Historiker Müller-Enbergs möchte nicht beschwören, daß nur die in den USA gelandeten Mikrofilme mit den HV A-Namen existieren. Schließlich gibt es doch einen, wie er sagt, "ziemlichen Markt für Informationen dieser Art". Zudem stellt sich den Historikern die Frage, wie authentisch heimlich herumgereichtes oder verhökertes Material ist. Sind die – mindestens durch die Hände der CIA gegangenen – Rosenholz-Daten möglicherweise sogar manipuliert?

    Diese These ist abstrus. Keinen Anhaltspunkt, weil die Überprüfungsinstrumente, die wir haben, sind nahezu kongenial und nicht beeinflußbar.

    Zum Verdruß der Forscher ist das Rosewood, zu deutsch Rosenholz, bezeichnete Datenkonvolut weder im Urzustand ins Archiv heimgekehrt, noch sofort zugänglich. In den USA wurde es in ein nächstes Speichermedium übertragen, leider sehr laienhaft, beklagt Ziehm

    Sie sind uns nicht als Filme, sondern in digitalisierter Form zurückgegeben worden. In einer Art CDRom. Damit man damit arbeiten kann, bei 270 000 müßte man immer wieder von vorn anfangen, gibt es ein Rechercheprogramm. Das Rechercheprogramm funktioniert aber nur so gut, wie die Daten dort eingegeben sind. Da die Amerikaner eine andere Tastatur haben und keine Umlaute kennen etc haben sie Ersatzlaute beschrieben. Dh. wir müssen Fehler bereinigen.

    Das Korrigieren und Konvertieren der Rosenholz-Datei wird frühestens im kommenden Jahr abgeschlossen sein, schätzt Herbert Ziehm, einst Mitglied im Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS. Obschon also das Geheimnis um die West-IM noch nicht völlig gelüftet ist – deutsche Strafverfolger haben bereits Honig aus Rosenholz saugen können:

    Die amerikanische Seite hat den Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik schon 1993 Einblick gegeben. Und über diesen Weg ist uns ja erst bekannt geworden, daß es offenbar Material in den USA gab, was dazu führte, daß der damalige Bundesbeauftragte Gauck auch unseren Anspruch nach dem Gesetz dafür reklamierte. Insofern ist die Rückführung ein Ergebnis der Strafverfolgung. Der Generalbundesanwalt hat immer zu verstehen gegeben, daß für ihn sozusagen ausrecherchiert ist, daß alle Quellen des MfS, alle Agenten bekannt sind.

    Bis 1997 hat der Generalbundesanwalt mehr als 7000 Ermittlungsverfahren in Fällen innerdeutscher Spionage eingeleitet, knapp 3000 der Beschuldigten waren Bundesbürger in Diensten der Stasi. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden 253 Westdeutsche wegen Spionage rechtskräftig verurteilt. Daß ein Großteil der Verfahren eingestellt wurde, zum Teil gegen immense Geldauflagen, spielte in der öffentlichen Debatte ebenso wenig eine Rolle. Dabei wäre allein die Erklärung, die der Generalbundesanwalt selbst für die – Zitat – "großzügige Einstellungspraxis" gab, durchaus bemerkenswert:

    In vielen Fällen schien es ungerecht, die Bundesbürger die häufig existentiellen Folgen der Spionage allein tragen zu lassen, während ihre Führungsoffiziere des MfS, die sie nicht selten unter Ausnutzung persönlicher Zuneigung oder menschlicher Schwäche in strafbare Verstrickung geführt hatten, straffrei blieben.

    So unbefriedigend das Ergebnis angesichts der großen Zahl moralisch oder rechtlich zweifelhafter Handlungen scheinen mag: die juristische Aufarbeitung der Machenschaften der HV A – auch im Bezug auf die Wirtschaftsspionage und das Ausspähen von Technikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern, die immerhin etwa 40% der Aufmerksamkeit der HV A auf sich zogen – die juristische Aufarbeitung ist im Wesentlichen abgeschlossen. Die Stasiakten dienen nun zum einen noch der historischen Aufarbeitung, zum anderen der schwierigen Rehabilitierung der Opfer der Diktatur. Zudem besteht die gängige Überprüfungspraxis für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst weiter. Sollten sich anhand der Rosenholz-Datei nun zum Beispiel Parlamentarier – auch jene aus dem Westen – von Frau Birthler eine Unbedenklichkeitsbestätigung ausstellen lassen?

    Ich bin zurückhaltend mit Empfehlungen. Wir können ja nur überschlagsweise sagen, daß eine gehörige Anzahl von DDR-Bürgern genannt sind, in diesen Fällen sind die Informationen bei früheren Überprüfungen in den Ämtern noch nicht einbezogen, oder wie viel Beschäftigte darunter sind. Ich würde gern, bevor ich Empfehlungen ausspreche, hier noch ein bißchen warten.

    Bei ihren eigenen Mitarbeitern indes legt die Behördenchefin offenbar strengere Maßstäbe an als bei gewählten Abgeordneten:

    Ich selbst werde in meiner Behörde, wenn wir die Daten abglichen haben, unser Personal nochmal überprüfen lassen, um uns nicht vorwerfen zu lassen, daß unsere Mitarbeiter nicht vertrauenswürdig sind.

    Marianne Birthler hat derzeit ohnehin andere Sorgen – nicht die Spitzel, sondern ein Bespitzelter ist es, der ihre Aufmerksamkeit fordert. Noch in diesem Monat wird der wohl prominenteste Fall eines Westdeutschen, der einst im Fadenkreuz der Staatssicherheit stand, abermals ein Gericht beschäftigen: Helmut Kohl wehrt sich seit drei Jahren gegen die Herausgabe jener Akten, die über ihn als Betroffenen zusammengetragen wurden. Etwa ein Drittel des Materials – befand einst der Bundesbeauftragte Joachim Gauck – sei nach dem Gesetz Forschern oder Journalisten zugänglich zu machen. Der Alt-Kanzler dagegen beruft sich auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Persönlichkeitsschutz und Immunitätsrechte. Kohl ließ die Aktenherausgabe gerichtlich untersagen.

    Die Bundesbeauftragte steht wie ihr Vorgänger auf dem Standpunkt, daß das weltweit einmalige Stasi-Unterlagengesetz auch in seiner neuen Fassung sie sehr wohl ermächtigt, Kohl als Person der Zeitgeschichte auch im Lichte der Stasi zu zeigen und betreibt eine sogenannte Abänderungsklage über die noch in diesem Monat entschieden wird:

    Wir hatten festzustellen, ob bei neu eingehenden Anträgen zu Helmut Kohl nach der neuen gesetzlichen Grundlage verfahren wird oder ob in diesem Einzelfall das letztinstanzliche Urteil in Sachen Kohl, das ja die Herausgabe sämtlicher ihn betreffender Unterlagen verbietet, weiter gilt. Da haben wir mehrere Juristen aus unserem Hause und auch andere konsultiert und keine eindeutige Haltung festgestellt. Und dann hab ich den Weg gewählt und nicht selbst entschieden, sondern das Gericht gebeten, in dieser Frage Klarheit herzustellen.

    Die Privatsphäre schützt das novellierte Gesetz, ebenso wahrt es die Rechte Dritter, von Familienangehörigen oder von Freunden. Und zwar in ausreichendem Maße, wie der Bürgerrechtler und Mitgründer des Demokratischen Aufbruchs, Ehrhart Neubert, heute gleichfalls Forscher in der Behörde mit dem sperrigen Namen und dem einmaligen Auftrag, befindet.

    Ich habe großes Verständnis für das Schutzinteresse von Helmut Kohl und das auch geäußert. Auf der anderen Seite ist es hinreichend durch das Gesetz gewahrt ist. Und ich hab die Befürchtung, daß er mit seinem gewichtigen Anliegen bestimmte Bereiche der Aufklärung erschweren würde. Ich wünschte mir, daß Kohl, der ja das Gesetz irgendwann mal unterschreiben hat und bestimmte Erfahrungen gemacht hat, diese Spannung sehen würde, die Novelle ist ja schon Kompromiß, daß die rechtliche Auseinandersetzung uns erspart bliebe.

    Daß ausgerechnet der Alt-Bundesbürger Helmut Kohl bereits zweimal vor Gericht die Herausgabe von Akten verhindern konnte, belastet die Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des Geheimdienstes. Allzu leicht entsteht der Eindruck, Westdeutsche, solche mit großem Einfluß zumal, würden sensibler behandelt, wenn es um die Veröffentlichung ihrer Opferakten, aber auch um IM-Berichte geht.

    Das hat die Abwertung des ostdeutschen Lebens verstärkt, daß das Leben im Osten das schlechtere, bemitleidenswertere, primitivere sei. Es ist schon sehr bald in der Diskusssion über die Stasiverstrickungen deutlich geworden für die Ostler, daß die Bedingungen so waren, daß sich andere Menschen aus dem Westen sich ebenso verhalten hätten. Das ist aber nie so zu ernsthaften Diskussion gekommen und das hat die Kränkung verstärkt, die Ostdeutsche sowieso nach der Wende erlebt haben.

    Hans Joachim Maaz, der zu Beginn der 90er Jahre eine Analyse des ostdeutschen Seelenlebens unter dem Titel "Gefühlsstau" veröffentlicht hat, beklagt die mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Diktatur einerseits und persönlicher Schuld andererseits. Der Bundesbeauftragten Marianne Birthler dagegen erscheint die historische Aufarbeitung, wie sie mit dem weltweit einmaligen Stasi-Unterlagengesetz ermöglicht wurde, als Erfolgsgeschichte:

    Die Menschen sind sehr besonnen mit der Wahrheit umgegangen. 33’00 In Einzelfällen in Medien auch Ausreißer, wo nur auf das Spektakuläre geachtete wurde, das gehört wohl dazu in der Demokratie, auch wenn es ärgerlich ist, aber insgesamt ist die Aufarbeitung eine Erfolgsstory gewesen. 33’30 ich glaube, daß sich der Fokus im Laufe der Jahre ändert. Natürlich haben sich in den ersten 10 Jahren Fragen nach Schuld, Verantwortung am schärfsten gestellt. Die Leute wollten wissen, was ist passiert mit mir, wer war es, die Eltern haben gesagt, ich will nicht, daß mein Kind in der Schule von einem ehem. Spitzel unterrichtet wird, daß in unseren Parlamenten ehemalige IMs sitzen. Das hat im Vordergrund gestanden, insofern große Debatte, weil die meisten dieser Leute auch geleugnet haben, versucht haben, sich aus der Affäre zu ziehen, jeder hat gesagt, ich war es nicht, fast jeder hat gesagt, ich war es nicht. 34’00 Das hat die Diskussion ja auch noch angeheizt, daß niemand offen mit dem umgegangen ist.

    In der öffentlichen Debatte um die Verfehlungen im Realsozialismus nehmen anstelle der Hauptamtlichen im MfS stets die Inoffiziellen Mitarbeiter eine zentrale Rolle ein. Dabei gerieten allerdings die Fragen nach dem individuellen Verhalten, nach Verantwortung und Moral jenseits der Parteidoktrin aus dem Blick, beklagt der Politologe Jochen Schmidt:

    Ganz banal ist zunächst mal schiefgelaufen, daß wir die falschen Begrifflichkeiten verwenden, vom Geheimdienst der DDR reden, eigentlich müßten wir von Geheimpolizei reden, man hat die Suche nach IMs auch zum Teil verwechselt: Es ging nicht um politische Verstrickung, sondern um Verstöße gegen Menschlichkeit, rechtsstaatliche Grundsätze, darum ging es bei der Überprüfung der IM-Tätigkeit. Aber was darüber vernachlässigt wurde, sind ganz klar die politischen Verantwortlichkeiten. Die gerieten aus dem Blick. Die SED war Auftraggeber der Staatssicherheit, Schild und Schwert der Partei, nicht des Staates.

    Nicht das einzige, woran die Auseinandersetzung bis heute krankt, befindet Jochen Schmidt, stellvertretender Landesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit in Mecklenburg-Vorpommern: O-TON 23 Schmidt Wenn es um die Aufarbeitung so einer Geschichte geht, dann geht es nicht schmerzfrei, wenn man einen IM findet, dann ist das mit Schmerzen verbunden: eine Aufarbeitung light wird es nicht geben. Das zeigen alle historischen Erfahrungen.