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Zerreißprobe Referendariat

Den Start des Referendariats erleben viele Lehramtsstudenten als Praxisschock. Nahe liegend scheint da die Idee der jüngst aus dem Amt geschiedenen Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ute Erdsiek-Rave, die Studenten auf ihre "emotionale Stabilität" hin testen zu lassen.

Von Caroline Neider | 22.01.2007
    "Also, es vorher rauszufinden, wäre natürlich toll. Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass man es mit einem Test erreichen kann. Auch ich habe mir vorher Gedanken gemacht, ob ich es wirklich kann. Also in meinen Augen müssen die Leute einfach ein halbes Jahr vor Schülern unterrichten, und das ist der einzige Test, der möglich ist."

    Joachim Neumann spricht aus, was viele denken: Ein Eignungstest für Lehramtsanwärter klinge gut, doch die Realität sei meist viel härter als jeder Test. Außerdem, fügt der Referendar für Mathe und Physik am Albert-Einstein-Gymnasium in München hinzu, gebe es die größte Zerreißprobe bereits: das Referendariat.

    "Diese zwei Jahre sind eine nervliche Probe. Also, da wird geguckt, wie belastbar bist Du? Das wird auch bis zur Grenze ausgetestet. Und, wer das nicht schafft, der geht freiwillig. Also, ich glaube, dass da keiner sagt, ah, ich beiß jetzt mal den Hintern zusammen. Also wenn er wirklich nicht mehr kann, hört er auf."

    Nina Rechholtz hat nicht aufgegeben. Die 25-Jährige unterrichtet Geschichte, Deutsch, Kunst und Sozialkunde an einer Hauptschule. Im Februar beginnen ihre Abschlussprüfungen, nach den Pfingstferien hat sie das Referendariat überstanden. Doch die Zeit war hart.

    "Sehr stressig, arbeitsaufwendig, wenig Privatleben in den zwei Jahren. Und an die Grenzen gehend, sag das mal so. Im ersten Jahr ist es auch so, dass man sich ziemlich ins kalte Wasser geschmissen fühlt, weil man vom Studium her sehr theoretisch die Sachen vermittelt bekommt, und dann ist man hier in der Klasse mit vielleicht auch schwierigen Schülern und weiß eigentlich gar nicht, wie man ad hoc jetzt handeln soll."

    Den Praxisschock, den die junge Lehramtsanwärterin aus Nürnberg beschreibt, beobachtet Stefan Erhard schon seit Jahren. Der kumpelhafte Seminarlehrer für Deutsch begleitet Referendare seit neun Jahren am Münchner Wittelsbacher Gymnasium bei ihren ersten Schritten vor der Klasse.

    "Der Praxisschock ist auf jeden Fall da, wenn es zum einen darum geht, wie kann ich das, was ich pädagogisch gelernt habe von der Universität, dann auch tatsächlich umsetzen? Wie stehe ich da vorne einzeln und sitze nicht mehr hinten drin und hör nur noch zu. sondern ich bin jetzt der- oder diejenige, die den Unterricht organisieren, die hier alles am Laufen halten oder eben auch nicht."

    Den Respekt der Schüler zu verlieren, kann für den Betroffenen zum Albtraum werden. Unterstützung ist dringend notwendig, doch nicht immer sind die Betreuer der etwa 47.000 Lehramtsreferendare bundesweit so gute Zuhörer wie vielleicht Stefan Erhard. Sein junger Kollege Jürgen Bulla hat an seine Ausbildungszeit keine sehr gute Erinnerung:

    "Also, ich hab sie nicht als sonderlich angenehm erlebt. Ich habe ein bisschen Probleme damit gehabt, dass man von vornherein die Erwartung hatte an uns Referendare, man müsse vom ersten Tag an eigentlich alles beherrschen, wo doch eigentlich die Idee des Referendariats ist, dort das Unterrichten zu lernen innerhalb von zwei Jahren. Und das habe ich nie ganz begriffen, warum ich da keine Schonfrist habe."

    Eine mögliche Schonfrist würde beispielsweise durch eine mehr praxisorientierte Ausbildung während des Studiums geschaffen. Seminarlehrer Stefan Erhard kann sich das gut vorstellen:

    "Ich sehe schon den Handlungsbedarf, weil ich denke, dass man nicht so diese scharfe Trennung haben sollte zwischen dem, was theoretisch an der Universität gelehrt wird, und dem, was dann in der Praxis tatsächlich davon zu verwenden und zu gebrauchen ist. Und ich habe jetzt auch gelesen vor kurzem, dass es in Berlin jetzt schon so ein Modell gibt, wo man das erste Halbjahr dieser zwei Jahre Referendarsausbildung in die Universität noch mit hinein verschiebt, finde ich eine sehr schöne Lösung."