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Zerrissen zwischen Tradition und Moderne

Es ist ein Dauerbrenner bei Olympischen Spielen: der Umgang mit den Ureinwohnern des Veranstaltungsortes. Ob 2000 in Sydney oder nun, 2010, in Vancouver, dem Ausrichter der Winterspiele. Die kanadische Stadt will sich als weltoffene und integrative Stadt präsentieren - doch nicht alle Ureinwohner glauben an diesen Ansatz.

Von Luise Wagner |
    Wenn am 12. Februar in Vancouver die Olympischen Winterspiele eröffnet werden, will sich die Provinz British Columbia von ihrer besten Seite zeigen. Vancouver soll als weltoffene und im Umgang mit den Ureinwohnern integrative Stadt präsentiert werden. Erstmals dürfen die regionalen Indianerstämme - politisch korrekt First Nations oder Natives genannt - beim Marketing der Olympischen Spiele mitmischen.

    Das war zu den olympischen Spielen vor 22 Jahren in Calgary noch anders. Was bis in die 80er-Jahre verboten war, gehört nun zu Kanadas offiziellem kulturellen Erbe: Totempfähle, Musik, Tänze und Kunst der Ureinwohner der Westküste sind Teil von Vancouvers olympischem Eventdesign.

    Die 1014 Olympiamedaillen von Vancouver sind das stolze Werk der First Nations-Künstlerin Corinne Hunt. Die Designerin stammt von den Tlingit ab, ein Küstenvolk, das von Vancouver Island bis hinauf nach Alaska in Reservaten vom Fischen lebt. Vancouvers olympische Medaillen sind etwas wirklich Besonderes: Alle Medaillen tragen Elemente animistischer Vorstellungen - Muster eines Orka, des Killerwales, zieren die Goldmedaillen und ein Rabe die Silbermedaillen:

    "Ich komme aus Alert Bay von Vancouver Island, was so viel wie 'Heimat der Orkas' heißt. Die Wale haben mich schon immer inspiriert: ihre Art, sich als Gruppe im Ozean zu bewegen, ihre Stärke und Schönheit. Besonders fasziniert mich, wie sie sich als Gemeinschaft organisieren und sich sozial verhalten. Mir gefällt der Gedanke, dass jeder Athlet bei Olympia zwar für sich allein kämpft, aber doch an einer großen Sache teilnimmt und wir alle zusammengehören. Das war für mich ein ganz wichtiges Motiv für das Design der Goldmedaillen."

    Designerin Hunt verkörpert das neue Verständnis der Ureinwohner im modernen Kanada - ein Land, wo die Einflüsse durch die Kultur der Immigranten aus Asien und Europa immer stärker werden. Der Mix aus Alt und Neu - folkloristische Tradition und urbanes Design - das ist wohl der Grund, warum die in Vancouver lebende Künstlerin Corinne Hunt mit ihrem Entwurf die Jury überzeugt hat:

    "Meine Designideen entstammen den Traditionen meiner Kultur, aber ich lasse mich auch von meiner Umgebung inspirieren. Ich versuche, mit meiner Arbeit zu zeigen, wie sich die First Nations-Kunst, First-Nations-Kultur entwickelt und ich mich selbst als eine in der Großstadt lebende Ureinwohnerin verändert habe. Meine Kunst spiegelt das wider."

    So gutgemeint die kulturelle Einbindung der Ureinwohner in die Olympischen Spiele ist, die soziale und wirtschaftliche Realität sieht anders aus. Viele der 60.000 in Vancouver lebenden Indianer gehören zu den Ärmsten der Armen: Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Selbstmorde und Obdachlosigkeit sind weit verbreitet. Im sozial schwächeren East Vancouver formiert sich Widerstand.

    Die Olympiagegner kritisieren die Bauten auf illegal besetztem Indianerland wie das der Squamish im Skiort Whistler. Bis heute sei das Land nicht per Vertrag an British Columbia abgetreten worden, erklärt Gord Hill, der junge Indianer als "Krieger" gegen Olympia organisieren will:

    "Zu unserem Netzwerk gegen Olympia gehören nicht nur Ureinwohner, sondern auch Anti-Armuts-Organisationen, Umweltschützer und politisch interessierte Bürger. Wir rufen zu Aktionen gegen den Fackellauf quer durch Kanada auf und wollen natürlich gegen die Olympischen Winterspiele selbst protestieren."

    Gord Hill wurde bereits mehrmals verhaftet, unter anderem, weil er auf Richtfesten der Stadt das Mikrofon an sich riss und wütende Brandreden hielt. Olympia in Vancouver - Gord Hill glaubt, die Sache werde den Indianern langfristig schaden und zu Streit und Entzweiung der Stämme führen.

    Für Medaillendesignerin Corinne Hunt, die der gleichen ethnischen Gruppe der Kwakiutl-Indianer angehört wie Gord Hill, ist der Widerstand gegen Olympia keine plausible Lösung. Sie sieht das Sportereignis als Chance:

    "Bei den olympischen Spielen in Sydney wurden die Aborigines noch völlig ignoriert. Dabei hätte man der Welt zeigen können, dass man die Kultur der Ureinwohner Wert schätzt. Also, was wir hier in Kanada machen, das ist wirklich Fortschritt. Das muss man auch einmal anerkennen. Wir sollten versuchen, die positiven Aspekte zu sehen und unsere Mitwirkung bei Olympia als eine Errungenschaft feiern."

    Medaillengestalterin Hunt ist jedoch eine Privilegierte. Zahlreiche indianische Künstler hatten sich beim olympischen Komitee Vanoc beworben und sind abgeblitzt.

    Wie Vince Fairleigh, ein Holzschnitzer vom Stamm der Nisga'a, der im antropologischen Museum von Vancouver als eine Art lebendiges Inventar das Schnitzen einer traditionellen Mondmaske vorführt. Seine Masken wurden für Olympia jedoch abgelehnt. Nur mit Mühe kann der junge Vater seine Familie ernähren - ein Atelier kann er sich nicht leisten und ein Leben im Reservat wäre für ihn als Künstler finanziell nicht tragbar.
    Dem Bildhauer sind die olympischen Maskottchen viel zu asiatisch geraten und haben keinerlei Bezug zur nordamerikanischen Kultur: für Vince Fairleigh wäre ein Bär authentischer:

    "Die Bären gehören doch hierher. Das würde die Kultur der Nordwestküste viel besser repräsentieren. So sehr ich Asien mag, aber die Maskottchen sehen einfach viel zu asiatisch und keineswegs nach First Nations-Kulturen aus. Wenn Olympia in Asien stattfinden würde, könnte ich das nachvollziehen, aber hier sind wir schließlich an der Westküste und das ganze Design ergibt einfach keinen Sinn. Ein Teddybär wär mir viel lieber gewesen. Und lustig wäre das auch. So einen würde ich kaufen und meinen Kindern schenken."

    Kurz vor Weihnachten machte ein peinlicher Skandal die Schlagzeilen in Vancouvers Tageszeitungen. Das Vanoc - Vancouvers olympisches Komitee, das die lukrativen Olympia-Aufträge verteilt, hatte die Gestaltung von olympischen Merchandiseartikeln mit angeblich echt-indianischer Symbolik zur Massenproduktion nach China übergeben. Outsourcing von Indianerschmuck? Für die Ureinwohner ist das der blanke Hohn. Die vielen als Holzschnitzer arbeitenden Indianer aus Vancouver hatten sich schon auf ein Weihnachtsgeschäft gefreut - nun droht einigen Werkstätten das finanzielle KO.