Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Zeugnis einer Entdeckung

Genetik. - Die DNA ist eines der bekanntesten Moleküle der Welt. Die in sich verdrillte Strickleiter kennt heutzutage fast jedes Kind aus dem Schulunterricht. Auf den Tag genau vor 60 Jahren publizierten die britischen Forscher Francis Crick und James Watson in "Nature" den ersten Bericht über das Erbmolekül. 1962 bekamen sie den Medizin-Nobelpreis. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange berichtet im Gespräch mit Jochen Steiner, was die beiden Forscher 1953 tatsächlich wussten. Aufschluss darüber gab ein Brief, der kürzlich bei Christies für 4,6 Millionen Euro versteigert wurde.

Michael Lange im Gespräch mit Jochen Steiner | 25.04.2013
    Steiner: Herr Lange, was ist das für ein Brief?

    Lange: Das ist ein Brief, den Francis Crick an seinen zwölfjährigen Sohn Michael geschrieben hat. Michael war damals im Internat und Francis Crick hielt ihn über Briefe auf dem Laufenden, was er damals mit James Watson alles so erforscht hat. Und in diesem Brief erklärt er die Doppelhelix, die DNA-Doppelhelix viel anschaulicher als das später in dem "Nature"-Artikel geschehen ist. Darin schreibt Francis Crick tatsächlich von einer sehr wichtigen Entdeckung.

    Dear Michael,
    Jim Watson and I have probably made a most important discovery, we have built a model for the structure of Desoxyribose nucleic acid, read it carefully, called DNA for short. Our structure is very beautiful...


    Lange: Francis Crick beschreibt also dieses Modell, das Strukturmodell der DNA, und er merkt natürlich, dass Michael das noch nicht kennt, deshalb schreibt er das sehr didaktisch, fast ein wenig belehrend. Aber er spricht auch von einem sehr schönen Modell. Und dieses Modell, das zeigte er dann auch in Zeichnungen, in einfachen Bleistiftzeichnungen, und die sind schon sehr deutlich. Da sieht man die beiden Holme mit dieser verdrehten Strickleiter, die aus Zucker und aus Phosphat bestehen und dazwischen die Leitersprossen, und die Leitersprossen sind die Basen. Und er weist seinen Sohn Michael auch darauf hin, dass diese vier Basen - Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin - dass die besonders wichtig sind.

    Steiner: Ein netter Brief mit schönen Erklärungen, wie Sie es gerade geschildert haben. Aber hat er denn auch eine Bedeutung für die Wissenschaftsgeschichte gehabt?

    Lange: Auf jeden Fall. Bisher war nie so ganz klar, was wussten Watson und Crick eigentlich, als sie dieses Modell - das war so ein einfaches Drahtmodell - in ihrem Büro gebaut haben. Haben sie wirklich verstanden, was sie da entdeckt haben? In ihrem Artikel in "Nature" schreiben das für alles ein bisschen vage. Sie schreiben: Uns ist nicht entgangen, dass hier ein Kopiermechanismus sein könnte. Wir gehen davon aus, dass die Entdeckung eine wichtige Bedeutung für die Biologie hat. Aber zum Beispiel fällt an keiner einzigen Stelle in dem "Nature"-Artikel das Wort Code. Haben sie wirklich verstanden, dass die Reihenfolge der Basenpaare ein Code ist? Jetzt zeigt dieser Brief, dieser sehr private Brief tatsächlich, dass die beiden verstanden, dass es sich um einen Code handelt. Am Anfang schreibt er sogar ganz genau: das ist ein Code. Die DNA ist ein Code.

    Now we believe, that the DNA is a code, that is, the order of the bases the letters makes one gene different from another gene, just as one page of print is different from another. You can now see, how nature makes copies of the genes.

    Lange: Also die beiden haben verstanden, dass es auf die Reihenfolge der Basen ankommt, und dass diese Reihenfolge auch bestimmt, was ein einzelnes Gen aussagt. Und auch, dass ein Gen kopiert werden kann. Dass die eine Base auf der einen Seite die Matrize, die Vorlage ist für die Base auf der anderen Seite. Also das sind keine neuen Entdeckungen, dessen waren sich Watson und Crick absolut bewusst.

    Steiner: War denn die Entdeckung der Doppelhelix der, ja, Startschuss für die moderne Molekularbiologie?

    Lange: Ja, einige sagen das. Es ging dann auch, los aber es dauert noch eine Weile. Damals sorgte dieses Strukturmodell, die Doppelhelix, für relativ wenig Aufsehen, auch unter den Wissenschaftler. Man sagte: Aha, hier ist ein weiterer Vorschlag für die Struktur. Sie könnte so aussehen. Ja, sie sieht wirklich schön aus. Aber dass man das wirklich alles lesen kann, dass man die Baupläne des Lebens darin findet, das wurde eigentlich erst in den 60er-Jahren richtig deutlich. Damals suchte der RNA-Krawatten-Club, das war so eine boy group von Wissenschaftlern aus England und den USA, nach dem Grund. Die wollten die Codes wirklich knacken und wollte genau wissen, wofür stehen denn die einzelnen Basen? Die haben tatsächlich herausgefunden, dass immer Dreiergruppen von Basen für Aminosäuren stehen. Die konnten dann tatsächlich auch eine Tabelle herstellen, in der man ablesen kann, welche Dreiergruppe von Basen ist jetzt für welche Aminosäure zuständig. Ja, und so entstand dann das molekularbiologische Dogma. Die DNA gibt vor, was auf der RNA steht. Und die RNA bestimmt die Proteine. Also der Code war damit geknackt und der Code des Lebens ließ sich lesen und entziffern. Und das war natürlich ein großer Durchbruch, der dann zu den weiteren Entwicklungen unter anderem zur Genomik führte.

    Steiner: In den letzten Jahren war immer häufiger von einer Entmachtung der DNA die Rede. Ist das Zeitalter der Doppelhelix nach 60 Jahren und vorüber?

    Lange: Man hat auf jeden Fall überschätzt, was die Doppelhelix, beziehungsweise was die Information in der DNA wirklich aussagen. Man wollte ja in den Genomen, das heißt, im vollständigen Erbgut, in den entzifferten einzelnen Buchstaben wirklich alles lesen, was das Leben ausmacht. Man wollte Lebewesen vergleichen, man wollte aber auch nach Risikogenen für Krankheiten suchen. Das hat man alles gefunden, und trotzdem waren die Erklärungen sehr unvollständig. Man hat sehr schnell gemerkt, gerade nach den großen Genom-Entzifferungen um das Jahr 2000 herum, das kann nicht alles sein. Der Mensch hat nicht viel mehr Gene als eine Fliege, da stimmt doch irgendetwas nicht. Und das macht es schon deutlich, dass es ein weiteres Informationssystem gibt, ein zweites, vielleicht ein drittes. Und zwar nicht nur in unseren Zellen oder in unseren Nervenzellen, die irgendwie verschaltet sind, sondern auch in der DNA selbst. Das auf der DNA zum Beispiel diese kleinen Reiter sitzen, die Methyl-Gruppen, die bestimmte Gene an- und ausschalten. Also im Code selbst, der DNA, steht nicht alles geschrieben, und je genauer diese Forscher jetzt auf die Einzelheiten schauen, wie ist es mit der Regulation, das wird ja oft auch unter dem Begriff Epigenetik zusammengefasst, je genauer versteht man wirklich, dass die DNA eben nicht nur ein Informationsspeicher ist, was Watson und Crick herausgefunden haben, sondern ein aktives Molekül. Da finden lebendige Prozesse statt und die jetzt genau zu verstehen, das sind Arbeiten, die eigentlich erst begonnen haben. Das heißt, man sieht jetzt, die DNA ist wichtig und war wichtig, ist ein wichtiger Anfang. Aber sie erklärt viel weniger als wir dachten. Und die spannenden Forschungen stehen vielleicht noch erst bevor.