Dienstag, 19. März 2024

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Zeugnistexte entschlüsseln
Dekoder für ein faires Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse klingen eigentlich immer gut, doch was bedeuten die formalisierten Ausdrücke wirklich? Eine Webseite verspricht nicht nur, die Noten hinter den Floskeln zu entschlüsseln, sondern weist auch auf Lücken im Zeugnis hin, die sich negativ auswirken können.

Von Philip Banse | 04.03.2019
In einem Arbeitszeugnis ist die Formulierung "zu unserer vollsten Zufriedenheit" mit einem Marker angestrichen worden.
Bestimmte Stellen in einem Zeugnis können schädlich sein (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
"Zeugnisprüfung, Datei importieren." Thies Eggers war zuletzt Projektmanager bei einer Berliner Softwarefirma. Beim Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber hat er sich von seinem Chef ein Arbeitszeugnis unterschreiben lassen.
"Ich habe das zum Glück als PDF hier." Um mal zu sehen, was die Floskeln wirklich bedeuten, lädt er sein Arbeitszeugnis hoch zur Zeugnisprüfung bei Zeugnisfairness.de:
"Aha. Arbeitsbereitschaft. Er zeigt eine hohe Eigeninitiative und identifiziert sich immer voll mit seinen Aufgaben sowie mit dem Unternehmen."
Der Zeugnisdekoder analysiert den Text des Zeugnisses, gibt dann Hinweise und verrät, welcher Schulnote dieser Satz im Zeugnis entspricht.
"2 bis 3. Naja. Aber man muss ja auch sagen, mit den Noten ist das ja inflationär. Wenn alle immer eine 1 haben, ist ja auch doof."
"Das grundsätzliche Problem ist, dass Arbeitnehmer, die Ihr Zeugnis bekommen, das nicht wirklich verstehen können."
Sagt Klaus Schiller, nach eigenen Angaben langjähriger Personalberater und einer der beiden Köpfe hinter "Zeugnisfairness.de." Zeugnistexte seien verschlüsselt und für Laien oft nicht verständlich:
"Zum Beispiel: Die ihm gemäßen Aufgaben bearbeitete er mit ausreichender Zielstrebigkeit. Das bedeutet: "Die ihm gemäßen", das ist eine Einschränkung oder man nennt das auch Einschränkungstechnik. Nur die Aufgaben, die ihm gefallen haben, hat er mit der nötigen Zielstrebigkeit ausgeführt."
Wenn Dinge gar nicht im Zeugnis auftauchen
Das größte Problem aber sei für Arbeitnehmer oft, dass Dinge gar nicht um Zeugnis auftauchen: "Denn wenn etwas fehlt, kann es sein, dass der Arbeitgeber meint: Leider hat er diese erwartete Leistung nicht erbracht."
Auf solche Leerstellen kann der Zeugnisdekoder hinweisen, wenn er den Beruf kennt: "Bitte wählen Sie die Berufsgruppe aus." So kann die Software messen, welche Eigenschaften und Fähigkeiten im Zeugnis unbedingt erwähnt werden sollten:

"Unvollständig! Es fehlen Angeben zu Engagement, Einsatzbereitschaft."
"Ich habe jetzt die Möglichkeit, ein faires Zeugnis zu bekommen. So kann ich zum Arbeitgeber gehen und sagen: Ist das wirklich so beabsichtigt? Wenn der sagt, nein, dann kann er es anpassen. Wenn er sagt, ja, ich sehe das so, die Leistung war Note 5, dann kann ich mir einen Rechtsbeistand suchen, der mir dabei hilft, das zu verbessern. Denn in so einem Fall, wenn die Leitung angeblich unterdurchschnittlich ist, ist der Arbeitgeber beweispflichtig, er muss also nachweisen können, dass die Leistungen schlecht waren. Aber dazu muss ich das erst mal wissen."
Maschinelles Lernen als Basis
Es gibt viele Dienste, die versprechen, Arbeitszeugnisse entschlüsseln. Viele davon gleichen jedoch nur Textbausteine mit Datenbanken ab und seien ungenau, sagt Klaus Schiller. Seine Software nutze maschinelles Lernen und neun von zehn Analysen seien richtig – wenn denn die Zeugnisse in dieser Formelsprache geschrieben sind. Personenbezogenen Daten würden sofort wieder gelöscht, verspricht Schiller. Geld will er verdienen, indem er anbietet, analysierte Zeugnisse zu verbessern.
"Ich halte es, ganz ehrlich, für etwas überschätzt."
Thies Eggers, der Berliner Projektmanager, sagt: Viele würden sich ihr Arbeitszeugnis selber schreiben und das dann ihrem Chef zur Unterschrift vorlegen. So habe er das bei seinem Zeugnis auch gemacht:
"Ich habe mir das mal zusammengebaut und habe dann auf den Text geschaut und habe dann geschaut, dass der Text einigermaßen okay klingt."
Das Zeugnis sollte schon irgendwie realistisch klingen, aber auch nicht zu dick auftragen. Nix mit "stets außerordentlich zufrieden" und so. Aber wenn der Zeugnisdekoder seinen bescheidenen Text in Schulnoten übersetzt, dann klingt das so:
"Arbeitsweise, Arbeitsstil – 2 bis 3; Arbeitserfolg, Arbeitsergebnisse – 2 bis 3; Führungsleistung – 2 bis 3. Aber jetzt kommt´s: Leistungszusammenfassung, Gesamtnote: 1."
Zum Schluss hat Thies Eggers also doch noch mal für sich getrommelt:
"Herr Dr. Eggers hat unsere sehr hohen Erwartungen stets in allerbester Weise erfüllt und teilweise sogar übertroffen."
So wird aus 2 bis 3 und 2 bis 3 und 2 bis 3 dann also doch noch eine 1.
Der Zeugnisdekoder hätte Thies Eggers zu etwas mehr Konsistenz ermahnen können und kann also auch bescheidenen Arbeitnehmern helfen, die ihr Zeugnis selber entwerfen.