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Zickzackkurs Richtung Bauernhofidylle

Mit ihrem Roman "Zusammen ist man weniger allein" erreichte die französische Schriftstellerin Anna Gavalda Millionenauflagen. Nun legt die Fachfrau fürs Verlassen und Verlassenwerden, für Herz- und Weltschmerz ihren neuen Roman "Alles Glück kommt nie" vor: Ein Großstadtkarrierist wendet sich von seinem bisherigen Leben ab und findet sein Glück auf einem Bauernhof.

Von Brigitte Neumann | 19.12.2008
    Um an dieser Stelle mal völlig teutonisch mit der Tür ins Haus zu fallen: Die 37-jährige Pariser Auflagenmillionärin Anna Gavalda hat dieses Mal kein gutes Händchen gehabt. "Alles Glück kommt nie" ist konfus im Stil und ziemlich einfältig im Plot. Im Zentrum der Geschichte steht die Läuterung des Helden Charles vom stummen, depressiven Karrieristen in einen liebenden Aussteiger mit Bauernhof, fünf Pflegekindern und viel Vieh. Das Happy End leitet Gavalda mit diesen Worten ein:

    "Was jetzt folgt, nennt sich Glück. Und das Glück ist eher peinlich. Lässt sich nicht erzählen, sagt man. Sagen sie! Das Glück ist glatt, abgeschmackt, boring. Und immer auch anstrengend. Das Glück langweilt den Leser, ist ein Liebestöter."

    Dann erwägt Gavalda einen stilistischen Trick, um aus dieser Glücksfalle zu kommen. Der Passus klingt wie eine Entschuldigung. Und wer sind überhaupt "Sie", die das Glück peinlich und abgeschmackt finden?

    Mutmaßlich ist das hier eine bittere Ergebenheitsadresse an das intellektuelle Establishment Frankreichs. Aus französischen Zeitungen ist nämlich zu erfahren, dass die Bestsellerautorin Gavalda zuhause inzwischen das Image einer Herz-Schmerz-Literatin hat. Man darf vermuten, dass viele der stilistischen Verrenkungen auf das Konto ihrer Bemühungen gehen, das Gegenteil zu beweisen.

    Anna Gavalda erzählte immer Geschichten, die zu schön sind, um wahr zu sein. So auch dieses Mal.

    Der Held Charles liebte als Kind die trinkende Mutter eines Freundes, der sich den heroinsüchtigen Trompeter Chet Baker in jeder Hinsicht zum Vorbild genommen hat. Später heiratet er die distanzierte Chanel-Managerin Laurence und macht Karriere als Architekt. Aber: Die Gattin geht fremd und der Job wirft nur noch Geld und keinen Sinn mehr ab.

    "Ich ging zur Arbeit, weil das das einzige war, was ich noch konnte. Mir den Mist anschauen, den sie verzapft hatten, während ich weg war. So in etwa sah mein Job seit ein paar Jahren aus. Große Risse und viel Putz. Der vielversprechende Architekt war, als er befördert wurde, zu einem kleinen Maurer geworden. Er stopfte auf Englisch Löcher und machte keine Entwürfe mehr. Sammelte massenhaft Miles an und wurde von den leisen Kriegsgeräuschen auf CNN in Hotelbetten, die viel zu groß für ihn waren, in den Schlaf gewogen."

    Die gekürzte Hörbuchfassung des Gavalda Werkes "Alles Glück kommt nie", hat ihre Schwächen. Im Buch heißt es: Er ließ sich in den Schlaf wiegen. Im korrekten Hörbuch-Perfekt wäre er dann in den Schlaf gewiegt worden. Aber wieso dieser grammatikalische Schnitzer, wieso hielt man sich nicht an die Buchfassung? Etliche Veränderungen, die der Hörbuch-Hamburg-Verlag vorgenommen hat, wirken rätselhaft.

    Ein Glück aber sind die Kürzungen. Und: Professionelle Vorleser, die Schauspieler Nina Petri, und eben gehört, Stephan Schad, geben den gelegentlich krampfenden Satzungetümen der Gavalda schon mal einen Sinn, allein durch ihre Betonung. Selbst die neue Vorliebe der Gavalda für lange Listen wird so erträglich.

    "Er fühlte sich entmutigt. Ging hinunter in die Bar, bestellte einen Bourbon, las die Lokalzeitung und brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass die Flammen des Kamins eine Attrappe waren. Desgleichen der Lederbezug seines Sessels, die Bilder an der Wand, die Holztäfelungen, der Stuck an der Decke, die Patina der Kronleuchter, die Bücher in der Bibliothek, der Geruch nach Möbelpolitur, das Lachen dieser hübschen Frau in der Bar, die Zuvorkommenheit des Herrn, die sie daran hinderte, vom Hocker zu steigen. Die Musik, das Kerzenlicht und…

    Alles - absolut alles war Attrappe. Es war die Disney-World der Reichen. Und so sehr er sie auch durchschaute, gehörte er doch dazu. Ihm fehlten nur noch die Mickey-Maus-Ohren."

    In ihrem Debüt, dem Sensationserfolg "Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet" berichtete sie noch von den gelegentlichen, hübschen Aufhellungen zwischen den üblichen Missgeschicken des Alltags.

    Ihr zweites Buch, der Roman "Zusammen ist man weniger allein" wollte dem zerstörerisch durchs Leben fuhrwerkenden Menschen eine stark verbesserte Version seiner selbst zum Trost vorhalten. Der Ellbogen-Gesellschaft einen idealen Ort, Hort der Fürsorglichkeit, Anteilnahme und Solidarität entgegensetzen. Hier: die WG. "Alles Glück kommt nie" hätte eine Bauernhofversion des letzten Romans werden können. Denn im Prinzip geht es um genau das gleiche. Aber es ist nur eine verunglückte Bauernhofversion geworden.

    " Das Herz baumelte ihm fröhlich um den Hals. Was für eine schöne Formulierung.

    Er fuhr also weg und trug sein Herz fröhlich baumelnd um den Hals.
    Nüchtern, ergriffen, nervös. Wie bei einem ersten Rendez-vous.
    Lächerlich und unzutreffend. Er ging nicht zum Ball, sondern auf den Friedhof.

    Und sein kleiner verkrüppelter Muskel hing eher in einer Schlinge.
    Doch darin pochte es, und wie."

    Warum muss die Autorin vor und an dem Leser Formulierungen austesten, die gar nicht passen? Die nichts zu sagen haben. Die sie nur mal so in die Runde wirft. In einem Ton, der nicht echt wirkt. Aufgeladen, aber inhaltsleer.

    In "Alles Glück kommt nie" spielt Anna Gavalda mit den Lesern genauso wie mit ihren Figuren. Nervös verschiebt sie das Romanpersonal von hier nach dort, schlägt Dialoge vor, macht Schnitte, die schneller sind, als MTV es erlaubte, und treibt die ganze Schar im Zickzack Richtung promised land. In die Idylle Bauernhof.

    Man möchte da nicht mit. Denn der Klammergriff biedermeierlicher Gemütlichkeit ist bereits zu ahnen.

    Aber die Franzosen mögen es. Nach Auskunft des Gavalda Verlags Le Dilletante war der Start des Buches in Deutschland ein wenig enttäuschend. Aber seit "Alles Glück kommt nie" im März in Frankreich erschienen ist, hält es sich auf der Bestsellerliste. Und hat sich in den seither vergangenen Monaten fast genauso gut verkauft wie der vorangegangene Megaerfolg Gavaldas "Zusammen ist man weniger allein" in zwei Jahren, nämlich 654.000 Mal.

    Anna Gavalda: Alles Glück kommt nie
    Roman, aus dem Französischen von Ina Kronenberger
    605 Seiten, Hanser Verlag, 24,90 Euro

    Anna Gavalda: Alles Glück kommt nie
    Hörbuch, gelesen von Nina Petri und Stephan Schad
    gekürzte Lesung: Sechs CDs, 625 Minuten
    Hörbuch Hamburg, 24,95 Euro