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"Ziemlich signifikant"

Neurowissenschaften. - Dass man bei Vollmond schlechter schläft, ist reine Einbildung. So der Stand der Wissenschaft bis heute. Doch im Fachmagazin "Current Biology" schreibt ein Schlafforscher aus Basel heute, es gebe da durchaus Belege für eine lunare Ruhestörung. Professor Christian Cajochen, Leiter des Zentrums für Chronobiologie der Uni Basel, berichtet im Gespräch mit Ralf Krauter über seine Erkenntnisse.

Christian Cajochen im Gespräch mit Ralf Krauter | 26.07.2013
    Krauter: Herr Cajochen, welche Hinweise, dass der Mond den Schlaf beeinflusst, haben Sie denn gefunden?

    Cajochen: Ja, also wir haben uns diese Frage auch gestellt: Gibt es da wirklich eine lunare Schlafstörung sozusagen? Und wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass wir nichts finden bei uns, bis wir beschlossen haben, uns einen alten Datensatz zu nehmen und das zu untersuchen mit diesem Datensatz, weil eben die Leute unter sehr kontrollierten Bedingungen untersucht worden sind bei uns. Und zu unserem Erstaunen haben wir wirklich festgestellt, dass Leute, die während des Vollmonds zu uns kamen, vier Tage vorher und vier Tage nachher, dass die wirklich schlechter schliefen als Leute, die während des Neumonds zum schlafen kamen.

    Krauter: Die Datenbasis für Ihre Analyse jetzt ja eine vor ungefähr zehn Jahren abgeschlossene Studie zum Schlaf-Wach-Rhythmus von 33 Freiwilligen. Wie sicher können Sie denn sein, dass die Effekte, die Sie jetzt festgestellt haben, nicht durch irgendwelche anderen Faktoren verursacht wurden?

    Cajochen: Ja, das ist einer der Vorteile der Studie. Also das war quasi eine Doppelblindstudie, die Versuchspersonen wussten nicht dazumal, dass wir irgendwann einmal lunare Einflüsse untersuchen werden. Von dem Standpunkt her ist die Studie sehr sauber. Was natürlich ein Nachteil ist der Studie, dass wir die Versuchspersonen nicht den ganzen Zyklus verfolgt haben, sondern wir haben Momentaufnahmen gemacht. Ich muss dazu sagen, dass die Leute das Licht nicht sahen. Die Zimmer bei uns haben keine Fenster, die Temperatur ist kontrolliert und wir haben auch gefragt, bevor die zu uns kamen, ob es irgendwelche Umweltfaktoren gibt, die sie stören beim Schlaf. Und der Mond war nirgends zu sehen, Lärm wurde herausgefiltert, Mond ist für die Leute eigentlich kein Problem. Und trotzdem haben wir eben diese Effekte gesehen, was uns sehr erstaunt hat.

    Krauter: Wie groß waren die Effekte im einzelnen? Ging es da um mehrere Minuten weniger Schlaf oder doch um ein oder zwei Stunden sogar?

    Cajochen: Während der Vollmondphase schliefen die Leute 20 Minuten kürzer, brauchten fünf Minuten länger, um einzuschlafen und hatten 30 Prozent weniger Tiefschlaf. Das wurde objektiv mit dem Hirnstrombild gemessen. Jetzt kann man sagen: sind das große oder kleine Effekte: Fünf Minuten länger einschlafen, das ist für einen Schläfer, der normalerweise zehn Minuten braucht, trotzdem ein Effekt, also relativ gesehen ist sie ein Drittel länger. Die 30-Prozent-Reduktion im Tiefschlaf, das ist ziemlich signifikant. Also die Leute haben wirklich oberflächlicher geschlafen. Und was uns auch noch überrascht hat: Der Melatoninspiegel, das ist ja das Dunkelhormon, war auch während der Vollmondphase erniedrigt.

    Krauter: Sie haben jetzt diesen Effekt gemessen. Wie kann man ihn erklären?

    Cajochen: Das ist die schwierigste Frage. Wie kann man den Effekt erklären. Also wir können ausschließen, dass es ein direkter Effekt ist vom Licht, weil das Licht, das Mondlicht wurde nicht gesehen. Wir schließen auch aus, dass es einen Gravitationseffekt hat, weil die Gravitationseffekte des Mondes, die wirken sich ja auf größere Körper aus. Also der Körper muss sehr groß sein, dass müssen Meere sein. Unser Körper wäre zu klein, das haben mir Physiker erklärt, das können wir nicht als Erklärung hinzuziehen. Die einzige Möglichkeit, obwohl wir das natürlich nicht direkt testen konnten, ist, dass es in uns eben eine circalunare Uhr, also eine Uhr hat, die in diesem Rhythmus tickt. Wir haben ja auch eine circadiane Uhr, das ist die Tag-Nacht-Uhr. Da wissen wir ganz genau, wo die lokalisiert ist im Gehirn und daher, weil wir diesen Effekt gesehen haben unter kontrollierten Bedingungen, kann man vielleicht spekulieren, dass wir neben der circadianen Uhr auch eine circalunare Uhr haben. Man kennt solche Uhren bei anderen Organismen, vor allem bei Organismen, die im Meer leben, also zum Beispiel bei Würmern. Die haben ganz klare circalunare Uhren, und die sind eben ganz wichtig, um das Reproduktionsverhalten dieser Würmer zusteuern. Aber ich weiß, der Sprung vom Wurm zum Menschen ist groß, und wir sind immer noch in den Spekulationen.

    Krauter: Können Sie denn damit leben, dass Astrologie/Esoterik-Fans jetzt natürlich sagen werden: Wir haben doch schon immer gesagt, dass Gestirne wie der Mond unsere Geschicke irgendwie beeinflussen?

    Cajochen: Ja, ich weiß nicht ob ich damit leben kann. Ich fürchte mich ein bisschen davor, vor der Esoterik und Astrologie, weil wir natürlich ein "seriöses" wissenschaftliches Labor sind. Darum haben wir auch so lange gewartet. Ich habe vier Jahre lang wirklich gerungen, um das zu publizieren. Aber ich muss schon sagen, die Effekte sind da und man kann sie nicht verneinen. Und das ist jetzt nicht ein Beweis, dass es einen Mondeinfluss gibt auf den Schlaf. Es braucht noch mehr Studien, die das bestätigen können. Und auch das Versuchsprotokoll müsste natürlich optimiert werden in Zukunft, um da wirklich ein Beweis für so eine Uhr zu liefern.